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41-Jähriger wegen räuberischer Erpressung vor Gericht. Täter und Opfer lernen sich über Internet kennen.

Kreis Rottweil - Ein Sadomaso-Chatroom, Hundefutter im Wert von 250 Euro und ein Arzt, der keiner ist: Ein Verfahren vor dem Amtsgericht Rottweil wegen räuberischer Erpressung bringt eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen ans Licht.

Mit einer halben Stunde Verspätung erscheint der Angeklagte im Gerichtssaal. Der zierliche Mann trägt einen Schnurrbart, seine Wangenknochen sind eingefallen, die langen dunklen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Die Frage, die das Schöffengericht am Amtsgericht Rottweil in den nächsten drei Stunden beschäftigt: Hat dieser Mann im April 2015 seiner Bekannten unter Androhung von Schlägen das Smartphone entwendet?

Während seiner Aussage wippt der 41-Jährige aus Flensburg unablässig mit dem Bein auf und ab. Alles begann, so der Angeklagte, in einem Sadomaso-Chatroom. "Ich wollte mir das nur mal angucken." Dabei habe er angefangen, mit einer 47-jährigen Frau aus dem Kreis Rottweil – dem späteren mutmaßlichen Opfer – zu schreiben und später auch zu telefonieren. Sie besuchte ihn kurz darauf in Flensburg. "Die war total verliebt in mich", meint der 41-Jährige. Da sie von ihren Geldsorgen erzählte, schickte er ihr 500 Euro per Einschreiben.

Als er "die Sache" beenden wollte, drohte sie laut seiner Aussage mit Selbstmord. Die Ehefrau des Angeklagten – die die Chats und Telefonate mitverfolgt hatte – rief daraufhin die Polizei, die Frau wurde für eine Nacht in das Rottweiler Vinzenz-von-Paul-Hospital eingeliefert.

Danach besuchte er sie auf ihr Drängen, wohnte zwei Wochen bei ihr, bis es zu einem Streit kam und er das besagte Handy als Anzahlung für die geliehenen 500 Euro einbehalten wollte. Gedroht habe er ihr nicht. Soweit die Aussage des Angeklagten.

Profilbild des Angeklagten zeigt "eine Hammer Frau"

Als seine Chatbekanntschaft in den Zeugenstand tritt, schildert sie einen anderen Verlauf der Dinge. Auch sie spricht von der Internetplattform "SMC", wobei das Profilbild des Angeklagten laut ihr "eine Hammer Frau" zeigte. Nebenbei erwähnt sie, mit welchen weiteren Informationen sein Profil bestückt war: Er sei transsexuell und stehe kurz vor einer Geschlechtsangleichungs-OP.

Nach mehreren Besuchen in Flensburg, wo sie mal (während sie auf den Schlüssel für seine Jacht warteten) "die ganze Nacht im Auto durchgequatscht" oder im Hotel "Fernseh geguckt" haben, wollte sie die Sache beenden. Was für eine "Sache" das denn gewesen sei, will der Richter wissen.

"Wir haben mal geknutscht, vielleicht mal ein bisschen Geschlechtsverkehr gehabt", antwortet die Zeugin. In ihrem Mietvertrag war er zwischenzeitlich auch eingetragen. "Ich hatte Angst vor ihm", erklärt die 47-Jährige diesen Umstand. Er habe sie bei seinem Besuch von der Außenwelt abgeschottet: Sie durfte nicht mehr telefonieren, nicht ohne ihn einkaufen gehen. "Er hat gesagt, er sei Arzt und kann mich jederzeit wieder in die Psychiatrie bringen." Dass er kein Mediziner ist, habe sie erst gemerkt, als er ihren Puls messen wollte und dabei den Daumen benutzte.

Bleibt noch die Frage nach dem Geld. Von dem will die Zeugin keinen Cent gesehen haben. "Er hat mir nie Bargeld in die Hand gedrückt. Auch nicht geschickt." Nur Hundefutter hat er gekauft, als er sie besuchen kam – für 250 Euro. Als nach zwei Wochen ein Streit eskalierte, drohte er ihr mit den Worten: "Gib mir das Handy oder ich schlag zu." Eine Bekannte habe daraufhin die Polizei gerufen. Als sie nicht direkt nachweisen konnte, dass das Handy ihr gehört, durfte es der Angeklagte vorerst behalten. Wo das Gerät sich heute befindet, bleibt unklar. "Wahrscheinlich vertickt", kommentiert die Geschädigte.

Freundin soll Drohung am Telefon mitbekommen haben

Momentan steht also Aussage gegen Aussage. Hat der Flensburger die Frau aus der Region bedroht oder nicht? Zeugen müssen her, um Licht ins Dunkle zu bringen. Da wäre beispielsweise die Freundin des mutmaßlichen Opfers. Die hat die Drohung am Telefon mitbekommen, alles verstehen konnte sie allerdings nicht. "Erst als geschrien wurde", so die Freundin. Aber hatte der Angeklagte der 47-Jährigen nicht verboten, zu telefonieren? Manchmal ging das laut Aussage der Freundin dann doch – auf dem Klo oder auf dem Weg zum Zigarettenautomaten.

Zuletzt tritt die Ehefrau des Angeklagten in den Zeugenstand. Sie bestätigt die Geschichte ihres Ehemanns. "Manchmal bin ich bei den Gesprächen schon rot geworden", antwortete sie auf die Frage des Richters, um was es in den Telefonaten ging. "Mein Mann hat ihr immer wieder Geld geschickt, bis ich gesagt habe: Jetzt reicht es." Mitgemacht habe sie das Ganze sowieso nur, weil sie ihm vertraue und es in letzter Zeit bei ihnen "nicht so lief".

Viele persönliche Details, die die Schöffen öfter zum Stirnrunzeln bringen und zu noch mehr Verwirrungen bezüglich der Beziehung von mutmaßlichem Täter und Opfer führen – das ist die Bilanz der Verhandlung. Letztendlich steht für das Gericht auch nach der Zeugenbefragung Aussage gegen Aussage. "Der Fall kann so passiert sein", erklärt der Richter. "Von einer sicheren Überzeugung können wir aber nicht sprechen."

Der Grundsatz "in dubio pro reo" – im Zweifel für den Angeklagten – müsse daher in diesem Fall greifen. Auch die 18 Einträge des Angeklagten im Bundeszentralregister könnten laut Richter an diesem Grundsatz nichts ändern: "Der Spruch ›einmal Verbrecher, immer Verbrecher‹ entbindet nicht davon, es konkret nachzuweisen." Der Angeklagte wird freigesprochen.

Der Richter verlässt den Saal, der Angeklagte packt seine Tüten und Taschen zusammen, die Ehefrau springt mit unzufriedenem Gesicht vom Sitz auf, scheint noch Fragen an ihren Mann zu haben. "Lass doch mal gut sein jetzt", sagt der soeben Freigesprochene. Wie es aussieht, hat der 41-Jährige keine Lust mehr auf weitere Fragen zu dieser Geschichte. Wie sich das Ganze tatsächlich zugetragen hat, wissen am Ende also nur die Beteiligten.