Die Rottweiler Dachlandschaft soll moderne Architektur nicht ausschließen, darf von ihr aber nicht beeinträchtigt werden, findet Michael Goer. Fotos: Schnekenburger Foto: Schwarzwälder-Bote

Auch in historischem Umfeld kann ästhetische Entwicklung möglich sein / Kulturstammtisch mit Michael Goer

Von Bodo Schnekenburger

Rottweil. Alt oder Neu, Alt mit Neu, Alt und Neu: Der Kulturstammtisch widmet sich einem in Rottweil viel diskutierten Thema.

Ort der Veranstaltung ist ein Raum, der quasi symptomatisch für die Fragestellung ist und Referent ist einer, der genau dieses Gebäude besonders gut kennt: Michael Goer, Referatsleiter für Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg, ist schließlich nicht ganz schuldlos daran, dass der Kapuziner heute für eine zeitgemäße Nutzung zur Verfügung steht. Dass die Veranstaltung im Refektorium stattfindet, kommt ihm also durchaus gelegen. Doch auch die für den ursprünglichen Termin vor vier Wochen anvisierte Ausweichlokalität, der Hofer-Saal im Neubau der Kreissparkasse hätte Charme gehabt. Ist der klare, moderne Bau im Gründerzeit-Karree an der Einmündung von Eisenbahn- in die Königstraße doch nicht unumstritten.

Jetzt sollte es aber das Refektorium sein, und Goer eröffnete seinen Vortrag mit seiner eigenen Dienststelle, der früheren, Realanstalt, die kurz vor dem Abriss stand. Die Denkmalpflege hat dem Backsteinbau über dem Buntsandstein-Erdgeschoss aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine Zukunft gegeben – nicht zuletzt dank moderner Erweiterung. Mit einer ganzen Reihe Beispiele illustrierte er die Angriffspunkte im Spannungsfeld zwischen Denkmalpflege und moderner Architektur. Besonders augenfällig am Beispiel Ulm: Neues Stadthaus gut, da Referenz über die materielle Fassadengestaltung und die Dachgliederung bei gleichzeitiger moderner Formensprache, die Glaspyramide der Stadtbibliothek schlecht, ein Solitär in Material, Architektursprache und Maßstäblichkeit.

Dabei, so machte Goer auch klar, könne es nicht darum gehen, die Moderne per se zu bannen. Dann würde man der Zukunft die Chance auf eine geschichtliche Entwicklung nehmen. Vielmehr müsse die Moderne in historischem Umfeld bestimmte Anforderungen erfüllen, müsse als gültiges Beispiel der Gegenwartsarchitektur gleichzeitig eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft bilden. Das Bauen im – solch sensiblen – Bestand bedeute denn auch eine besondere Herausforderung. Als ein Negativbeispiel, in Rottweil sah er den gläsernen Erschließungskubus der Gebäude Hauptstraße 13/15 in Richtung Münsterplatz. Ausdrücklich nicht, weil er modern wäre, sondern weil er nicht auf das historische Umfeld rekurriert. Volksbankchef Henry Rauner erinnerte in diesem Zusammenhang, dass er sich als Bauherr seinerzeit "schon auch ein bisschen alleingelassen" vorgekommen sei, gerne Beratung in Anspruch genommen hätte. Winfried Hecht ging noch einen Schritt weiter: Entsprechende Beratung müsse bereits beim Kauf solcher historischer Anwesen erfolgen, in denen man eben nicht jedes Nutzungsprogramm realisieren kann, will man die historische Substanz und das Erscheinungsbild schützen.

Die nächste Nagelprobe zeichnet sich übrigens schon ab: Die Überbauung des ehemaligen Paketpost-Areals im Spannungsfeld zwischen historischem Ensemble und heutigen Ansprüchen an Wirtschaftlichkeit und Wohnen wird Verwaltung und Gemeinderat und die Denkmalpflege wohl noch beschäftigen. Ein probates Mittel: Wettbewerb. Aus dem Vergleich konkurrierender Ideen, so weiß Goer, lassen sich am ehesten gelungene Lösungen kristallisieren.