Ein ziemlich langer Bus für ziemlich wenige Fahrgäste. In Neukirch ist der Bus abgefahren. Ab Sonntag nicht für immer, aber für sehr, sehr oft: 13 beziehungsweise 15 direkte Verbindungen von und nach Rottweil sowie nach Balingen entfallen. Es gibt keinen Ersatz. Es gäbe aber eine Alternative. Foto: Schulz

Ab Sonntag gilt ein neuer Fahrplan: Kaum mehr direkte Verbindungen nach Rottweil. Mit Kommentar.

Rottweil - Sie sind da: die neuen Fahrpläne für Bus und Bahn, die ab Sonntag gelten. Jetzt hat man die Änderungen schwarz auf weiß. Vor allem für Neukirch sind sie gravierend. 13 Bus-Linien werden gestrichen. So weit hätte es nicht kommen müssen. Denn es gab wohl eine Alternative.

Vor Ort: Ein eiskalter Wind pfeift einem in Neukirch um die Ohren. Es ist Donnerstag, kurz vor 13.30 Uhr. Ein älterer Mann biegt um die Ecke und sucht in dem Buswartehäuschen in der Schömberger Straße Schutz vor der Kälte. Er wartet auf den Bus der Linie 7440. Ob er wisse, dass ab Sonntag etliche Direktverbindungen nach Rottweil und in die Gegenrichtung, nach Balingen, gestrichen würden, frage ich ihn. Ja, das sei schon bedauerlich, sagt er nachdenklich. "Dann muss ich mich umstellen", meint er. 82 Jahre alt ist er, seit drei Jahren kann er nicht mehr Auto fahren – die Augen. Samstags ist er mit dem Bus in die Stadt gefahren und mindestes ein weiteres Mal unter der Woche. "Wenigstens haben wir noch den Laden", sagt er. Zepfenhan sei noch schlechter dran.

Die Fakten: Im Verkehrsverbund Rottweil (VVR) gelten ab dem kommenden Sonntag neue Bus- und Zugfahrpläne. Und wie wir bereits exklusiv berichteten, sind die Auswirkungen für den Rottweiler Ortsteil Neukirch enorm.

Die Südbadenbus GmbH, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG, streicht eine Linie zwischen Rottweil und Balingen (die Linie 7445) komplett. Die Linienführung des bisher zweiten so genannten Schnellbusses (die Linie 7440), die die beiden Kreisstädte im Zollernalbkreis und im Kreis Rottweil miteinander verbindet, wird verändert: Die Busse fahren ab dem 14. Dezember nach Frittlingen, Wellendingen und Wilflingen. Neukirch indes wird links liegengelassen, Zepfenhan sowieso schon immer. Von Feckenhausen gleich gar nicht zu sprechen.

13 beziehungsweise 15 Verbindungen in Neukirch werden gestrichen, aufrecht erhalten werden lediglich zwei in Richtung Balingen (6.52 und 13.19 Uhr), und vier in Richtung Rottweil (7.20, 7.26, 13.56 und 17.31 Uhr). Dies gilt jedoch nur an Schultagen. In den Ferien halten überhaupt keine Busse dieser Linie mehr, an den Wochenenden auch nicht. Samstags sowie an Sonn- und Feiertagen galt bislang ein Stundentakt von 7.25 bis 17.25 Uhr. Dieser entfällt ersatzlos.

Die Begründung: Die Südbadenbus GmbH sagt gegenüber dem Schwarzwälder Boten, es sei einfach nicht mehr wirtschaftlich gewesen, die Linie fortzuführen. Diesem Entschluss seien Fahrgastzählungen über drei Monate, Fahrgastbefragungen und eine Online-Befragung vorausgegangen. Die SBG teilt mit, dass sie als eigenwirtschaftliches Unternehmen diese Verkehre seit jeher ohne Zuschüsse realisiere und daher den Fokus auch auf die Wirtschaftlichkeit legen müsse.

Der Umweg: Es ist nicht so, dass Neukirch ab Sonntag völlig vom öffentlichen Nahverkehrsnetz abgekoppelt wäre. Es gibt ja noch die Linien 5003 und 5010. Da fahren die Busse von Neukirch aus in der Regel über Zepfenhan, Feckenhausen und Göllsdorf nach Rottweil. Das dauert eben etwas länger. Auf direktem Weg war man bislang in acht Minuten in der Innenstadt, über den Umweg dauert es dann halt gut 20 Minuten (Haltestelle Neues Postamt).

 Die Alternative: Es hat wohl eine Alternative gegeben. Hans Keller, Seniorchef des Omnibusunternehmens Hauser mit Sitz auf dem Berner Feld, war bis vor Kurzem mit der Stadtverwaltungsspitze in Verhandlungen. Er hatte angeboten, eine Art Ringlinie mit weiteren Orten zu bilden, die eher auf der Verliererseite des öffentlichen Nahverkehrssystems stehen. Er habe die durch den neuen Fahrplan entstehende Lücke schließen wollen. Auch der neue Testturm hätte darin eingebunden werden sollen. Doch die Gespräche seien vorerst gescheitert. Für ihn ist klar: Der neue Fahrplan bringe keine Verbesserung mit sich.

