Fotos: Schnekenburger Foto: Schnekenburger

Zahlreiche Besucher beim Neujahrsschießen im Rottweiler Bockshof. Manches anders als gewohnt.

Rottweil - Der Gang in den Bockshof gehört für viele zum festen Programm für den Neujahrstag. Auch in diesem Jahr sind sie gekommen, um das Neujahrsschießen der Historischen Bürgerwehr mitzuerleben. 2017 ist freilich manches anders als gewohnt.

Vorbei die Zeiten, da den Kanoniere neben den Modellkanonen lediglich "La Sardine" zur Verfügung stand: Nachdem pünktlich zu den Heimattagen 2003 eine ganze Reihe Repliken der alten Dame vom Hochturm mit französischer Vergangenheit gebaut wurden, flankiert von einigen Haubitzen, bedeutet Neujahrsschießen auch "Feuer frei" Richtung Norden, also heutzutage Richtung Testturm. Die vielen Geschütze haben an der Mauer mit Blick nach Westen einfach keinen Platz. Der Tod des Gründers und seitherigen Vorsitzenden der Bürgerwehr, Peter Seemann, bedeutet eine Zäsur, die über das Vereinsleben hinaus reicht.

Die Zahl der zur Verfügung stehenden Geschütze größerer Bauart ist merklich geschrumpft. Was da ist, hat mit der alten Zielausrichtung über die Au hinweg zur Aufstellung locker Platz. Damit wird das Neujahrsschießen auch kürzer. Und dann ist da noch die Personalie des Redners: Bis 2016 hat Seemann die von Peter Peiker verfassten Verse vorgetragen. Gestern tritt der Autor, stellvertretender Vorsitzender der Bürgerwehr, selbst ans Mikrofon, um Rück- und Ausblick zu geben, die insgesamt sechs Saluts mit Inhalt zu hinterlegen. Das kann ausnahmsweise auch mal in eigener Sache sein, darf gerne aber kommunalpolitisch zünden.

Der erste Schuss, der Gruß, endet gestern freilich, wie man es erwarten konnte: "Der erste Schuss der Bürgerwehr gilt jedoch unserem verstorbenen Vorsitzenden Peter Seemann zur Ehr’."

Doch dann wird vom Leder gezogen. Kunst auf dem "Heimburger"-Kreisverkehr? Da sieht die Bürgerwehr die Gesichter der Stadtoberen bereits in Falten ob der möglichen Umsetzung. Peiker hat da eine andere Idee. Statt "recht teuer" und Sichtbehinderung schlägt er "schöne Blumen uff em Kreisel" vor, so wie im vergangenen Jahr. Das gefalle jedem, ist er sich sicher – und hofft, dass auch die Verantwortlichen zu diesem Schluss kommen und die Gestaltung "in Gärtners Hand" legen. Der Wunsch ist der Bürgerwehr einen donnernden Salut wert.

Thema Nummer drei hat es schon verschiedentlich auf die Agenda des Rottweiler Neujahrsschießens gebracht: Gefängnisneubau. Die aktuelle Variante beleuchtet die zeitliche Perspektive. Jahrelang habe es für viele Diskussionen gesorgt, bis man es so langsam leid hatte. Der Bürgerentscheid pro Standort "Esch" macht die Sache klar. Doch dreht das Projekt wegen der verschiedenen notwendigen Gutachten zu Themen aus Infrastruktur und Ökologie noch einmal eine Runde in der Warteschleife. Eine Fertigstellung im Jahr 2024 findet die Bürgerwehr angesichts dieser Rahmenbedingungen "vermessen", hofft aber, dass nicht noch andere Faktoren die Realisierung des Gefängnisneubaus weiter verzögern.

Der vierte Schuss zielt verbal nicht so weit, sondern direkt in die Nachbarschaft, dorthin, worauf bis 2016 manches Kanonenrohr gerichtet war: Ob Rottweil die längste Fußgänger-Hängebrücke der Welt bekommen soll – sie führte irgendwo vom Bockshof über das Neckartal Richtung Testturm – werden die Bürger entscheiden. "Wir hoffen mit Umsicht", lässt die Bürgerwehr verlauten. Wenn sie aber käme, die Brücke, dann kämen mit ihr auch viele Besucher. "Sprunghaft steigen" werde die Zahl der Touristen, prophezeit Peiker – und sieht in der Stadt nicht das dann nötige Potenzial an Parkplätzen und Gastronomie.

Der vierte Schuss soll dazu beitragen, einen Plan zu entwicklen, der Rottweil die erwarteten Touristen mit "kaum Möglichkeiten zum Verweilen" empfängt.

Schließlich empfiehlt die Bürgerwehr der Stadt: "Maß halten". Das vergangene Haushaltsjahr sei ohne Verschuldung geschafft worden, allerdings schlügen große Projekte Verwaltung und Rat auf den Magen: Feuerwehrhaus, Schulsanierung, Mehrzweckhalle in Göllsdorf, neuer Parkraum und Sanierung der Innenstadt treiben die Ausgaben in die Höhe. "Kürzen, sparen oder verschieben", seien die zur Verfügung stehenden Alternativen zur Verschuldung auf Kosten kommender Generationen, meint Peiker. Die Vorgabe, es bei finanziell Machbarem zu belassen, bringe keinen Verdruss.

Damit ist die Bürgerwehr kurz vor dem Finale angelangt. Der sechste Schuss ist den Wünschen für ein gutes Jahr für Stadt und Bürger gewidmet. Eine Ermunterung für die Narrenzunft ist auch mit drin: Deren Engagement in Sachen Narrentag werde von der Bevölkerung sicher "mit einem großen Dank honoriert", lautet der Wunsch. Und bei diesen Gegebenheiten lässt sich gut wünschen: "Schauet alle nach vorn, das soll sein euer Bestreba, und vergesset net: ›’S goht zwei Mol dagega.‹"

Noch etwas ist anders in diesem Jahr: Das Schießen kommandiert jetzt Jürgen Henne – und es gibt eine neue Dramaturgie. Nach den Salven der Handwaffenschützen sind zwar nach wie vor die Modellkanonen dran, doch folgen deren Saluts nicht mehr dem Motto "Rohr eins... Feuer!", sondern jeder Salut bekommt eine andere Struktur. Was bleibt, sind die drei Salven der verbliebenen großen Kanonen zum Finale: eindrucksvoll.