Der Streit um den Bolzplatz der Jugendherberge: Wer streicht zuerst die Segel: OB Broß oder Bürger Pahl? Foto: Schickle Foto: Schwarzwälder-Bote

OB sieht sich Vorwurf der Lüge ausgesetzt

Von Armin Schulz

Rottweil. In dieser Geschichte geht es längst nicht mehr nur um einen Bolzplatz am Rande der Innenstadt (wir berichteten mehrfach, erst wieder kürzlich). Etwa darum, wann und wie dieser genutzt werden darf. In dieser Geschichte geht es vielmehr darum, wie eine Stadt mit ihren Bürgern umgeht. Bürgern, die sich nicht alles gefallen lassen wollen. Die Geschichte handelt davon, wie sich die Verwaltung verhält, wenn es strittig, brenzlig und für sie unangenehm wird. Wie sie mit Recht und Ordnung umgeht, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Und wie sie nun mit (fast) allen Mitteln versucht, sich dieses Recht zu verschaffen. Und sei es, dass sie in die Trickkiste greift, um zum Ziel zu gelangen. Klar: In dieser Geschichte ist Feuer unterm Dach.

u Die Protagonisten: Sie sind stadtbekannt. Sie haben schon vor Jahren die Bühne betreten, wenngleich vor allem hinter den Kulissen die Strippen gezogen werden. Diese Stadt wird repräsentiert vom Oberbürgermeister, von Ralf Broß, und freilich vom Gemeinderat. Auf der anderen Seite steht der Bürger Thomas Pahl. Und mittendrin: Karl Rosner als Geschäftsführer des Jugendherbergswerks im Land. Die drei, Broß, Rosner und Pahl, streiten, ringen und fetzen sich seit zwei Jahren wegen des Bolzplatzes an der neuen Jugendherberge (Juhe), Oberamteigasse 13. Es geht um die Zeiten, in denen die Juhe-Besucher das Multifunktionsgelände, den Bolzplatz, nutzen dürfen. Laut Baugenehmigung kann das bis 22 Uhr geschehen.

Dagegen geht der Bürger Pahl vor. Ihm ist das – 22 Uhr – zu lange. Er fühlt sich im Recht, legt Widerspruch ein. Mittlerweile ist aus dem Streit um den Bolzplatz ein Streit ums Prinzip und ein Duell zwischen Broß und Pahl geworden. u  Ein Leserbrief: Dass Thomas Pahl sich so stark für sein Recht einsetzt, beschert ihm nicht nur Freunde. Er sei schon übel beschimpft worden, sagt er. Auch von Stadträten. Jens Jäger ist Stadtrat. Jäger hat gestern zur Feder gegriffen und ein Stückchen über Pahl geschrieben. Und so lesen wir: Jäger wirft Pahl die Verschwendung Tausender Euro an Steuergeldern vor, die durch "Ihr Lärm-undKrach-Projekt verbraten" würden.

