Der Bickelsberger Matthäus Sessler (rechts, mit Soldatenmütze) erkrankte an Typhus und landete im Tübinger Lazarett. Das Bild zeigt ihn mit seinen Kameraden. Foto: Archiv

Mobilmachung am 1. August 1914 fiel in Bickelsberg mitten in die Erntezeit. Einwohner reagieren mit Angst und Verzweiflung.

Rosenfeld-Bickelsberg - Ein verhängnisvoller, schicksalshafter Tag – der Samstag, 1. August 1914. Glühende Hitze lag über Bickelsberg, einer Bauern- und Handwerkergemeinde auf dem Kleinen Heuberg. Alles rüstete sich zur Getreideernte.

Doch – wie im Bickelsberger Archiv festgehalten ist – erscholl an jenem Samstag gegen Abend die Ortsschelle. Gespannt lauschten die Einwohner dem, was der Büttel wohl Neues zu übermitteln hatte. Es war unmissverständlich: der Mobilmachungsbefehl. Mit Angst und Schrecken, aber auch mit Verzweiflung reagierte die Einwohnerschaft, und die Chronik schreibt dazu: "Gruppen von Männern, bleich, aber entschlossen sah man überall stehen, feuchte Augen bei Frauen und Mädchen." Dann und wann erklang bald auch das eine oder andere Soldatenlied. Am Sonntagabend, 2. August 1914, fand in der Georgskirche noch ein großes "allgemein befugtes" (gemeinsames) Abendmahl statt. "Harre meine Seele" sang bei diesem Anlass der Kirchenchor.

Am Dorfausgang in Richtung Brittheim war auch schon eine Schranke installiert, die rund um die Uhr bewacht wurde, um Abtrünnigen und Spionen Einhalt zu gebieten. An den darauffolgenden Tagen wurden jeden Morgen in der Dorfmitte auf der Kreuzstraße Männer abgeholt zum Dienst im Krieg. Herzzerreißende Szenen des Abschieds spielten sich ab, und unzählige Male erhob sich die Frage: "Wieviele von den Ausrückenden sehen wir in Bickelsberg wohl wieder?" Und die Ernte wartete weiter auf die Schnitter.

In der Georgskirche traf sich allwöchentlich die Dorfgemeinschaft zu den Kriegsgebetsstunden. Die ganze Dorfgemeinschaft war bemüht, sich auf die neue Situation im Dorf einzustellen. So fanden an den Winterabenden im Pfarrhaus Strickabende für die Mädchen statt. Das Rote Kreuz stand hinter diesen Strickabenden, bei denen wärmende Socken und andere Kleidungsstücke angefertigt wurden. Manche Frauen nahmen sich Wolle mit nach Hause, um dort bis in die Nacht hinein stricken zu können. Die "Liebestätigkeit" in Geldspenden für die verschiedenen Organisationen erbrachte bis September 1917 1670 Mark. Doch auch Naturalien spendeten die opferbereiten Bickelsberger. So wurden für die kranken Soldaten im Lazarett in der Oberamtsstadt Sulz viele Säcke voll Kartoffeln, Rüben, Kraut, Dörrobst und noch anderes mehr gesammelt. Im Mai 1917 machten die Schulkinder aus Bickelsberg und Brittheim ihren Schulausflug ins Sulzer Lazarett zusammen mit dem Pfarrer (vermutlich Heinrich Schlipf) und dem Lehrer (vermutlich Hauptlehrer Ernst Koch). Sie durften jedem Verwundeten ein Vesper mit Brot und Speck aufs Bett legen. Dazu überbrachten sie noch 250 Eier als stärkende Gabe. Die Verbundenheit der heimatlichen Bevölkerung mit ihren Soldaten kam auch durch die Versendung des erstmals im September 1915 erschienenen Gemeindeblattes "Heimatklänge" zum Ausdruck, das bei den Soldaten jedes Mal mit Freude empfangen wurde.

Die materielle Not unter der Bevölkerung war unvorstellbar. So sammelten die Kinder des Orts Brennesseln für die Spinnereien. Im August 1917 wurde sogar noch der Schulleiter Lehrer Ernst Koch trotz eines Gehörleidens nach Münsingen zu den Waffen gerufen. Vorübergehend bis zum 4. Oktober 1917 bekamen die Schüler dann Ferien. Sie hatten sich sowieso mit anderen Familienmitgliedern auf den heimischen Feldern einzufinden, um in dem gewitterreichen Jahr die Ernte einbringen zu können. Um Menschen im Krieg töten zu können, mussten sogar Kirchenglocken und Orgelpfeifen geopfert werden. Die Organistenstelle, die bisher vom jeweiligen Lehrer eingenommen worden war, wurde durch die Einberufung von Lehrer Koch plötzlich verwaist. Vorübergehend sprang die Pfarrfrau in die Bresche, bis die Lehrerin Berta Thoman aus Brittheim diesen Dienst dann versah.

Es wurden Mehl- und Mahlkarten ausgegeben. Auch in Bickelsberg, wo Nahrungsmittel erzeugt wurden, wurde als Folge der Bewirtschaftung gehungert.

Bereits am 20. August 1914 kam die traurige Nachricht, dass der ledige Matthäus Gühring bei Bühl in den Vogesen gefallen war. Nach ihm starben noch 21 Bickelsberger den Soldatentod. Die Gemeinde hat ihnen in der Georgskirche eine Gefallenengedenkstätte errichtet. Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg haben sich in den Familien so gefestigt, dass heute noch von den Ereignissen erzählt wird, die die Urgroßeltern in den schlimmen Kriegs- und Hungerjahren erlebt haben. Mit der Unterstützung durch die Ortschaftsverwaltung sind diese Erinnerungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.