Freuen sich auf die neue Spielzeit im Zimmertheater (von links): Andreas Ricci (Schauspieler), Jens Schmidl (Regisseur), Peter Staatsmann (Intendant, Regisseur), Sandra Reineboth (Schauspielerin), Niklas Leifert (Schauspieler) und Bettina Schültke (Intendantin, Dramaturgin). Foto: Zelenjuk Foto: Schwarzwälder-Bote

Kultur: Das Fremde steht im Mittelpunkt der neuen Zimmertheater-Spielzeit – zu entdecken in uns selbst

Was bedeutet Anderssein? Wer ist der Fremde? Und wie gehen wir mit ihm um? Unter dem Motto "Fremde sind wir uns selbst" startet das Zimmertheater Rottweil in die neue Spielzeit.

Rottweil. Das Programm ist gewohnt anspruchsvoll und stellt provokative Fragen, ermutigt die Zuschauer aber zugleich, aus dem gewohnten Denken hinauszutreten. "Darin liegt die große Funktion des Theaters", erklären die Intendanten Peter Staatsmann und Bettina Schültke. "Theater ist per Definition gegen jede Art von Vereinfachung und Dogmatismus. Theater zeigt, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt", sagt Staatsmann.

Innerhalb von Sekunden könne sich die andere Seite zeigen: Die Wahrheit müsse in der Aufführung gesucht werden – von einem mitdenkenden, reflektierenden Publikum. "Aber auch Gefühle sind wichtig. Beide zusammen macht das Theater so besonders", weiß Schültke.

Der erste große Schritt in das Thema der Spielzeit soll die Premiere von "Elefantenmensch" am 14. Oktober sein: Die Aufführung ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Anderssein. Im Mittelpunkt steht der junge, durch Verwachsungen schrecklich entstellte John Merrick, ein "verkörperter Alptraum", der seinen Lebensunterhalt in einer Freakshow verdient. Geistig völlig gesund, will er nicht als Monster wahrgenommen werden, sondern als menschliches Wesen mit Träumen, Hoffnungen und Gefühlen. Doch auch in der "besseren Gesellschaft" wird er nur begafft.

Der Andere ist der Sensibelste

Der auf den ersten Blick evident Andere stellt sich als der Sensibelste heraus. "Er ist ein zartes Kind, das nie bösartig oder verbittert wird, egal was ihm passiert", erklärt Schültke. Wer ist also das Monster – Begaffter oder Gaffer? "Das hat heute durchaus gesellschaftliche Parallelen", ist Staatsmann überzeugt. "Es passiert oft, dass die Ängste alles überwältigen. Und die Geschichte mit so einer Figur im Mittelpunkt setzt es gut ins Bild, ist sehr handgreiflich, sehr kräftig."

Die Regie hat Jens Schmidl übernommen. Der erfahrene Regisseur, der unter anderem an großen Häusern in Berlin und Frankfurt gearbeitet hat, bringt neue Impulse und frischen Wind für Schauspieler wie für das Publikum.

Am 27. November geht es mit "Peter Pan" weiter. "Ein richtiges Familienstück", versichert Schültke. Auf dem Digital-Akkordeon gespielte Live-Musik soll für besondere Atmosphäre sorgen.

"Musik macht Theater zugänglicher, sie ist ein Medium für die Öffnung der Gefühle", betont Staatsmann. Er zeigt sich überzeugt: Zimmertheater-Kinderstücke sind eine Schule für Gefühle. "Kinder und Jugendliche lernen hier, die eigenen Gefühle zuzulassen. Denn in der realen Erwachsenenwelt werden Gefühle schnell abgehandelt." Theateraufführungen würden dagegen Raum bieten, wo ein Gefühl groß werden könne. Auch Aggression, Traurigkeit oder Hass seien keine Tabus.

Mit Hinblick auf das Motto der Spielzeit werden auch in "Peter Pan" wichtige Fragen aufgegriffen: Was ist Normalität? Was heißt erwachsen werden? Und: Ist die Überanpassung notwendig?

"My Fair Lady" ist im Bockshof zu sehen

Ähnliche Themen stehen dann im "Hofmeister" von J. M. R. Lenz im Fokus – jenem Stück zwischen Grotesk, Satire und Realität mit grellen, starken Momenten. In "Hofmeister" stellt Lenz die freiwillig gewählte Abhängigkeit des Bürgertums und dessen fehlenden Kampfgeist in Frage, kritisiert aber auch den Hochmut des Adels.

Beim Sommertheater im Bockshof wird ab 30. Juni eine Mischung aus Schauspiel und Musik serviert. In "My Fair Lady" will Professor Henry Higgins aus dem Blumenmädchen Eliza Doolittle eine Lady mit korrekter Aussprache modellieren, um sie in die höhere Gesellschaft einzuführen. "Der Gelehrte betrachtet sie als Versuchskaninchen für sein Experiment", so Schültke. Doch wann endet die Erziehung und wo beginnt die Selbstverleugnung? Auch hier geht es um komplexe Zusammenhänge, sagt Staatsmann.

Neben Theateraufführungen finden in der Spielzeit 2016/2017 Lesungen, Diskussionen, Musikabende und Gastspiele statt. Viel Wert legen die Intendanten nach wie vor auf die Kinder- und Jugendarbeit – das Angebot reicht von Schulvorstellungen und Nachbesprechungen über Klassenzimmerstücke und Workshops bis hin zur Teilnahme an Jugendclubs. Zudem soll die Zusammenarbeit mit dem Rottweiler Stadtschreiber Dmitrij Gawrisch sehr intensiv sein. Gawrischs "Brachland" führt die Stückbox Basel am 1./2./ 3. Dezember im Zimmertheater auf.