Unter Tränen hat der Angeklagte am Landgericht Tübingen das Urteil entgegengenommen. Foto: dpa

Motiv des 54-jährigen Rottenburgers bleibt bis zuletzt unklar. Zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Tübingen/Rottenburg - Warum hat der 54-jährige des Totschlags angeklagte Rottenburger am 23. Dezember seine Frau getötet? Diese Frage bleibt bis zuletzt unbeantwortet – für die Staatsanwaltschaft, die Richter und den Täter selbst. Das Urteil des Tübinger Landgerichts lautet letztendlich: sieben Jahre Haft für eine unverständliche Tat.

Ulrich Polachowski, der Vorsitzende Richter im Totschlagsprozess am Tübinger Landgericht gegen den Rottenburger, der seine 55-jährige Frau in der gemeinsamen Wohnung erwürgt hat, sagt gestern bei der Urteilsverkündung zu dem Angeklagten: "Es ist selten, dass in einem Fall so viel klar ist, aber wir dennoch so ratlos sind. Es gibt niemanden in diesem Saal, der in Ihrer Tat einen Sinn sieht, am wenigsten aber Sie, Herr H. (Name geändert)."

Zahlreiche Familienmitglieder, unter ihnen Kinder des Opfers und des Täters, sind anwesend, als das Urteil fällt. Polachowski: "Sie haben für Ihre Familie, Ihre Kinder alles gesprengt. Sie haben ihnen einen Menschen genommen, der ihnen wichtig war. Das muss in unserem Urteil zum Ausdruck kommen."

Oberstaatsanwalt Martin Klose setzt in seinem Plädoyer vor der Urteilsfindung die Puzzleteile des Verbrechens zusammen: Der Angeklagte hatte 2015 seine Arbeit verloren, ist zudem wegen eines Bandscheibenvorfalls krank geschrieben. Außerdem hat er Schulden. Vielleicht um seine finanzielle Not zu lindern, leiht er sich Geld, besucht eine Spielbank und verliert mehrere Tausend Euro.

Einmal hebt er Geld vom Konto seiner Frau ab – ohne zu fragen. Sie nimmt zeitweise ihren Ehering ab. Aber über all das reden die Eheleute nicht miteinander. Der Angeklagte sitzt nur noch depressiv zu Hause auf dem Sofa. Am 23. Dezember kommt es zum Streit. 30 bis 40 Minuten reden die Eheleute miteinander. Worüber? "Darüber wissen wir so gut wie nichts", sagt Klose.

Klar ist nur: Der Angeklagte sagt seiner Frau, er würde jetzt gehen und sich umbringen. Sie erwidert seinen Schilderungen zufolge: "Dann kannst du mich gleich mitnehmen." Dass sie das nicht ernst meinte, sei ihm aber klar gewesen. Trotzdem schiebt er seine Frau ins Schlafzimmer, schubst sie auf das Bett, kniet sich über sie und würgt sie mit beiden Händen. Seine Frau wehrt sich, kratzt ihn im Gesicht und auf der Brust, versucht, seine Hände wegzuschieben. Trotzdem drückt er weiter zu. Mindestens vier Minuten, denn so lange dauert es, bis ein Mensch durch Würgen stirbt.

Die Obduktion der Leiche macht deutlich, wie brutal der Täter gehandelt hatte: Zungenbein und Kehlkopf sind gebrochen. Klose sagt: "Spätestens als sie sich gewehrt hat, war ihm klar, dass sie nicht sterben will. Dieser Appell erreicht ihn jedoch nicht, er lässt nicht von ihr ab."

Frau stand vor der Tat mitten im Leben

Über das Opfer sagt Klose: "Seine Frau stand mitten im Leben. Sie hat gearbeitet, hatte gute Verhältnisse zu ihren Kindern. Bevor sie sich selbst etwas angetan hätte, hätte sie die Beziehung beendet." Warum der Angeklagte seine Frau getötet hat, bleibt unklar. "Wir haben nur die Suizidalität des Angeklagten", beschreibt Klose den einzigen Anhaltspunkt, der zur Beantwortung des Warums nützlich sein könnte.

Denkbar sei, dass der Täter die Fremdtötung in seine eigene Tötungsabsicht mit einbezogen hat. Nachdem er seine Frau dann getötet hatte, habe ihm möglicherweise die für einen Suizid notwendige Aggressivität gegen sich selbst gefehlt. Klose folgt der Einschätzung eines Gutachters, der dem Angeklagten eine "leichte bis mittelschwere depressive Episode" bescheinigt hatte und stuft ihn als vermindert schuldfähig ein.

Der Strafrahmen für verminderte Schuldfähigkeit beträgt zwei bis elf Jahre Freiheitsstrafe. Bei der Einschätzung des Strafmaßes zählt Klose auf, was für und was gegen den Angeklagten spreche: Positiv sei, dass er sich selbst gestellt habe und seine Tat bereute. Außerdem leide der Täter, der oft mit Tränen in den Augen den Prozess verfolgt, selbst sehr unter der Tat.

In seinem Vorleben sei er nie straffällig geworden und gewalttätig gewesen. Er müsse nun mit dem Schlag leben, den er sich und seiner Familie zugefügt habe. Gegen ihn spreche neben der Tat selbst, dass er die Gegenwehr seiner Frau überwunden hat, bei der Tötung seinen Willen über den seiner Frau gesetzt hat und sich seinen Problemen nie gestellt, sondern seine Lage durch Kasinobesuche sogar noch verschlimmert habe. Deshalb hält Klose eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren für angemessen.

Verteidiger Hans-Christoph Geprägs wehrt sich gegen den Antrag des Staatsanwalts: "Der Angeklagte fragt sich jeden Tag, was er getan hat. Er selbst leidet am meisten unter der Tat." Den Beweggrund für die Tat sieht er im geplanten Suizid des Täters. Er fordert, am unteren Rahmen des Strafmaßes zu bleiben: drei bis vier Jahre Haft.

Richter Polachowski kann sich dem Wunsch des Verteidigers nicht anschließen. Er folgt der Staatsanwaltschaft und verurteilt den Angeklagten zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags. Polachowski spricht von einer ungeheuer schweren Schuld.

Sieben Jahre seien für das Landgericht die untere Grenze des Strafmaßes zur Sühnung der Tat. "Wir müssen guten Gewissens gegenüber der Gesellschaft sagen können, dass die Tat mit dieser Strafe gesühnt ist. Bei einer niedrigeren Strafe wäre das nicht gegeben gewesen."

Das heiße nicht, dass die Tat nach sieben Jahren für den Angeklagten gesühnt sein werde, sagt Polachowski. Mit seiner Schuld werde der Rottenburger auch danach noch leben müssen. Unter Tränen nimmt er das Urteil entgegen.