Aktuell sind 510 Flüchtlinge im ehemaligen Dräxlmaier-Gebäude untergebracht. Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Situation der Ergenzinger Flüchtlinge ist dominierendes Thema in der Lokalpolitik / Polizei stockt Personal auf

Von Tim Geideck und Klaus Ranft

Rottenburg-Ergenzingen. Ebenso schnell, wie die Ergenzinger Flüchtlingsunterkunft vor gut einer Woche eröffnet wurde, eroberte sie auch die Tagesordnungen der Behörden und politischen Gremien. Erste Veränderungen zeichnen sich nun ab, die Zukunft der Unterkunft an sich bleibt hingegen weiterhin unklar.

Breiten Raum nahm die am vergangenen Dienstag über Nacht hochgezogene Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet Höllsteig bei der jüngsten Sitzung des Ergenzinger Ortschaftsrates ein. Ortsvorsteher Reinhold Baur ging dabei noch einmal auf die Informationsveranstlung in der Heilig-Geist-Kirche ein, die nicht alle der 800 teilnehmenden Bürger mit einem guten Gefühl im Bauch verlassen hätten. "Nicht alle Fragen seien zufriedenstellend beantwortet worden und manche zu sehr mit Politiker-Floskeln erschlagen worden", stellte Baur in nachfolgenden Gesprächen mit Bürgern fest.

Die Stimmung in Ergenzingen beschreibt der Ortsvorsteher als gemischt: "Es gibt gewisse Ängste und Vorbehalte, aber auch eine Riesen-Hilfsbereitschaft." Speziell im Höllsteig, in dem Gewerbetreibende nicht nur arbeiten, sondern auch leben, habe es inzwischen die ersten Begegnungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen gegeben, die für Irritationen sorgten. "Dort haben wir die größte Dichte an Flüchtlingen im Ort. Und die Flüchtlinge sind halt neugierig und schauen auch mal, was abseits der Straße so los ist", sagt Baur.

Ein wichtiges Anliegen sei es dem Ortschaftsrat daher, auf dem Areal der Flüchtlingsunterkunft mehr Freifläche zur Verfügung zu stellen, auf der sich die Bewohner aufhalten können. Zudem soll über die Seebronner Straße eine zweite Zufahrtsmöglichkeit zur Flüchtlingsunterkunft geschaffen werden. Baur: "Das wäre relativ einfach zu machen." Problem sei, dass der Höllsteig durch sein Fitnessstudio und eine Gaststätte vergleichsweise stark frequentiert sei. Mögliches Konfliktpotenzial wolle man durch die zweite Zufahrtsmöglichkeit frühzeitig entschärfen.

Präventiv will auch die Polizei agieren. Pressesprecher Björn Reusch bestätigt auf Nachfrage unserer Zeitung: Die Zahl der Beamten auf dem Ergenzinger Polizeiposten wird nahezu verdoppelt – von vier auf sieben. Zwar werden weiterhin nur maximal vier Beamte gleichzeitig in Ergenzingen präsent sein, dafür werden die Öffnungszeiten ausgedehnt: von 7 bis 20 Uhr. Um das zu realisieren, muss ein Schicht-System eingeführt werden, und das macht die Personalaufstockung notwendig.

Notwendige EDV für Registrierungist noch nicht vor Ort

Neu ist auch: Ab sofort wird eine Streife des Polizeireviers Rottenburg speziell für Ergenzingen abgestellt und dort nachts unterwegs sein. "Uns liegt die Sicherheit der Bevölkerung und der Flüchtlinge sehr am Herzen. Wir wollen Präsenz zeigen und möglichst rund um die Uhr Ansprechpartner sein", unterstreicht Sprecher Reusch, der aber auch verdeutlicht: Bislang habe man im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterkunft keinerlei Straftaten festgestellt.

Wie hingegen die Zukunft der Flüchtlingsunterkunft selbst aussieht, scheint bislang vollkommen unklar. Laut dem zuständigen Regierungspräsidium (RP) in Tübingen sei noch nicht einmal die notwendige EDV vor Ort, um die Flüchtlinge zu registrieren. Denn: Bislang habe das Innenministerium noch gar nicht entschieden, ob Ergenzingen überhaupt langfristig eine Notunterkunft bleibt, sagt RP-Pressesprecher Carsten Dehner. Und solange diese Entscheidung noch nicht getroffen sei, werde auch die EDV nicht nach Ergenzingen geschickt. Nachteil für die Flüchtlinge: Ohne Registrierung erhalten sie keine finanziellen Leistungen und werden nur mit Nahrung, Wasser und Kleidung versorgt. Doch ohne Geld ist eine Kontaktaufnahme mit in der Heimat zurückgebliebenen Familienangehörigen schwer möglich. Das sorgt für Frustration.

Zwar sagt RP-Pressesprecher Dehner: "Unsere Absicht ist, Ergenzingen nur so lange aufrecht zu halten, wie es notwendig ist." Schließlich sei sei der Standort in einem Gewerbegebiet "nicht ideal", da Flüchtlinge dort schwieriger in die Gesellschaft integriert werden könnten. Andererseits macht sich Ortsvorsteher Baur aber keine Illusionen, dass die Notunterkunft ebenso schnell wieder verschwindet wie sie gekommen ist. Der Flüchtlingsstrom reiße nicht ab, geeignete Gebäude für die Unterbringung sind Mangelware – wenn das Land also erst eine Flüchtlingsunterkunft gefunden hat, werde es sie so schnell nicht wieder aufgeben.

Für Baur ist daher wichtig, das Beste aus der Situation zu machen. Zentrale Forderung ist, dass die Zahl der Flüchtlinge in Ergenzingen nicht vierstellig wird. Laut RP ist die Unterkunft momentan für 500 Personen ausgelegt, gestern waren dort 510 Flüchtlinge untergebracht. Die Kapazitätsgrenze ist damit längst erreicht. Doch auch aus einem anderen Grund zeichnet sich eine Vergrößerung ab: Derzeit hat das Land rund ein Drittel des ehemaligen Dräxlmaier-Gebäudes als Flüchtlingsunterkunft angemietet. Ein weiteres Drittel wird zum Jahresende frei, wenn die Firma Reflecta auszieht. Baur räumt ein: Das Areal an sich biete tatsächlich mehr als 500 Flüchtlingen Platz. "Aber 1000 sollte das Maximum sein", so der Ortsvorsteher.

Wie geht es nun weiter mit der Ergenzinger Flüchtlingsunterkunft? RP-Pressesprecher Dehner betont: "Die Flüchtlinge müssen eine Beschäftigung haben." Wichtig seien vor allem Deutsch-Kurse. Konkret geplant seien diese in Ergenzingen aber noch nicht. "Das ist alles noch in der Anlaufphase", verweist Dehner auf den kurzen Zeitraum seit Inbetriebnahme der Unterkunft.

Auch für den Ergenzinger Ortschaftsrat wird die Situation im Höllsteig in den kommenden Wochen das dominierende Thema bleiben. "Wir sammeln Ideen, um Verbesserungen herbeizuführen", meint Ortsvorsteher Baur, der im Dialog mit den Bürgern bleiben will: "Unser Plan ist, die Bevölkerung regelmäßig zu informieren." Eine Gelegenheit dazu würde sich bei der schon lange anberaumten Bürgerversammlung am kommenden Mittwoch, 30. September, ergeben. Das erst vor einer Woche auf die lokalpolitische Agenda gerückte Flüchtlingsthema steht zwar nicht auf der Tagesordnung. Es zur Sprache zu bringen, wird sich am Mittwoch aber kaum vermeiden lassen.