Sie standen den Bürgern am Montagabend Rede und Antwort: Ortsvorsteher Reinhold Baur (von links), Karl-Heinz Maier und Karl-Heinz Neuscheler vom Landratsamt Tübingen, die für Rottenburg zuständige Sozialarbeiterin Kirsten Modest, die Vorsitzende des evangelischen Kirchengemeinderares Katharina Marschall und der evangelische Ortsgeistliche, Pfarrer Timo Stahl Foto: Ranft Foto: Schwarzwälder-Bote

Kirchengemeinderat plädiert bei Infoveranstaltung für Solidarität mit Flüchtlingen / Ortsvorsteher Baur: "Das müssen wir hinkriegen"

Von Klaus Ranft

Rottenburg-Ergenzingen. Wenn alles so läuft, wie es das Tübinger Landratsamt geplant hat, wird Rottenburgs größter Stadtteil im Juni zehn weitere Flüchtlinge aufnehmen. Dieses Mal finden diese ihre vorübergehende Bleibe allerdings nicht mehr auf der Liebfrauenhöhe, sondern im Ort.

Das ehemals "Seehabers Haus", in unmittelbarer Nachbarschaft zum evangelischen Kindergarten und der Christuskirche soll künftig Asylbewerber beherbergen. Die evangelische Kirchengemeinde hatte das Haus in der Königsberger Straße 41, welches vor über 60 Jahren gebaut wurde, vor rund 20 Jahren erworben, um einen Vikar darin unterzubringen. Es stellte sich aber bald heraus, dass es den Ansprüchen nicht genügte. Schon vieles wurde dann mit diesem Gebäude geplant, dann aber wieder verworfen und so wurde es in den letzten Jahren privat vermietet.

Im Jahr 2014 hatte dann die Kirchengemeinde einer Familie, die bis dato letzter Mieter war, gekündigt. Nun soll dieses Haus auf Beschluss des Kirchengemeinderates, nach positiver Rückmeldung des Landratsamtes, zumindest vorübergehend zehn Flüchtlinge aufnehmen. Angemietet wurde das Gebäude seitens des Tübinger Landratsamtes ab dem 1. Juni dieses Jahres.

Pfarrer Timo Stahl nahm am Montagabend bei einer Info-Veranstaltung von Landratsamt und Kirchengemeinde im Saal unter der Christuskirche, der rund 40 Interessierte beiwohnten, noch einmal Stellung zu Entscheidung des Kirchengemeinderates. Das Haus entspreche nicht mehr den Bedürfnissen heutiger Wohnkultur und könne daher auch nicht mehr langfristig vermietet werden. Um es marktgerecht zu sanieren, sei eine sechsstellige Summe notwendig. Das könne man sich auf keinen Fall leisten.

Derzeit gebe es Gespräche und Planungen mit dem Oberkirchenrat, die Zukunft dieses Hauses und die Kirche betreffend. Es müsse eine große Lösung her. Unter anderem soll auch eine Machbarkeitsstudie in die Planungen einfließen.

Bis ein Ergebnis feststehe, könnten aber mindestens zwei Jahre vergehen. Man sei also vor der Frage gestanden, ob man das Haus so lange leer stehen lasse, oder es aber dem Landkreis, der händeringend Flüchtlingsunterkünfte suche, zur Verfügung stelle. Stahl schloss seine Ausführungen mit der Bitte um Solidarität mit den künftigen Hausbewohnern. Die Vorsitzende des evangelischen Kirchengemeinderates, Katharina Marschall, tat dies ebenfalls: "Niemand setzt sich ohne Not nachts in ein Boot und setzt damit sein Leben aufs Spiel."

Der Vertreter des Landratsamtes, Karl-Heinz Neuscheler, verwies noch einmal auf die Gesetzeslage, der zufolge das Land zwölf Prozent des Flüchtlingsstromes nach Deutschland aufnehmen müsse. Davon entfielen wiederum 2,3 Prozent auf den Landkreis Tübingen. Der Landkreis verteile die Flüchtlinge auf die Kommunen. Dort hätten dieselben Wohnpflicht, bis die Asylverfahren, die bis zu 15 Monate dauern können, abgeschlossen sind.

In der anschließenden Fragerunde gab es dann lediglich von drei benachbarten Einwohnern kritische Stimmen. Einer sah Konfliktpotenzial, wenn Asylbewerber vor dem Haus herumhocken, ein weiterer stellte die Frage, warum die Kirchengemeinde im letzten Jahr einer Familie gekündigt habe und das Haus nun für Asylbewerber freigebe und weiter, wie viel Geld die Kirchengemeinde denn für einen untergebrachten Flüchtling bekomme.

Pfarrer Timo Stahl wiederholte noch einmal, warum der Beschluss des Kirchengemeinerates "pro Asylbewerber" ausfiel und Karl-Heinz Neuscheler gab zur Höhe der Miete keine Auskunft. Er betonte aber, dass der Landkreis vom Land pro Asylbewerber einmalig im Jahr 13 600 Euro bekomme. In diesem Betrag sei alles enthalten, angefangen von der Miete, bis hin zur ärztlichen Versorgung.

Ein Dritter bemängelte, es wäre besser gewesen, man hätte die Bürger informiert, bevor man alles aus der Presse erfahren habe. Ortsvorsteher Reinhold Baur plädierte letztlich dafür, mit den Flüchtlingen offen umzugehen und sie zu integrieren. "Wir sind ein Ort mit 4000 Einwohnern, viele kleinere Gemeinden haben mehr Flüchtlinge aufgenommen als wir. Das müssen wir hinkriegen", so sein abschließender Appell.

(Kra) Die Flüchtlingszahlen steigen auch im Landkreis Tübingen rasant an. Dies teilte der Vertreter des Landratsamtes, Karl-Heinz Neuscheler, am Montagabend mit. 2010 musste der Landkreis noch 108 Flüchtlinge unterbringen. 2014 waren es dann schon 544 und in naher Zukunft rechne man mit bis zu 1200 Flüchtlingen pro Jahr, so Neuscheler. Derzeit seien Letztere auf 50 Standorte verteilt. Insgesamt 990 Plätze stünden zur Verfügung. Grundsätzlich seien eine ehrenamtliche Betreuung oder Unterstützung erwünscht. Überall, wo dies stattfinde, gebe es keine Schwierigkeit mit den Menschen in den Flüchtlingsunterkünften. Probleme gebe es allenfalls mit dem Müll und dessen Trennung. Dieses Problem lasse sich aber sehr schnell lösen. Zudem würden Hausmeister eingesetzt (am Anfang verstärkt). Die Flüchtlinge seien überwiegend dankbar für jede Hilfe und würden auch kostenlose Sprachkenntnisse überwiegend gerne in Anspruch nehmen.