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Agenda-Kino Rottweil zeigt Dokumentarfilm über das Leben als Landwirt. Der Kreisbauernvorsitzende Manfred Haas teilt seine Empfindungen

"Wachse oder weiche" – der Leitspruch prägte über Jahrzehnte die Landwirtschaft. Tausende von Bauern hätten aufgegeben oder in den Nebenerwerb gewechselt. Das Leben als Bauer mit den Herausforderungen der heutigen Zeit.

Rottweil. Die Schlange ist lang. Bis nach draußen vor das Central-Kino stellen sich die Leute an, um den vom Agenda-Kino gezeigten Dokumentarfilm "Bauer unser" eine Karte zu sehen. Bereits vor den Toren des Kinos fachsimpeln die Ersten. Neue Erkenntnisse zum Glyphosat regen zur Diskussion an. Junge, alte, unwissende und welche vom Fach füllen den Kinosaal und sind gespannt auf den Streifen.

"Wachse oder weiche", leitet Raymund Holzer von der Lokalen Agenda 21 den Abend ein. Dabei heißt er nicht nur die Kinogäste willkommen, sondern begrüßt auch Gäste wie die Vertreter des Vereins Solidarische Landwirtschaft Baarfood aus Villingen-Schwenningen, Agraringenieur Manfred Kränzle und den Kreisbauernvorsitzenden Manfred Haas – und lässt dabei erahnen, welche Diskussion sich dem Dokumentarfilm anschließt.

"Drei Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig", "alles auf Kosten der Bauern", "Zwang zu wechseln erfasst die Letzten. Der Druck ist groß", "austauschbar", "acht, neun Euro zahlen wir pro Schwein dazu", "Selbstmordrate in der Landwirtschaft" – Schlagzeilen und Zitate wie diese sorgten für Kopfschütteln, Zustimmung oder lautstarke Empörung im Publikum.

"Es ist realitätsgetreu. Der Inhalt ist auf uns übertragbar", gibt Manfred Haas im Gespräch mit unserer Zeitung seine Empfindung über den Dokumentarfilm wider. Eine Aussage, die ihm besonders im Gedächtnis geblieben ist: Die erhöhte Selbstmordrate in der Landwirtschaft, festgestellt von José Bové, Mitglied des europäischen Parlaments. Haas berichtet dabei von seinem "ehemaligen" Bekanntenkreis. Wenn es wirtschaftlich nicht läuft, könne schon mal Druck entstehen. Mit der Frau streite man dann auch mal über Themen, vor allem in finanzieller Hinsicht, die man sonst nie als Streitpunkt in Betracht gezogen hätte. Es sei wie ein Hamsterrad. "Das nimmt manchmal die Motivation", gibt Haas zu, "trotzdem, ich kämpfe weiter."

Einer Aussage des Films stimme er aber gar nicht zu. Ein Bauer finde schwer eine Frau? Das sei "unrecht", stellt Haas klar. "Das ist nicht der Beruf, sondern der Kerle!"

Den Zwang zu wachsen, spüren die Landwirte. "Man hat eins nicht abgezahlt und braucht schon wieder was Neues", berichtet Haas. Der Kreisbauernvorsitzende betreibt eine vielseitige Landwirtschaft. Milchkühe, Legehennen und Zuchtsauen sowie ein vielfältiger Ackerbau gehören zu seinem Betrieb in Flözlingen. 2003 habe er einen kompletten Neubau außerhalb des Orts gewagt. Der Anpassungsdruck durch den Markt sei knallhart. "Man wird in die Knie gezwungen." Als Bauer brauche man viel Selbstbewusstsein, sagt auch Agraringenieur Kränzle. Aber nicht die Industrie ernähre die Bevölkerung, sondern die Landwirte, macht er Mut.

70 Hektar am Tag verbaut

Früher hätte man 40 bis 60 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, führt Haas auf. Heutzutage seien es nur noch zehn Prozent, der Rest werde in Luxusgüter investiert. Ein Zustand, der zu günstigeren Preisen am Markt führt, denn um in andere Güter investieren zu können, müssen die Preise für Grundbedürfnisse gesenkt werden. Die Konsumenten freut’s, zum Leid der Bauern. Diese versuchen die niedrigen Gewinnmargen durch größere Produktionsmengen zu kompensieren. So entsteht ein Teufelskreis, denn Angebot und Nachfrage führen zu weiter sinkenden Preisen.

Besonders getroffen habe die Landwirtschaft das Russland-Embargo, so Haas. Doch ein ihm am Herzen liegendes Thema sei der Flächenverlust. Pro Tag werden in Deutschland 70 Hektar Land verbaut. Ein durschnittlicher Landbetrieb habe 35 Hektar. Ein Zustand, den Haas nur mit Kopfschütteln kommentieren kann.

Ebenfalls verständnislos steht er dem Vorhaben der EU-Kommission entgegen. Diese möchte ab 2018 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf ökologischen Vorrangflächen verbieten. Wie solle man mit diesen Bedingungen Soja-Anbau betreiben? Deutschland importiere rund vier Millionen Tonnen Sojafuttermittel, heißt es im Dokumentarfilm. Dafür müssen große Flächen der Regenwälder gerodet werden. Mit der richtigen Bearbeitung ist sich Haas sicher, könne Soja auch hier gut angebaut werden. Doch "ohne Schutz kann man es auch bleiben lassen". Gegen das Vorhaben kämpfe er mit seinem Verband, sagt Haas entschlossen.

Das größte Problem in der Landwirtschaft sieht er aber in der Entfremdung von der Bevölkerung von der Urproduktion. Ein Ereignis, das ihn besonders getroffen habe, sei ein Kindergartenbesuch auf seinem Hof gewesen. Eines der Kinder durfte an der Besichtigung nicht teilnehmen – es stinke danach zu sehr, wenn es dem Schweinestall einen Besuch abstatte. Das seien Momente, die einem die Motivation rauben, gibt Haas zu.

Doch er kämpft weiter und möchte mit Projekten wie der Gläsernen Produktion, einem Tag der offenen Tür sowie anderen Aktionen der Entfremdung entgegenwirken. Finanziell habe man schon viele Krisen überwunden. Und es werden auch noch weitere kommen, ist sich Haas sicher. Früher habe es viele Bauern in einem Dorf gegeben, heute könne man froh sein, wenn einer da ist.