Bürgerentscheid: Sprecher nennen in offenem Brief Vergleich mit Aquasol-Parksituation "unredlich"

Rottweil. Mit einem offenen Brief wendet sich die Bürgerinitiative (BI) "Rottweil OHNE Hängebrücke" vor dem Bürgerentscheid an die Rottweiler. Sie fordert darin auf, am 19. März mit Nein zu stimmen.

Drei Gründe greifen die Sprecher der BI, Winfried Hecht, Gisela Stier und Werner Fischer, auf, die ihrer Meinung nach für die Ablehnung des geplanten Baus einer Fußgängerhängebrücke vom Testturm auf dem Berner Feld in die Innenstadt sprechen. So habe der Investor bisher noch keine Planung vorgelegt, die den genauen Trassenverlauf mit Andockstelle beim Bockshof erkennen lasse. In der Informationsbroschüre verweise er lediglich auf den seit längerem bekannten Korridor, wonach sich der Startpunkt zwischen Pulverturm und Dominikanermuseum befinden solle. Der Investor ignoriere dabei laut BI die Empfehlungen aus dem Bürgerdialog und auch die Hinweise aus dem Gemeinderat, wonach die Andockstelle nur im Bereich des Dominikanermuseums denkbar ist. Hecht, Stier und Fischer weisen darauf hin, dass nun beim Bürgerentscheid die Möglichkeit bestehe, mit "einem klaren Nein" den Bockshof als Ruhe- und Erholungsort zu erhalten.

Auch dass für an Schönwettertagen 2000 bis 4000 erwarteten Tagestouristen in der Innenstadt die notwendige Infrastruktur fehle, ist für die BI ein Grund gegen das Projekt zu stimmen. In diesem Zusammenhang greifen die Sprecher das Thema Parkplätze auf. Schon heute gebe es Tage, an denen die Stellplätze kaum ausreichen würden. Verschärfend komme hinzu, dass mit der Bebauung in der Höllgasse "45 Stellplätze wegfallen werden". Weitere 65 Stellplätze werden fehlen, wenn im Nägelesgraben das Neckarcenter realisiert werde, rechnet die BI in ihrem offenen Brief vor. In Zweifel ziehen Hecht, Stier und Fischer den Vergleich von Oberbürgermeister Ralf Broß mit der Situation am Aquasol, wo für 400 000 Besucher im Jahr bis zu 320 Stellplätze zur Verfügung stehen. Sie sprechen von einem "unredlichen Vergleich", der die Parkraumproblematik herunterspielen solle. In einem Rechenbeispiel geht die BI von jeweils rund 200 Besuchern aus, die zeitgleich im Aquasol sind, sodass die 320 Stellplätze beim Bad und der Stadthalle tatsächlich ausreichten.

Im Aufruf des Oberbürgermeisters, beim Bürgerentscheid am 19. März mit Ja zu stimmen, mache Broß die Bürger zu Mitverantwortlichen bei der Realisierung des Projekts. Dadurch fühlt sich die BI an Stuttgart 21 erinnert, "wo heute von den Verantwortlichen darauf hingewiesen wird, dass doch seinerzeit die Mehrheit der Bürger im Volksentscheid den neuen Tiefbahnhof wollte". Auch deshalb rufen Hecht, Stier und Fischer dazu auf, diese Mitverantwortung bei dem Brückenvorhaben mit einem Nein beim Bürgerentscheid abzulehnen.

