Nationalsozialismus: Wenige Besucher bei Ergenzinger Ausstellung zum Vernichtungslager Grafeneck

Betroffenheit, Fassungslosigkeit und ein Heimatkreis-Chef Helmut Schäfer, dem angesichts der über 10 000 Euthanasieopfer im Vernichtungslager Grafeneck binnen eines Jahres weinend die Stimme versagte. All das sorgte für einen denkwürdigen Auftakt der Ausstellung.

Rottenburg-Ergenzingen. Zwar waren es nur 23 Besucher – das Aufsichtspersonal inbegriffen –, die an diesem Abend den Weg zur Ausstellungseröffnung in der Mensa der Gemeinschaftsschule im Gäu fanden, aber Schulleiterin Isabelle Vogt und Ortsvorsteher Reinhold Baur verwiesen in ihren Grußworten auf eine Fülle von Veranstaltungen, die parallel an diesem Abend stattfanden. Sie verliehen der Hoffnung Ausdruck, dass diese vom Ergazenger Heimatkreis, der Gemeinschaftsschule und Ortsverwaltung geförderte Wanderausstellung der Gedenkstätte Grafeneck über das Wochenende noch von den Bürgern frequentiert wird.

Bereits vor der offiziellen Eröffnung hatten 120 Schüler der Klassen acht bis zehn die Ausstellung und den Vortrag von Thomas Stöckle, dem Leiter der Gedenkstätte Grafeneck besucht.

Dass diese zehn Stellwände umfassende Dokumentation des Grauens in Ergenzingen zu sehen ist, verdankt man vor allem dem rührigen Vorsitzenden des Ergazenger Heimatkreises Helmut Schäfer, einigen Mitgliedern des Vereins, dem Lehrer Bernhard Hermannn und Schülern der ehemaligen Werkrealschule. Bei den Recherchen zu dem jüngsten Buch des Heimatkreises ("Ergenzingen zur Erinnerung gegen das Vergessen"), welches den Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege gewidmet war, stieß man unter anderem auch auf drei Menschen, die in Grafeneck umgebracht wurden.

Dabei handelt es sich um Ludwig Barth, einem Poltringer, der wohl nach Ergenzingen geheiratet hat, um Rupert Baur und um Wilhelm Renz. Die Recherchen des Heimatkreises ergaben zudem, dass Karl Blocher im Konzentrationslager Buchenwald und Anton Baur in Dachau ermordet wurden.

Glück im Unglück hatte die Hirschwirtstochter Julie Grammer, die sich in der Anstalt Rottenmünster (bei Rottweil) befand: Sie sprang gleich dreimal dem Tod von der Schippe. Als die Nazis damit begannen, per Bus die Menschen aus den Anstalten und Heimen einzusammeln und nach Grafeneck zu bringen, hatte Julie Grammer in Rottenmünster Fürsprecher. Diese riefen dann, rechtzeitig bevor der Bus kam, in Ergenzingen an, man möge die Julie doch für ein paar Tage nach Hause holen. Genutzt hat es allerdings nicht sonderlich viel: Julie Grammer verstarb mit 38 Jahren angeblich an "Herzlähmung munite" in Rottenmünster.

Für den Historiker und Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, Thomas Stöckle, steht der Name Grafeneck, in der Nähe von Münsingen gelegen, für eines der staatlichen Großverbrechen des Nationalsozialismus und für die industrielle Ermordung (mit Kohlenmonoxyd) von Menschen. Diese seien überwiegend aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und aus psychiatrischen Kliniken gekommen.

In der Zeit vom 18. Januar bis zum 13. Dezember 1940 seien 10 654 Männer, Frauen und Kinder aus 48 Behinderteneinrichtungen ermordet worden. Letztere hätten viele Jahrzehnte zu den vergessenen Opfern gezählt. Charakteristisch sei auch, dass die Opfer aus diesen Einrichtungen weder in Stadt- noch Ortschroniken Erwähnung fanden – zum Teil bis heute noch nicht. Mit dem Bau der Gedenkstätte am Ort des Verbrechens im Jahre 1990, wohlgemerkt 50 Jahre nach der Tat, sei diese Mauer des Schweigens durchbrochen worden. Mittlerweile sei die Zahl der Besuchergruppen auf 500 pro Jahr angestiegen.

In der Berliner Tiergartenstraße 4, wo sich dereinst das berüchtigte Dezernat "T4" befand (zuständig dafür, dass "lebensunwerte Menschen" wie körperlich oder psychisch Kranke, die länger als fünf Jahre in sogenannten "Krüppelheimen" einsaßen, beseitigt wurden), entstand erst im Jahre 2014 ein Denkmal für die Opfer. Dies sei ein Indiz für einen nicht ganz unproblematischen Umgang von Staat und Gesellschaft mit Tätern und Opfern.   Die Ausstellung ist noch heute und morgen von 14 bis 18 Uhr geöffnet.