u Die Anfeindungen: Warum sich Pahl diesen Anfeindungen ausgesetzt sieht, hat vielleicht damit zu tun, dass er offen sagt, was er denkt, dass er über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt, und dass er eben die Nutzungszeiten eines Bolzplatzes geregelt haben will, der von seinem Wohnhaus, Oberamteigasse 9, weiter weg liegt. Zumal der Platz seinetwegen bereits verlegt worden sei, wie Rosner sagt. Daher mag es einige geben, die sich denken: "Was regt sich dieser Mann eigentlich so auf?" u Die Rechtsstreitereien: Der Streit zwischen Pahl und der Stadt hat in der Tat schon einiges gekostet. Doch die Stadt ist selbst schuld daran. Sie musste schon einmal die Segel streichen. In einem anderen Verfahren. Da ging es zwar auch um die neue Jugendherberge, indes nicht um den Bolzplatz, sondern um die Nutzung der Seminarräume. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gab Pahl Anfang des Jahres Recht und untersagte eine öffentliche Nutzung, etwa als Tagungsstätte, der Jugendherberge. Eine entsprechende Passage im Bebauungsplan der Stadt sei unwirksam, so die Richter. Die Stadt musste die Gerichts- und Anwaltskosten in voller Höhe tragen und hatte hierfür 20 000 Euro in den Haushalt gestellt. Ob Jäger diese Kosten im Kopf hat? Ob er da etwas verwechselt? Ob er noch weiß, dass es in dieser Sache einen Kompromissvorschlag Pahls gab, Verwaltung und Gemeinderat indes ablehnten, im sicheren Gefühl, diesen Prozess zu gewinnen? u Ohne Worte: Anstatt das Gesprächsangebot Pahls, das dieser erneut in einem Offenen Brief an die Stadträte gemacht hat, anzunehmen, greift Jäger lieber zum Stift und äußert Dinge wie: Solle Pahl doch in die Bürgersprechstunde kommen, dort dürfe er all seine "Nöte, Ängste und Befürchtungen rund um Ihr Großprojekt Lärm und Krach um Ihr Haus, sofern wir diese noch nicht kennen", vortragen. Das ist die Meinung Jägers. Nun wäre interessant zu wissen, wie die anderen Stadträte darüber denken. Beispielsweise über die folgende Faktenlage. u Die Fakten zum zweiten Verfahren, zum Bolzplatz: Das Regierungspräsidium Freiburg als übergeordnete Behörde und Rechtsaufsicht der Kommunen ist eine Art Aufpasser der Stadt Rottweil. Nun heißt es ja im Volksmund: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Umso bemerkenswerter ist es, was das RP, genauer die Abteilung Wirtschaft, Raumordnung, Bau-, Denkmal- und Gesundheitswesen, der Stadt bereits im Mai ins Stammbuch schreibt, nachdem das mittlerweile dritte Lärmgutachten vorliegt. Das RP verlangt, dass die Stadt die Nutzungszeiten wie folgt festlegt: für das Multifunktionsgelände werktags von 12 bis 20.30 Uhr sowie sonn- und feiertags von 14 bis 20.30 Uhr. Das RP macht deutlich, dass es sich hier nicht um einen Akt der Nächstenliebe etwa gegenüber Herrn Pahl handelt, sondern mit Schreiben vom 10. November äußert es: "Mit der oben fixierten Regelung soll auf der Grundlage der derzeitigen Sach- und Rechtslage ein objektiv rechtmäßiger Zustand hergestellt werden." Umgehend solle dies geschehen. An diesen Zeilen gibt es nichts zu deuteln. Nichts anderes will Pahl. Doch man ahnt es: Es tut sich nichts. u Die Rolle des OB: aussitzen, Zeit gewinnen. Die Aussage des RPs liegt vor. Was getan werden muss, ist klar: ein rechtmäßiger Zustand muss her, weil es diesen nicht gibt. Und was sagt die Stadt, der OB? "Wir schlagen nun konkrete Nutzungszeiten vor, allerdings sind wir hier noch im Verfahren und können daher noch keine endgültigen Zeiten bestätigen." Und: "Dieses zweite Verfahren ist beim Regierungspräsidium anhängig und noch nicht abgeschlossen". Im Klartext: Da dem OB nicht passt, was er da vom Sachbearbeiter des RP vor Monaten auf den Tisch bekommen hat, geht er nun eine Stufe höher. Er wird beim Vorgesetzten vorstellig. Vielleicht geht ja was, von Chef zu Chef. Es ist der Griff nach der Macht. u Die Verdrehungen: Es fängt damit an, dass Broß in einer Stellungnahme verbreitet, man sei sehr wohl offen für Gespräche. Pahl belegt hingegen, wie er seit beinahe zwei Jahren in dieser Sache vorwärtskommen will, wie er Gespräche, Treffen, Entscheidungen, Umsetzungen und die Befolgung der Rechtslage über seinen Anwalt regelmäßig einfordert. Wie er sich außergerichtlich einigen will. Er belegt, wie die andere Seite, Stadt und Jugendherbergswerk, blockiert, vertröstet, auf Zeit spielt. Und wie aus einem Gesprächsersuchen seinerseits ein Gesprächsangebot des OB wird. Ein Beispiel, das auch deshalb interessant ist, weil die Geschichte um einen weiteren, einen bedeutenden Aspekt bereichert wird – um das Gebäude in der Oberamteigasse 10, direkt gegenüber der Jugendherberge. u Die Widersprüche: Pahl hat Interesse am Kauf des Gebäudes Oberamteigasse 10. Das Haus gehört der Stadt. Sie will dieses marode, indes unter Denkmalschutz stehende Gebäude veräußern. Im November 2012 ist die Rede davon, dass dort Wohnungen und ein Café hineinkommen sollen. Am 2. Mai dieses Jahres hat Pahl einen Termin mit einem Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes wegen des Hauses. Dieser wird kurzfristig, zwei Stunden zuvor, abgesagt. Anscheinend hat der OB interveniert. Pahl ist irritiert, es kommt sechs Tage später zu einem Treffen mit Broß.

