Gerhard Lang: Transparenz hilft gegen Politikverdrossenheit / Thema JVA-Bürgerentscheid bleibt außen vor

Von Tatsiana Zelenjuk

Rottweil. Auf Einladung der Rottweiler SPD sprach Gerhard Lang im Foyer der Stadthalle zum Thema "Wahlpflicht, Wahlzwang". Der in Rottweil geborene Altbürgermeister von Stuttgart, der in den 60er-Jahren über das Thema promoviert hatte, fasste in nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen. Er sprach von der aktuellen politischen Situation, von neuen Herausforderungen und Lösungsvorschlägen.

Wie kann man der steigenden Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit entgegenwirken? Ein Patentrezept gebe es nicht, beteuerte Lang. Doch auch wenn sich die Thematik zu theoretisch oder spröde anhöre, könne sie nicht einfach beiseitegelegt werden. Wenn die Wahlen immer weniger Bürger an die Urne bringen, sei es höchste Zeit, so Lang, über die Zukunft des politischen Systems nachzudenken, denn vor allem die klassischen Parteien hätten ihre Bindungs- und Überzeugungskraft verloren, stellte Lang fest. Er erklärte, dass in der Politikwissenschaft zwei Gründe der Wahlenthaltung unterschieden werden: Entweder ist man mit dem politischen System schlicht zufrieden und sieht keinen Änderungsbedarf, oder aber ist die Wahlenthaltung ein Ausdruck der Unzufriedenheit. Das zweite Motiv sei dominant.

Der Referent zeigte sich überzeugt, dass man zur Überwindung des Problems in erster Linie auf die Transparenz des politischen Handelns setzen sollte. Er sprach vom Ausbau der Bürgerbeteiligung, von der Kultur des Dialogs. "Vor allem im kommunalen Bereich ist das Thema zurzeit in Bewegung", bemerkte Lang.

In der anschließenden Diskussion wurden viele Thesen aufgegriffen, Fragen gestellt, Lösungen gesucht. Winfried Hecht, der diesen Teil des Abends moderierte, unterstrich, dass vieles in der modernen Welt komplexer geworden ist. Die Politikverdrossenheit mag auch damit zusammenhängen. "Viele sagen: Die Zeit, um das alles zu verstehen, habe ich nicht. Macht, was ihr wollt", konstatierte Hecht.

Auch viele Zuhörer hatten ähnliche Eindrücke und Erfahrungen. Mitbestimmung und Demokratie seien zu selbstverständlich geworden, hieß es. Und: "Ob ich wähle oder nicht, ist egal." Solcher Haltung müsse man entgegenwirken. Man müsse den Bürgern vor Augen führen, dass sie Macht haben, dass sie durch das Wählen Einfluss nehmen und etwas verändern können, warb Lang. Manche schwärmten vom Schweizer Modell, das den Bürgern insbesondere auf kommunaler Ebene viel Mitwirkung und Einflussnahme ermöglicht.

Andere sprachen von mangelnder Offenheit und Transparenz und bemängelten, dass vieles hinter verschlossenen Türen besprochen werde. Dabei sei es wichtig, mit dem Bürger zu reden und offen zu diskutieren. Dafür müsse man natürlich Informationsmöglichkeiten bieten. Besonders auf junge Leute sollte man sein Augenmerk richten und den politischen Nachwuchs mehr fördern.

Überraschend war, dass die fast schon selbstverständliche Erwähnung des bevorstehenden JVA-Bürgerentscheids ausblieb. Zu unterschiedlich sind anscheinend die Meinungen der Parteimitglieder, zu gefährlich die Auseinandersetzung. So blieb es am Freitagabend bei eher theoretischen Überlegungen. Am Sonntag wird sich in der Praxis zeigen, wie es in Rottweil um Bürgerbeteiligung und Wahlverhalten steht.