Gestern Abend kam Bernd Lucke in den Landkreis Rottweil. Er sprach vor Publikum und Kameras. Foto: Parage

Vorsitzender der neuen Partei "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" spricht über Rechtsstaatlichkeit und die Flüchtlingskrise.

Kreis Rottweil - Jetzt also doch: Im zweiten Anlauf hat Bernd Lucke, Bundesvorsitzender der neuen Partei Alfa (Allianz für Fortschritt und Aufbruch) am Mittwochabend tatsächlich den Landkreis besucht. Sein Thema in Rottweil: zurück zur Rechtsstaatlichkeit.

Die Partei ist noch jung, der Bundesvorsitzende allerdings ein bekanntes Gesicht: Bernd Lucke, der vor zwei Jahren die "Alternative für Deutschland" gegründet hatte. Nach parteiinternen Querelen und einem verlorenen Machtkampf gegen die heutige Vorsitzende Frauke Petry trat Lucke aus und gründete im Sommer Alfa. Rund 50 Zuhörer wollten den Mann an deren Spitze gestern Abend im Rottweiler Pflugsaal erleben. Sogar das ZDF hatte ein Kamerateam geschickt, um über die Veranstaltung zu berichten. Die ging ohne besondere Ereignisse über die Bühne.

Dabei war der Start im Landkreis Rottweil holprig gewesen: Den ersten, für 12. November in Glatt vorgesehenen Auftritt hatte Lucke abgesagt – er hätte parallel zur Veranstaltung mit Frauke Petry in Sulz stattfinden sollen. Auch Petry reiste nicht an. Vom Widerstand, der der AfD-Veranstaltung in Sulz entgegengeschlagen war, war gestern Abend in Rottweil nichts zu spüren.

Für seinen Vortrag hatte Bernd Lucke sich ein Thema ausgesucht, das ihn nach eigenen Angaben einst in die Politik brachte: die Rechtsstaatlichkeit. "Eine Regierung muss Vorbild sein in der Art und Weise wie sie Recht und Verträge respektiert", erklärte er. Das sei in Deutschland und Europa oft nicht der Fall. Als Beispiel nannte der 53-Jährige unter anderem die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Unter ihr sei die tatsächliche Neuverschuldung verbotenerweise höher gewesen als die Investitionen. Lediglich im Haushalts-Plan, also auf dem Papier, habe sich die Regierung an die vorgeschriebene Regelung gehalten. So sei das im Gesetz aber nicht gemeint. "Das ist eine ganz widerwärtige Missachtung der Verfassung."

Dass sich darüber hinaus EU-Staaten munter weiterverschulden, weit mehr als dies in den EU-Verträgen vorgesehen sei, passt Lucke genauso wenig. Für seine Aussagen erhielt er in Rottweil immer wieder Applaus.

Immer wieder kam er auch auf das allgegenwärtige Thema Flüchtlinge zurück. Noch vor Beginn seiner Ansprache ging er auf die jüngsten Terroranschläge in Paris ein. Die meisten der Angreifer hatten die französische oder belgische Staatsbürgerschaft, dennoch fühlten sie sich offenbar nicht als Belgier oder Franzosen, sondern dem Islamischen Staat zugehörig (IS). "Das ist etwas ganz Beunruhigendes." Mit Blick darauf meinte er, dass Deutschland viel zurückhaltender mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft sein müsse. Denn wer einen deutschen Pass hat, der kann nicht mehr des Landes verwiesen werden. Und Integration, meinte Lucke, hänge nicht mit der Staatsbürgerschaft zusammen.

Am Ende des Vortrags kam er auf die Flüchtlingskrise zurück. "Ich bin sehr dafür, im Rahmen unserer Möglichkeiten großzügig Hilfe anzubieten. Wir können es aber nicht unbegrenzt tun."

Zudem streifte er TTIP, das Freihandelsabkommen, das die USA und Europa miteinander aushandeln. Und dann stellten die Zuhörer dem Wahl-Brüsseler, Lucke sitzt im EU-Parlament, ihre Fragen. Gerhard Aden, FDP-Landtagskandidat aus Rottweil, meldete sich als Erstes zu Wort. Er erfuhr auf seine Frage nach den Flüchtlingsströmen, dass Lucke befürchtet, es könnte sich um eine historische Bewegung handeln. Es gebe immer mehr "gescheiterte Staaten" wie Libyen, Afghanistan oder Somalia.

Franz Maurer und andere Alfa-Mitglieder aus dem Landkreis nutzten gestern die Chance, Unterstützerunterschriften zu sammeln. Der 52-jährige Waldmössinger will im März im Wahlkreis Rottweil für den Landtag kandidieren. Als Ersatzbewerber ist Lothar Maier aus Dornhan nominiert.

150 Unterstützerunterschriften sind notwendig. Dass diese zusammenkommen, darüber macht sich Walter Häcker, Mitglied im Kreisverband, keine Sorgen. Anders allerdings sieht es mit dem Einzug in den Landtag aus. Alfa ist nach Meinung des Dietingers noch nicht bekannt genug. Viele brächten die Partei noch mit der AfD in Verbindung. "Das ist für uns eigentlich eine Abwertung." Billige Vorschläge gegen Flüchtlinge wie bei der Alternative für Deutschland würden zu Alfa nicht passen, erklärte Häcker.

Auch Bernd Lucke distanzierte sich deutlich von seiner einstigen Partei. Allerdings bedurfte es dazu der Nachfrage eines jungen Mannes, der mit anderen Jugendlichen vom anderen Ende des Saals aus die Veranstaltung verfolgte. Er wollte wissen, wie sich Alfa und AfD unterscheiden. "Schon über Ton und Art und Weise, wie wir über Asyl denken, unterscheiden wir uns erheblich", erklärte Lucke. Zudem stünde seine Partei zur Mitgliedschaft in der Nato.

Ein anderer Zuhörer fragte, warum Lucke sein Mandat fürs europäische Parlament nach dem Austritt aus der AfD nicht niedergelegt hatte. "Das ist mangelnder Respekt gegenüber dem Wählerwillen", befand er. Nicht so der 53-Jährige.

Andere vermissten, dass Lucke nichts zu den Wahlzielen oder zum Klimaschutz gesagt hatte. Und es ging um Luckes Leib-und-Magen-Thema, den Euro. Wie lange es den noch gibt? Mit viel Geld für Krisenstaaten könne man ihn noch lange am Leben erhalten, sagte Bernd Lucke. Er hatte gestern offenbar Zeit mitgebracht: Nach zweieinhalb Stunden Veranstaltung beantwortete er noch immer Fragen aus dem Publikum.