Urteil nach brutaler Attacke auf Gambierinnen. 22-Jähriger hat Zuhause Nazi-Symbole in einer Vitrine aufbewahrt.

Rottenburg - Der gewalttätige Angriff auf zwei Gambierinnen in Rottenburg hat kurz vor Weihnachten große Teile der Stadt in Aufruhr versetzt. Der mutmaßliche Täter muss nun wegen gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung und Beleidigung für drei Jahre ins Gefängnis.

Auf der Anklagebank am Tübinger Amtsgericht saß am Donnerstag ein bleicher, schmal und jugendlich wirkender Mann – wenn man so will das Gegenteil vom Klischeebild des aggressiven Schlägers. Ein junger Mann, der trotz der heftigen Vorwürfe, die ihm gemacht werden, keine Miene verzog, sein letztes Wort nicht ergriff und die Verhandlung über sich ergehen ließ.

Nicht einmal die scharfen Worte der Staatsanwältin konnte ihm eine Reaktion abringen. Sie sagte, er habe eine hässliche Persönlichkeitsseite, die immer dann zum Vorschein komme, wenn er trinke: "Dann sind Sie Schläger und Rassist."

Der Angeklagte hat nach Überzeugung des Gerichts am 19. Dezember des vergangenen Jahres gegen 22.30 Uhr in der Nähe des Bahnhofs zwei Frauen aus Gambia, 28 und 37 Jahre alt, angegriffen.

Zuerst soll er die jüngere von beiden an den Haaren gepackt haben. Als die ältere ihrer Begleiterin helfen wollte, soll der damals 21-jährige Mann sie angegriffen, zu Boden gestoßen und an mehreren Körperstellen mit dem Stahlkappenschuh getreten haben, so schildert es ein 21-jähriger Zeuge, der die Szene zunächst von Weitem beobachtet und dann eingegriffen hat. Der mutmaßliche Täter soll bei seiner Attacke Beschimpfungen von sich gegeben haben, die gegen die Hautfarbe der Frauen und gegen Frauen im Allgemeinen gerichtet waren. Ein letzter Tritt in Richtung des Kopfes der Frau traf sie nicht.

Opfer leiden seit der Tat unter Schlafstörungen

"Nicht nur die Frauen hatten großes Glück, auch Sie hatten großes Glück", sagte die Staatsanwältin gestern zum Angeklagten. Die Verletzungen hätten schwerwiegender, möglicherweise auch tödlich sein können, wenn ihn nicht der Mann etwa gleichen Alters aufgehalten hätte.

Die Frauen, Nebenklägerinnen im Prozess, verfolgten die Verhandlung gefasst, die ältere von ihnen stützte aber oft die Stirn auf die Hände und blickte nur auf die Tischplatte, während ein Dolmetscher die Verhandlung mit leiser Stimme für sie übersetzte. Die Anwälte der beiden ließen mitteilen, dass ihre Mandantinnen von der Tat traumatisiert seien. Beide seien aus ihrer Heimat unter schwierigsten Umständen geflohen, wo sie frauenfeindliche Übergriffe erlebt hätten und hätten sich in einem Land gewähnt, in dem sie hofften, Schutz zu finden. Umso einschneidender sei das Erlebnis des erneuten Übergriffs, nun in Deutschland, für sie gewesen. Beide litten seither unter Schlafstörungen, die ältere der beiden verlasse das Haus nach 17 Uhr nicht mehr, sagte ihr Anwalt. Sie ist es auch, die schwere körperliche Schäden davongetragen hat, ihre Kniescheiben seien wegen der Tritte kaputt, heißt es.

Im Gerichtssaal waren gestern zwei Lager erkennbar: Auf der einen Seite die Unterstützer der Gambierinnen, zum Teil Landsleute, zum Teil Engagierte aus der Flüchtlingsarbeit. Auf der anderen Seite vor allem junge Männer und Frauen, die nicht mit den Flüchtlingen sprechen – einer trägt eine Lonsdale-Jacke, im Markennamen stecken die Buchstaben NSDA, was an die Partei NSDAP erinnert. Lange Zeit war die Marke in Neonazi-Kreisen verbreitet und kann nach wie vor damit in Verbindung gebracht werden.

Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung, Bedrohung (gegenüber einer Afrikanerin), Betrug und zwei Mal kam er mit der Justiz in Konflikt, weil er den Hitlergruß gezeigt haben soll, einmal sogar auf einer Videoaufzeichnung nachgewiesen.

Eine Wohnungsdurchsuchung beim Angeklagten hat ein klares Bild von seiner Gesinnung ergeben: Dort wurde eine Vitrine vorgefunden, in der Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf", mehrere Hakenkreuzsymbole, einschlägige Fotos und Briefmarken drapiert gewesen seien. "So ein richtiges Altärchen", sagte die Staatsanwältin.

Bereits im Alter von 14 Jahren Skinheads angeschlossen

Der Angeklagte hatte gegenüber einem psychiatrischen Gutachter gesagt, er sei nationalsozialistisch. Was das genau heiße, habe er aber nicht erklären können, sagte der Gutachter. Bereits mit 14 Jahren habe sich der Angeklagte eigenen Angaben zufolge den Skinheads angeschlossen. Vor Gericht sagte er nun, er sei damals fremdgesteuert gewesen, vor zwei Jahren habe bei ihm ein Umdenken eingesetzt. Das nahm ihm die Staatsanwältin nicht ab. Der Gutachter, vom Nebenklageanwalt als "wohlwollend" beschrieben, sagte, der Junge habe keine einfache Vergangenheit gehabt. Er sei außerdem alkoholabhängig. Bei der Tat soll er 2,29 Promille intus gehabt haben. Dennoch habe er gewusst, dass er eine Straftat begehe und sei – wenn auch wegen des Alkohols möglicherweise eingeschränkt – noch steuerungsfähig gewesen.

Die Staatsanwaltschaft forderte drei Jahre Haft für den Angeklagten und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Die Verteidiger des Angeklagten hätten zwei Jahre und sechs Monate Haft für angemessen erachtet. Das Gericht folgte jedoch dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Was alle Verfahrensbeteiligten vermisst haben, war eine Antwort auf die Frage, die schon eine der Afrikanerinnen beim Übergriff gestellt hatte: "Why?" Warum? Darauf habe er keine befriedigende Antwort geliefert, sagt ein gambischer Prozessbeobachter. Der Staatsanwältin fehlte vor allem eine Entschuldigung: "Sie wirken merkwürdig flach, hier ist nichts angekommen, was auf Mitgefühl schließen lässt." Der Verteidiger sagt: "Ich habe x-mal mit ihm über eine Entschuldigung gesprochen. Er sagt, er will’s. Aber er kann’s nicht." Durch die angeordnete Entziehungstherapie bestehe die Chance auf eine Nachreifung der Persönlichkeit, so die Hoffnung der Juristen im Gerichtssaal.

Die beiden Opfer werden mit ihren Anwälten in einem extra zu führenden Zivilverfahren für Schmerzensgeld kämpfen. Gestern stand die Summe von 12 000 Euro im Raum.