Fotos: Schnekenburger Foto: Schwarzwälder-Bote

Inklusives Tanztheaterprojekt besticht

Es gibt ein Wort, das ganz groß über dem Abend steht: Begegnung. Diese geschieht im Tanztheaterprojekt "Danze senza Distanze" auf ganz unterschiedliche Weise. Oder besser: Sie ergibt sich am Dienstagabend immer wieder aufs Neue.

Rottweil. Im Saal der Edith-Stein-Schule begrüßt Leiterin Cornelia Graf die Besucher und verspricht, dass sie "mit unterschiedlichen Sprachen, vor allem der Musik, der Bewegung, des künstlerischen Ausdrucks" in Berührung kämen. Im Mittelpunkt stünden Menschen mit und ohne Behinderung. Gut eine Stunde später kann man feststellen: Ja, das ist so. Zumindest zum Teil. Denn auch das Handeln der Menschen ist zentraler Teil dieses Abends. Stichwort "Begegnung": Sie findet durch dieses Handeln auf der Bühne statt – und bezieht, wenn zunächst auch nur mittelbar, das Publikum schnell mit ein.

Protagonisten sind "I Ragazzi di Castelnovo", eine Gruppe von Menschen mit Behinderung, die über die Organisation "FA.CE" in der Provinz Reggio Emilia betreut werden, und die auch schon mit Musik-Projekten an die Öffentlichkeit traten. Ingrid Schorscher hat mit ihnen das Tanztheater-Projekt erarbeitet, das im Mai Premiere feierte. Seit Ende vergangenen Woche sind elf der "Ragazzi" mit Angehörigen und Betreuern zu Gast in Rottweil. Knapp ein halbes Jahr nach den Aufführungen in Italien galt es, "Danze senza Distanze" wieder aufzufrischen. Doch was heißt das schon, "auffrischen", bei Menschen, die ganz viel aus dem Moment heraus machen, die als Spieler und Tänzer nicht spielen und tanzen, sondern ganz sie selbst sind?

Den Gästen bot sich eine Fülle von Eindrücken, wie sowohl das eine als auch das andere eine Rolle spielt, wie mal das eine, dann das andere durchschlagen kann, wie ganz freie Entfaltung wieder auf die durch einen Impuls erinnerte "Handlung", den Bewegungsablauf, einschwingt, kein bisschen verlegen, nicht mit einem gewinnenden Lachen, sondern ganz selbstverständlich. Diese Impulse kommen teilweise durch die Musik, beziehungsweise durch Geräusche. Sie ersetzen die Stichwörter. Weitere Impulse kommen von den Mittänzern. Dabei sind auch Schülerinnen der Edith-Stein-Schule, die nicht nur Veranstaltungsort ist, sondern den Besuch der Ragazzi als Begegnungsprojekt im Fachbereich Heilerziehungspflege wahrnimmt. Die Mittänzer assistieren, leiten und agieren als Spielpartner auf Augenhöhe. Zu erleben, wie sensibel die Ragazzi auf die Interaktion reagieren und den eigenen Auftritt danach einrichten, war faszinierend.

Doch nicht nur dieser Aspekt, ein Detail, das sich am Dienstagabend vielfach lesen ließ, wird in Erinnerung bleiben. Zurück zur Begegnung, die sich auf der Bühne vor allem in poetischen Bildern vollzieht, apostrophiert in einem Schattentheater-Zwischenspiel: Ausgehend von der tänzerischen Vorstellung jedes Teilnehmers, der seine Qualitäten in dieser ersten Szene anklingen lassen darf und dem Zuschauer damit ein bisschen Hilfestellung gibt, über die verschiedenen Bilder, die sich erstaunlich dynamisch entwickeln können, begegnen die Ragazzi natürlich ihren Spielpartnern. Durch ihr unmittelbares Spiel lassen sie auch eine Begegnung des Publikums mit ihnen zu. Bei den Intermezzi, in denen mehrmals mit Verve auf vier gezählt wird, bieten sie diese Begegnung offensiv und mit sichtlicher Freude über das gelingen an. Und sie fördern Begegnung, indem sie zur Diskussion auch der Besucher unter sich über das Erlebte anregen.