Hier der offene Brief der Bürgerinitiative "Rottweil OHNE Hängebrücke" im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren, die Stadt Rottweil hat in den letzten Tagen an sämtliche Haushaltungen von Rottweil die Informationsbroschüre zum am 19. März 2017 vorgesehenen Bürgerentscheid verteilt mit der Aufforderung, im Bürgerentscheid mit JA zu stimmen. Nach Ansicht der Bürgerinitiative "Rottweil OHNE Hängebrücke" gibt es viele gute Gründe, mit NEIN zu stimmen. 1. Der Investor hat bisher noch keine Planung vorgelegt, die den genauen Trassenverlauf mit Andockstelle beim Bockshof erkennen lässt. In der Informationsbroschüre verweist er lediglich auf den seit längerem bekannten Brückenkorridor, wonach sich der Startpunkt zwischen Pulverturm und Dominikanermuseum befinden wird. Er ignoriert dabei vollkommen die Empfehlungen aus dem Bürgerdialog und auch die Hinweise aus dem Gemeinderat, wonach die Andockstelle nur im Bereich des Dominikanermuseums denkbar ist. Aber warum sollte er auch. Oberbürgermeister Broß hatte doch im März 2016 ausdrücklich gesagt, dass die Trassenführung allein in der Entscheidung des Investors liegt, da dieser auch die Kosten trägt. Der Investor kann also nach eigenen wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden und dabei den Bockshof als Ruhe-und Erholungsort zerstören. Und dazu soll die Bürgerschaft von Rottweil kein Mitspracherecht haben? Bürgerinnen und Bürger von Rottweil, Sie können mitentscheiden und zwar mit einem klaren NEIN im Bürgerentscheid. 2. Mit der Brücke werden an Schönwettertagen 2000 bis 4000 Tagestouristen erwartet. Die hierfür in der Innenstadt notwendige Infrastruktur ist nicht vorhanden. So fehlen ausreichende WC-Anlagen, es sei denn, dass der Investor seine Aussage wahr macht und neben Imbissbuden noch WC-Dixies auf dem Bockshof aufstellt. Ein weiteres großes Problem ist die Bereitstellung von ausreichendem Parkierungsraum in der Innenstadt. Schon heute gibt es Tage, an denen die Parkplätze kaum ausreichen. Verschärfend kommt hinzu, dass mit der in Bälde vorgesehenen Bebauung der seitherigen Parkfläche Höllgasse dort 45 Stellplätze wegfallen werden. Weiter 65 Stellplätze werden fehlen, wenn im Nägelesgraben der seit langem geplante Investorenbau "Neckarcenter" realisiert wird. Und was sagt Oberbürgermeister Broß zu diesem Problem? Im Juli 2016 wies er auf das Aquasol als bestbesuchte Einrichtung Rottweils mit 400 000 Besuchern im Jahr hin mit der Bemerkung: "Man weiß, wie viele Parkplätze es dort gibt. Und man hat sicher nicht das Gefühl, dass dort der Verkehr zusammenbricht". In einem Leserbrief wurde dann die tatsächliche Situation dargestellt. Beim Aquasol einschließlich Stadthalle stehen insgesamt 320 Stellplätze zur Verfügung. Das Aquasol ist ganzjährig geöffnet. Bei rund 400 000 Besuchern im Jahr sind es pro Tag also rund 1000 Besucher. Bei täglich zwölf Stunden Öffnungszeit und einer durchschnittlichen Verweildauer von zwei Stunden befinden sich dann jeweils rund 200 Besucher im Aquasol. Für diese 200 Besucher stehen mehr als 300 Stellplätze zur Verfügung, sodass ein Verkehrschaos in diesem Fall tatsächlich nicht zu erwarten ist. Dieser damalige unredliche Vergleich wird nun von der Stadt in der Informationsbroschüre erneut aufgeführt. Damit will die Stadt die Parkraumproblematik herunterspielen. Sie hofft, dass die Bürgerschaft darauf hereinfällt. Liebe Bürgerinnen und Bürger, auch deswegen: NEIN im Bürgerentscheid. 3. Beim Bürgerempfang 2016 hatte Oberbürgermeister Broß erstmalig seine Idee vorgestellt, vom Testturm bis zur Innenstadt eine Fußgängerbrücke durch einen Investor bauen zu lassen. Von dieser Vision ist er auch heute noch begeistert, wie seiner Rede beim Bürgerempfang 2017 zu entnehmen war, als er Turm und Brücke 30 Mal erwähnte. In der Informationsbroschüre ruft er nun die Bürger auf, mit einem JA im Bürgerentscheid selbst zum Brückenbauer zu werden. Das bedeutet, er will die Bürger mit ihrem JA zu Mitverantwortlichen machen bei der Realisierung dieses Brückenvorhabens. (Dies erinnert stark an Stuttgart 21 mit seinen großen Problemen, wo heute von den Verantwortlichen darauf hingewiesen wird, dass doch seinerzeit die Mehrheit der Bürger im Volksentscheid den neuen Tiefbahnhof wollte). Deshalb Bürgerinnen und Bürger von Rottweil, lehnen Sie diese Mitverantwortung bei dem Brückenvorhaben ab. Sagen Sie NEIN im Bürgerentscheid. Sehr geehrte Damen und Herren, beim kritischen Lesen der Informationsbroschüre werden Ihnen noch weitere Zweifel kommen, mit Blick auf die Heilsversprechen, die mit der Brücke verbunden werden." Unterzeichnet durch die Sprecher der BI, Winfried Hecht, Gisela Stier und Werner Fischer