Er sagte bei der Wende 1989 goldene Zeiten für seine Gemeinde voraus und er behielt Recht: Matthias Achs langjähriger Bürgermeister der Ergenzinger Partnergemeinde Gols und österreichischer Nationalrat, der 2011 verstarb. Archiv-Foto: Ranft Foto: Schwarzwälder-Bote

Erinnerungen an die Wendezeit rund um Gols / Bei Bier und Fleisch werden ungarische Grenzer schwach

Von Klaus Ranft

Rottenburg-Ergenzingen. "Bis jetzt waren wir am A… der Welt, jetzt sind wir das Tor zum Osten". Diesen denkwürdigen Satz prägte vor 25 Jahren der 2011 verstorbene Bürgermeister der Ergenzinger Partnergemeinde Gols, Hofrat Matthias Achs.

Damals waren rund 200 Ergenzinger nach Gols gereist, um die Ergenzinger/Golser Freundschaft per Dekret zu bestätigen. Ein paar Tage zuvor waren 650 DDR-Flüchtlingen im Rahmen eines paneuropäischen Picknicks, bei dem die Ungarn am Übergang von Fertörakos das hölzerne Grenztor zu Österreich öffneten, die Flucht in das österreichische St. Margarethen gelungen.

Trabis wurden einfach am Straßenrand stehen gelassen

Im zehn Kilometer Luftlinie von der ungarischen Grenze entfernten Gols hatte man damals allerdings noch keinen Flüchtling gesehen – auch keine Trabis, da diese bei der Flucht einfach am Straßenrand in Ungarn stehen gelassen wurden –, aber man verfolgte das Geschehen an der Grenze mit wachem Interesse. Auffallend war, dass die Wachtürme der Ungarn am Neusiedler See nicht mehr besetzt waren, und dass die Ausflugsschiffe sich ziemlich nah an die mit Stacheldraht gesicherte Seegrenze heran wagten. Von den alten Golsern erfuhren die Ergenzinger auch, dass der eiserne Vorhang nicht so undurchlässig war wie man annahm. Es gab den kleinen Grenzverkehr, bei dem auch Beziehungen eine gewisse Rolle spielten. Zudem verdingten sich schon zu damaliger Zeit Erntehelfer aus Ostblockstaaten bei den Golser Winzern.

Dass ungarische Grenzsoldaten eben auch nur Menschen und daher für kleinere Geschenke empfänglich waren, zeigt eine Anekdote. Eine Ergenziger Delegation machte sich einmal auf zum "kleinen Grenzübergang" bei Halbturn. Im Reisegepäck waren Bier und Rauchfleisch. "Respekt hatten wir schon", so einer der Zeitzeugen, "die hatten ja Schusswaffen". Deshalb sei man auch nicht weiter als bis zum Grenzstein gefahren.

Man habe denen drüben auf dem Wachturm gewunken, mit Bier und Rauchfleisch gefuchtelt und abgewartet. Zunächst sei gar nichts geschehen, die Grenzer hätten durch ihre Feldstecher geschaut, dann habe einer zaghaft zurückgewunken. Irgendwann sei eine Tür im Grenzzaun aufgegangen und zwei Grenzer seien durch eine Gasse im Todesstreifen gerobbt, um das "Zeug" abzuholen.

Einige Zeit später setzten die Ergenzinger bei ihren Stippvisiten nach Ungarn dem Ganzen noch eine Krone auf. Da einer der Ungarnreisenden seinen Personalausweis im Hotelzimmer liegengelassen hatte, reiste er kurzerhand mit den Papieren eines Kollegen, die sich noch im Handschuhfach des Autos befanden, nach Ungarn ein. Da die Zöllner bei der Ausreise nicht scharf kontrollierten, kam er ungeschoren davon, soll aber dem Vernehmen nach Blut und Wasser geschwitzt haben.

Gesamte Region profitiert von der Grenzöffnung

Zieht man ein Fazit, so haben Ergenzingens Partnergemeinde, aber auch der gesamte Seewinkel von der Grenzöffnung 1989 nur profitiert. Insbesondere in die sanierungsbedürftigen Bäder am Neusiedler See flossen EU-Millionen. Sie entsprechen heute den normalen westlichen Standards. Der Tourismus boomt und wer gut und billig essen will, der macht sich auf nach Ungarn, wo grenznah gute Gasthäuser warten. Zwar besteht die ungarische Währung noch aus Forint – der Euro kommt dort vor 2020 nicht – aber man konnte und kann jederzeit in Euro bezahlen.