Flüchtlingskinder klatschen voller Freude bei den Trommelklängen mit. Eine spontane Trommel- und Tanzeinlage zeigt: Die Atmosphäre in Ergenzingen ist gut. Foto: Hopp

Die Atmosphäre scheint entspannt. Flüchtlinge führen Freudentanz auf. "Ich fühle mich glücklich hier".

Rottenburg-Ergenzingen - Was für eine Riesen-Herausforderung für das "kleine" Ergenzingen – zehn Tage ist es her, dass das ehemalige Dräxlmaier-Gebäude zur Erstaufnahme für Flüchtlinge wurde. Die erste Bilanz.

Angelo Locker steht am Eingang. Der ehrenamtliche Helfer aus Dornhan ist seit Sonntag täglich vor Ort. Gerade entspannt er ein bisschen. Am Vortag war er um 13 Uhr gekommen, heute Abend ist um 20 Uhr Schluss. Locker war schon in München vor Ort. Er sagt: "Das läuft total entspannt hier in Ergenzingen. Wir lassen niemand mehr ohne Anmeldung hinein. Das ist eine Konsequenz aus Donaueschingen: Dort haben die Lebensmittel-Spenden der Bevölkerung, die spontan in den Flüchtlingsunterkünften auftauchten, dazu geführt, dass die Situation dort eskalierte. Klar: Denn die Spenden reichen nicht für alle – das führt zu Stress."

Apropos Spenden: Gerade ist Locker dabei, die Kleiderkammer für die Flüchtlinge zu optimieren. Er erzählt: "Wir haben ohne Ende Spenden bekommen und haben genug." Eigentlich. Locker zieht einen Zettel aus der Tasche: "Wir benötigen Herrenjeans in Größe S und M, Schuhe ab Größe 42, am besten Sportschuhe, Winterjacken auch in kleinen Größen sowie Rucksäcke und Koffer. Schauen Sie, wie viele hier mit Tüten oder Säcken zum Einkaufen gehen."

Und stolz berichtet er, dass heute Abend noch zwei "Mädels aus Reutlingen kommen, die nach dem Feierabend den Flüchtlingen die Haare schneiden."

Blick auf das Gelände. Ein Flüchtling trägt stolz eine Adidas-Wetterjacke, die gespendet wurde. An den Füßen hat er Badelatschen. Eine Helferin sagt: "Die Jacke ist ihm wichtig. Da machen die fehlenden Schuhe nicht so viel aus." Ein anderer trägt einen top-modernen Haarschnitt. Kurios: Ein dritter trägt ein Sweatshirt mit der Aufschrift "Pyrotechnik legalisieren". Offenbar können sich die Helfer die Kleiderspenden nicht aussuchen...

Claudia Stöckl vom DRK Tübingen führt uns in die ehemalige Fabrikhalle. Wir setzen uns auf die Bierbänke in der Empore. Nebenan der Gebetsraum für die männlichen Muslime. Hinter der schwarzen Kunststoffabdeckung auf den Bauzäunen sind die Teppiche zu erkennen, die Richtung Mekka zeigen. Ganz hinten ist die Getränkebar. Stöckl: "Jetzt haben wir mit U.D.O. (betreibt unter anderem das Café Burgstall im Krankenhaus Horb, Anm. d. Red.) einen Caterer, der drei Mal am Tag Essen liefert. Dazu gibt es Tee, Kaffee und andere Getränke. Ein Reinigungsservice sorgt dafür, dass die Sanitär-Container alle zwei Stunden gereinigt werden. Jetzt haben wir auch eine mobile Krankenstation da."

Bewohner trommeln spontan um die Wette

Die erste Empore schützt mit Bauzaun und weißen Kunststoffplanen die Betten unten vor neugierigen Blicken. Der Aufbau erinnert an eine Messehalle. Oben die Relax-Zone für Getränke, Gespräche, Service. Stöckl: "Dort soll mein Büro rein, daneben ist die Ausgabe für die Waschutensilien. Dahinter die Getränketheke." Unten, wo sonst die Stände der Aussteller stehen, sind hier die Feldbetten, auf denen die Flüchtlinge in 25er-Gruppen schlafen müssen.

