Vor dem Landgericht Tübingen muss sich derzeit ein Mann aus Rottenburg verantworten, der seine Ehefrau getötet hat. Foto: dpa

53-Jähriger Rottenburger wegen Totschlags angeklagt. Trieb ihn finanzielle Misere in Verzweiflung?

Rottenburg/Tübingen - Er wollte seinem Leben selbst ein Ende setzen. Doch bei dem Versuch, diesen Plan in die Tat umzusetzen, ist alles schiefgelaufen. Am Ende ist nicht er, sondern die Frau des 53-jährigen Rottenburgers, der jetzt wegen Totschlags angeklagt ist, tot.

Ihm kommen die Tränen, als er vor der 5. Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts erzählt, was sich einen Tag vor Heilig Abend vergangenen Jahres zugetragen hat.

Doch zunächst ist der 53-Jährige überraschend ruhig und gefasst. Bevor er später seine Tat schildern wird, erzählt der Mann, dass er einmal ein ganz normales Leben gehabt habe, einen festen Arbeitsplatz, eine harmonische Ehe. 30 Jahre lang habe er bei einer Rottenburger Firma als Lackierer gearbeitet. "Das hat mir Spaß gemacht", erinnert er sich zurück. Auch mit seiner Frau sei er glücklich gewesen. Es habe nie Streit gegeben.

Die beiden hatten sich 1995 in einer Diskothek in Ofterdingen kennengelernt, 2002 heiratete das Paar. Das Leben des Angeklagten gerät seinen Schilderungen zufolge erst Anfang 2015 aus den Fugen. Er bekommt einen Bandscheibenvorfall und wird für ein Jahr krankgeschrieben. Dann der Schock: Am 22. April erhält er seine Kündigung mit Wirkung zum November. Der Grund: Die Firma muss schließen.

Mehrere tausend Euro ausgeliehen

Die Nachricht trifft den 53-Jährigen hart. Die größte Misere für ihn scheint aber seine finanzielle Situation zu sein. Rund 700 Euro Schulden habe er monatlich an eine Bank zurückzahlen müssen, seine Frau habe etwa 230 Euro pro Monat tilgen müssen. Sowohl er als auch seine Frau hätten immer wieder für Anschaffungen wie beispielsweise Möbel kleinere Kredite aufgenommen. Im Laufe der Jahre war die Summe der Schulden wohl aus dem Ruder gelaufen. Rund 58.500 Euro habe der Angeklagte nach Angaben eines Finanzermittlers der Bank letztendlich geschuldet.

Der Angeklagte ist verzweifelt, leiht sich mehrere tausend Euro von seinem Vater. In der Hoffnung, Geld zu gewinnen und seine Misere zu lindern, besucht er zwei Mal die Spielbank in Stuttgart-Möhringen – und verliert jeweils hohe Beträge. Der Angeklagte sieht seine Lage als aussichtslos an. Am 11. Mai 2015 trifft er zum ersten Mal den Entschluss, sich umzubringen. Doch er bringt es nicht über das Herz. "Ich musste an meine Frau und meine Kinder denken", erzählt er.

Als er nach seinem geplanten Suizid wieder nach Hause kommt, erzählt er seiner Familie davon. "Meine Frau hatte daraufhin ständig Angst, dass ich mir etwas antun könnte, sie rief mich jeden Tag von der Arbeit aus an." In der darauf folgenden Zeit habe es immer Familienmitglider gegeben, die ihm während seiner Krankheit und Arbeitslosigkeit zu Hause Gesellschaft geleistet hätten, sagt er. Im Dezember habe er dann kein Krankengeld mehr bekommen. Hartz IV hätte ihm zugestanden, doch er habe es nicht beantragen wollen. Den Plan, sich umzubringen, habe er damals schon gefasst.

Seine Frau habe nicht mitbekommen, dass er im Dezember keinerlei Einnahmen mehr gehabt habe. Als kurz vor Weihnachten wieder Mahnungen wegen ungeleisteter Zahlungen kommen, hat der Angeklagte wohl genug.

Am Morgen des 23. Dezembers sei es zum Streit mit seiner Frau gekommen. "Ich bringe mich um!", habe er sie angeschrien. "Dann bring mich gleich mit um!", habe seine Frau zurückgeschrien.

Dann geschah das, wovon er vor dem Landgericht sagt: "Ich weiß nicht, was da passiert ist." Er schildert, dass er seine Frau gepackt und sie vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer geschoben und auf das Bett geschubst habe. "Dann habe ich sie mit beiden Händen am Hals gewürgt, bis sie sich nicht mehr bewegt hat." Daraufhin habe er seine tote Frau noch einmal umarmt und gesagt: "Ich bin gleich bei dir, Schatz!"

So schnell wie möglich möchte sich der Mann nun auch umbringen. Der Plan: Er setzt sich in einen Zug von Rottenburg nach Horb, geht zu einem Taxifahrer vor dem Bahnhof und bittet darum, zur Weitinger Autobahnbrücke gefahren zu werden. Dem Fahrer erzählt er, er wolle die Stelle besuchen, an der sich vor einigen Jahren eine Bekannte in den Tod gestürzt habe. Der Taxifahrer kann seinen Wunsch jedoch nicht erfüllen. Denn auf der Brücke ist Halteverbot. Also fährt er ihn unter die Brücke.

Verzweifelt über seinen misslungenen Plan entscheidet sich der Mann, nach Rottenburg zurückzufahren. Wieder zu Hause angekommen habe er begonnen, sich Mut anzutrinken, um sich die Pulsadern aufzuschneiden. "Aber das habe ich nicht fertig gebracht", sagt er. Schließlich habe er sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als sich auf dem Rottenburger Polizeirevier zu stellen.

Den Beamten berichtet er unter Tränen seine Tat. Er habe sich selbst umbringen wollen und habe seine Frau nicht mit den Schulden allein lassen wollen, habe er einem Beamten erzählt. Keine alltägliche Szene auf dem Rottenburger Polizeirevier. Die Beamten hätten zunächst nicht gewusst, ob sie dem Mann überhaupt glauben sollen.

Doch als sie mit der Kriminalpolizei das Haus des Angeklagten betreten, finden sie die Leiche im Schlafzimmer. "Sie lag auf dem Bett, zugedeckt bis zum Hals", schildert einer der Beamten die Szene.

Der Prozess wird am Montag, 27. Juni, fortgesetzt.