Der OB stellt dieses Treffen nun so dar, als habe er eingeladen, um die strittige Angelegenheit mit dem Bolzplatz zu lösen. Pahl sagt, der OB lüge. Anlass sei nicht der Streit um den Platz gewesen, sondern sein Kaufinteresse an der Oberamteigasse 10. Zweites Beispiel: Broß behauptet, die Stadt habe zusammen mit dem Jugendherbergswerk ein Mediationsverfahren vorgeschlagen und Pahl habe abgelehnt. Auch hier sagt Pahl, der OB lüge. Er habe gegenüber dem Juhe-Geschäftsführer einer Vermittlung zugestimmt. Als man von ihm jedoch verlangte, er solle ein Drittel der Kosten tragen, habe er abgelehnt. Warum solle er etwas bezahlen, wo doch die Rechtslage eindeutig sei?, fragt er sich. u Der Griff in die Trickkiste: Vorab ein Wort zum Schutz vor Lärm. Je näher sich Wohnungen am Bolzplatz befinden, desto restriktiver die Nutzungsbedingungen. Pahl wohnt eigentlich zu weit weg, um sich vom Lärm richtig gestört fühlen zu dürfen. Daher wurden die Festlegungen, wie sie im dritten Lärmschutzgutachten stehen und wie sie das RP im Mai formuliert hat, angesichts näher liegender Wohngebäude getroffen: vor allem die Oberamteigasse 10. Hinzu kommen Schlachthausstraße 1 und 2, Oberamteigasse 11 und Bruderschaftsgasse 1. Der Trick: Broß will die Nutzungsbedingung der Oberamteigasse 10 ändern. Sein Ziel: Dort dürfen keine Wohnungen mehr gebaut werden. Das Gebäude soll für die Jugendherberge saniert werden. Die restriktiven Lärmschutzbedingungen, so seine Überlegungen, könnten dann gelockert werden. u Die Alte Paketpost: Der so bezeichnete Schotterplatz vor dem alten Gefängnis wird seit Jahren als Parkplatz benutzt. Nun, nach sieben Jahren, gibt es jemanden, der daraus etwas machen will: Merz Immobilien. Der Rottweiler Immobilienhändler soll nach dem Willen der Stadt verschiedene Varianten einer Bebauung zu Wohn- und Gewerbezwecken entwickeln lassen. Noch gehört Merz Immobilien das Grundstück nicht. Es ist sowieso die Frage, wie das alles unter einen Hut zu bekommen ist – Bebauung, Jugendherberge, Oberamteigasse 10 und Lärmschutzgutachten, zumal dieses Grundstück, der Schotterplatz vor dem Gefängnis, relativ nahe des Juhe-Bolzplatzes liegt. Ob Broß’ Trick dann noch funktioniert? Hinzu kommt Streit im Gemeinderat, da ein Stadtrat ebenfalls Kaufinteresse an der Oberamteigasse 10 angemeldet hat.

u Was bleibt: Rosner ist ein armer Tropf. Der Geschäftsführer kann wohl am wenigsten dafür und hat auf die Versprechungen der Stadt gebaut, das Gebäude mitsamt Gelände drumherum als Juhe bestmöglich nutzen zu können. Als Tagungshotel, als attraktive Übernachtungsstätte, mit Bolzplatz bis 22 Uhr. Jetzt sieht er die Felle davonschwimmen und fragt sich, ob die Juhe in der Stadt eine Zukunft hat.

Broß geht aus dieser Sache beschädigt heraus. Einerseits kann er die Versprechen nicht einhalten, die er gegenüber der Jugendherberge gegeben hat. Andererseits präsentiert er sich erneut als jemand, der Konflikte nicht aus der Welt schaffen kann, sondern sie eskalieren lässt. Pahl wird sich weiterhin Anfeindungen ausgesetzt sehen. Weil etliche in der Verwaltung und im Gemeinderat wohl immer noch der Meinung sind, dass sie, wenn es um das vermeintliche Wohl der Stadt geht (beispielsweise eine attraktive Jugendherberge in der Stadt zu haben), beim Recht auch mal Fünfe gerade sein lassen können. Genau dagegen kämpft Pahl an. Ihm geht es nicht mehr um den Bolzplatz. Er spricht von "Beamtenwillkür, Machtmissbrauch", einem Gebaren von OB und Verwaltung nach dem "Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt". Und deswegen ist es so wichtig, Leute wie Pahl hier in dieser Stadt zu haben.