Das Ende? Keller – "ein Unternehmer gibt nicht auf" – will weitere Gespräche mit der Stadtverwaltung führen. Der ältere Fahrgast aus Neukirch weiß bereits einen Ausweg: "Dann nehme ich mir eben ein Taxi." Gerade das hätte Keller, Seniorchef des Verkehrsunternehmens, gerne vermieden. Jeder Fahrgast, der verloren gehe, schmerze.

So gesehen: Kaltgestellt

Armin Schulz

Ist das nicht witzig? Da liegt ein Dorf rechts und links einer spitzenmäßig befahrenen Bundesstraße, tausende von Autos und Lastwagen donnern täglich durch den Flecken. Doch vom öffentlichen Verkehrsnetz wird der Ort zusehends abgeschnitten. So ergeht es Neukirch ab Sonntag. Dann steuern kaum noch Linienbusse den Ort auf dem Berg an. Dort kann darüber kaum einer lachen. Wie auch.

Kalt stellen – beim Sekt für Silvester ist das ein spritziger Gedanke. Doch spinnt man diesen weiter, kommt man im Falle Neukirchs auf ganz andere Ideen. Etwa diese: Soll möglicherweise ein ganzes Dorf Schritt für Schritt kaltgestellt werden, weil es sich in der Vergangenheit aufmüpfig gegenüber der Stadtverwaltung in Rottweil verhielt? Ist das die Retourkutsche für unflätiges Benehmen in Sachen JVA-Standort? Neukirch und Zepfenhan – beides "Widerstandsnester", deren Bewohner dafür gesorgt haben, dass der schon sicher geglaubte Standort für ein neues Großgefängnis auf der Zielgeraden verloren ging: Sollen sie möglicherweise abgestraft werden? Fuhr deshalb Hans Keller, der Chef des Rottweiler Reiseunternehmens Hauser, gegen die Wand, als er der Stadtverwaltung seinen Vorschlag zur Verbesserung der Situation in Neukirch unterbreitete? Und er somit zu retten versuchte, was zu retten möglich gewesen wäre, man ihn aber – aus welchen Gründen auch immer – auflaufen ließ? Ein abstruser Gedanke? Meinetwegen.

Andererseits: Hätten Neukirch und Zepfenhan die JVA im Bitzwäldle nicht blockiert, wäre der Gefängnisneubau so gut wie sicher und man müsste sich über die Anbindung der beiden Orte an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) keine Sorgen machen.

Sicher spielen da (auch) andere Faktoren eine Rolle. Der Faktor Geld beispielsweise. Landkreis und Kommunen lassen sich den ÖPNV seit Jahren einiges kosten. Gäbe es keine Schüler, würde sich das Geschäft gleich gar nicht mehr lohnen. Blöd nur, dass es immer weniger Schüler geben – Folge des demografischen Wandels – und sich das Linienbusgeschäft tatsächlich immer weniger rentieren wird. So argumentiert ja auch die Südbadenbus GmbH, die deshalb Neukirch fallen lässt wie eine heiße Kartoffel.

Und tatsächlich ist es ja so, dass man außerhalb der Stoßzeiten – wenn Schüler an die Bildungshäuser gekarrt werden – Busse fahren sieht, die vor allem eines transportieren: den Fahrer und jede Menge Luft. Im Winter ist sie sogar noch beheizt. Wie skurril.

Weil das aber so ist, wäre es dringender denn je, darüber nachzudenken, wie man in ländlichen Regionen einen attraktiven Personennahverkehr auf die Schiene und die Straße bekommt. Einen, der zudem für alle – Träger des ÖPNV, Verkehrsunternehmen, Fahrgäste – bezahlbar ist. Mit dem Kürzen und Streichen von Bus- und Zugverbindungen jedenfalls ist es nicht getan. Eine Strategie muss schleunigst her, Konzepte erarbeitet werden. Landkreis und Kommunen müssen langsam in die Pötte kommen. Nicht dass man wieder solche Sachen wie von den Grünen hier in Rottweil lesen muss. Die schrieben angesichts des Besuchs eines Landtagsabgeordneten, zudem Mitglied im Verkehrsausschuss, stolz von einer "Verkehrswende im ländlichen Raum". Da kann ja nur die Wende hin zum Schlechteren gemeint sein.

Nun denn. Ab Sonntag verliert Neukirch weiter an Attraktivität. Spätestens am Tag darauf müssen tatsächlich die Sektflaschen kalt gestellt werden. Schließlich gibt es bald etwas zu feiern. Auf dem Berner Feld: die Grundsteinlegung für den Testturm von ThyssenKrupp Elevator. Wie prickelnd!