SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft (re.) mit Grünen Franktionschefin Sylvia Löhrmann Foto: dpa

Hannelore Kraft (SPD) strebt in NRW jetzt doch eine rot-grüne Minderheitsregierung an.

Düsseldorf - Nach einem wochenlangen Poker um Macht und Mandate führt Hannelore Kraft eine Zahl als Begründung für ihren nun doch überraschend schnellen Griff nach der Staatskanzlei an. 114 der 181 Abgeordneten im Landtag stünden gegen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), sagte die SPD-Landeschefin am Donnerstag in Düsseldorf. Rüttgers sei nach der Beendigung der schwarz-gelben Koalition nur noch ein "Ministerpräsident auf Abruf". Kraft traut sich deshalb also doch schon jetzt, ohne eigene absolute Mehrheit im Düsseldorfer Landtag anzutreten.

Tagelang hatte Kraft gezögert und widersprüchliche Signale zur Regierungsbildung gesendet. "Derzeit" strebe sie keine rot-grüne Minderheitsregierung an, war sie noch am Mittwoch zitiert worden. "Aus dem Parlament heraus" wolle sie vielmehr Gesetze und Initiativen für einen "Politikwechsel" voranbringen, um so die geschäftsführende Regierung Rüttgers mürbe zu machen. Noch am Mittwoch war aus dem SPD-Landesvorstand signalisiert worden, dass Rüttgers erst im September abgelöst werden solle.

Am frühen Donnerstagnachmittag modifizierte und beschleunigte Kraft ihre Strategie. Äußerer Anlass war ein Interview von FDP-Landeschef Andreas Pinkwart. Darin hatte der Liberale den Koalitionsvertrag mit der CDU für "abgearbeitet" erklärt. Die FDP wolle nun auf eigene Rechnung für "Mehrheitsentscheidungen im Interesse des Landes" werben. Ohne die FDP-Stimmen könne Rüttgers nur noch auf die 67 Mandate der CDU vertrauen, deutete Kraft den FDP-Mann. Dass Pinkwart nun aber doch erklärte, die FDP stehe zu Rüttgers, dürfte Kraft nicht weiter beeindrucken. Ohnehin scheint es so zu sein, dass die SPD-Chefin nur einen Vorwand suchte, um ihre Festlegung auf ein Nein zu einer Minderheitsregierung über Bord zu werfen. Zu groß war in den vergangenen Tagen der Druck aus der SPD und vor allem von den Grünen geworden. Als "Förderprogramm für Politikverdrossenheit", hatte Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann Krafts zwischenzeitliche Absage an ein Minderheitskabinett gedeutet.

Wichtiger Erfolg auch für die Bundes-SPD

Die von Kraft angeführten Argumente für ihre Entscheidung seien "vorgeschoben und unwahr", schimpfte Rüttgers. Kraft lasse sich von SPD-Chef Sigmar Gabriel und den Grünen "in die Ypsilanti-Falle treiben", sagte Pinkwart. Sie müsse sich jetzt auf höheres Geheiß von der Linkspartei tolerieren lassen. Rüttgers warf Kraft vor, sie begehe "die schlimmste Wählertäuschung, die es je in Nordrhein-Westfalen gegeben hat".

In der Bundes-SPD soll laut Medienberichten zuletzt der Unmut über die NRW-Landesvorsitzende gewachsen sein. Nun aber traut sich Kraft. Sie will die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen werden. Ihren "halben" Wahlsieg vom 9. Mai - als sie Schwarz-Gelb im bevölkerungsreichsten Bundesland eine herbe Niederlage zufügte, aber knapp eine rot-grüne Mehrheit verfehlte - möchte sie nun offenbar in einen ganzen Machtwechsel ummünzen. Die für den 13. oder 14. Juli geplante Wahl zur Ministerpräsidentin dürfte spannend werden. Rot-Grün stellt 90 Abgeordnete. Bei den ersten drei Wahlgängen benötigt Kraft aber die absolute Mehrheit von 91 Stimmen.

Ein Mitglied des SPD-Landesvorstands räumt ein, dass es innerhalb der Sozialdemokratie ein "Trauma" gibt. Nach dem Scheitern der damaligen schleswig-holsteinischen SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis an einem anonymen Abweichler vor fünf Jahren existierten "Ängste" in der SPD, dies könne erneut geschehen. Auch Hessens damalige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti war 2008 am Widerstand in den eigenen Reihen gescheitert. "Doch dies darf unser politisches Handeln nicht leiten. Die NRW-SPD ist geschlossen für Kraft", so der Sozialdemokrat aus dem NRW-Landesvorstand.

Sollte Krafts rot-grünes Minderheitsexperiment bei der Wahl im Juli klappen, wäre dies ein wichtiger Erfolg auch für die Bundes-SPD. Nach langer Zeit hätten die Genossen der Union mal wieder einen Ministerpräsidenten-Posten abgejagt. Die geschwächte schwarz-gelbe Bundesregierung würde ihre Mehrheit im Bundesrat verlieren. Für Kraft würden dann allerdings die politischen Alltagsprobleme erst beginnen. Falls sie im Herbst keine Mehrheit für einen Haushalt im Landtag erreicht, könnten schon bald Neuwahlen in NRW anstehen.