Schnell einen Kaffee aus dem Kunststoffbecher. Ich schaue mir die Menschen an. Plötzlich spricht mich Ahmad aus Syrien an: "Are you German? Can you help me?" Vor sich hat er ein Blatt mit dem deutschen Alphabet. Daneben etwas in Arabisch. Er zeigt auf das O und sagt fragend: "Ou?" Ich zeige ihm die runden Lippen und spreche "O". Er und seine beiden Kameraden sprechen es nach und malen die Lautschrift auf arabisch auf ihr Papier.

Stöckl winkt mich rüber. Sie hat Amar Fanssa gefunden. Der Syrer, der seit einer Woche in Ergenzingen ist. Stöckl: "Es herrscht hier ein munteres Kommen und Gehen. Die Flüchtlinge dürfen sich ja in ganz Deutschland bewegen, wenn sie registriert sind. Die sind alle vernetzt über ihr Smartphone. Manche versuchen, sich zu Fuß durchzuschlagen. Wir mussten schon ein paar von der Autobahn holen. Das habe dazu geführt, dass wir zwischendurch nur 271 waren. Jetzt sind wir wieder 530 – heute Nacht kamen wieder sechs Busse."

Amar ist geblieben. Wie war seine erste Woche in Ergenzingen? Der Englisch-Student aus Aleppo: "Es ist alles gut. Es gibt kaum Probleme, die Leute, die hier arbeiten, sind sehr freundlich und hilfsbereit. Ich fühle mich glücklich und entspannt hier." Auch die Ergenzinger Bevölkerung ist sehr freundlich zu den Flüchtlingen, erzählt er: "Nur einige Türken haben zu uns gesagt, wir sollen zurück nach Syrien gehen!"

Birsin A. gehört sicherlich nicht dazu. Die Türkin steht mit Sonja aus Ergenzingen in der Kleiderkammer und strahlt: "Jetzt haben wir alles perfekt. Die Kleidung und Schuhe sind jetzt nach Größe in Regalen sortiert. Die Regale haben die Flüchtlinge aufgebaut – das ging rasend schnell. So können wir viel effizienter arbeiten." Sonja strahlt, Begeisterung ist in ihren Augen zu sehen: "Es ist jetzt wie ein Laden hier! Am Montag, nachdem wir ein Kleider-Ausgabechaos auf den Biertischen hatten, haben wir uns überlegt, wie wir das Ganze optimieren. Denn wenn wir das nicht effizient machen, können wir gar nicht alle Flüchtlinge, die vor der Tür warten, bedienen!"

Locker kommt mit zwei Handwerkern in die Kleiderkammer. Er führt sie ins Eck und sagt: "Hier müssen die Löcher rein." Helferin Sonja: "Da installieren wir jetzt noch eine Umkleide. Damit die Frauen die BHs nicht hier vorne am Ausgabetisch anprobieren müssen." Die Ergenzingerin geht sichtlich in ihrer neuen Aufgabe auf: "Ich sitze sonst ja nur den ganzen Tag zu Hause rum. Jetzt tue ich etwas Sinnvolles. Ich mache es für unser Dorf!"

Wir gehen wieder raus. Plötzlich ist Trommeln zu hören. Unter der Empore vorne haben sich Männer, Frauen und Kinder im Halbkreis versammelt. Einer schlägt die Trommel, immer wieder ziehen junge Männer andere mit auf die Tanzfläche. Die Kinder lachen, die Frauen filmen die Szenen mit dem Smartphone. Ein Security-Mann lächelt: "Das sind Afghanen. Das sehe ich hier zum ersten Mal."

Sieht so aus, als ob es die vielen Helfer geschafft haben, den Flüchtlingen in Ergenzingen ein Stück Heimat und – trotz der improvisierten Umstände – eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen.