Die Krise in Niedersachsen wirft ein Schlaglicht darauf, dass dieser Wahlkampf auch ein Auto-Wahlkampf wird. Foto: dpa

Die Regierungkrise in Hannover ist für die SPD ein neuer Tiefschlag. Es wird immer deutlicher, dass der Bundestags-Wahlkampf auch ein Auto-Wahlkampf wird, meint Bärbel Krauß.

Hannover - Erst hat man kein Glück – dann kommt auch noch Pech dazu. Niemand weiß, wie oft die führenden Sozialdemokraten diesen Fußballerspruch in diesem Wahljahr wohl schon in Köpfen und Herzen hin- und herbewegt haben. Berlin - Erst hat man kein Glück – dann kommt auch noch Pech dazu. Niemand weiß, wie oft die führenden Sozialdemokraten diesen Fußballer-Spruch - Jedenfalls war der Höhenflug des Überraschungs-Kanzlerkandidaten Martin Schulz schon lange abgeflaut, als die Regierungskrise in Hannover der SPD erneut einen Tiefschlag versetzte. Dass die alte Wunschkonstellation Rot-Grün bei der Bundestagswahl nach menschlichem Ermessen keine Chance hat, macht der Blick auf die Umfragen zwar schon seit Monaten deutlich. Aber das nun auch die letzte rot-grüne Koalition in einem Flächenland am Ende ist, dass es rein rechnerisch stattdessen eine schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag gibt, ist ein Symbol, auf das die SPD ganz sicher gerne verzichtet hätte.

Nach massiven Wahlniederlagen bei den vorigen Bundestagswahlen besteht nun die Gefahr, dass 2017 vollends zum annus horribilis, zum schrecklichen Jahr für die Sozialdemokraten werden könnte. In den Umfragen sind sie auf den schlechten Wert zurückgefallen, der Sigmar Gabriel im Januar bewog, nicht selbst anzutreten, sondern Martin Schulz die Kanzlerkandidatur zu überlassen. Schon zweimal ist damit etwas Realität geworden, was die Demoskopen für ausgeschlossen hielten: Sie hatten einen so machtvollen Aufschwung, wie Schulz ihn zunächst erlebte, nicht für möglich gehalten. Und sie hielten für ausgeschlossen, dass sein Aufschwung quasi rückstandsfrei in sich zusammenbrechen könnte. Beides ist geschehen und sollte Mahnung genug sein, das aktuelle Stimmungsbild nicht als vorweggenommenes Ergebnis der Wahl misszuverstehen. Was für ein Fehler, dass FDP-Chef Christian Lindner Angela Merkel am Wochenende schon zur Wahlsiegerin ausgerufen hat.

Zu wenig Fingerspitzengefühl

Die Krise in Niedersachsen wirft ein Schlaglicht darauf, dass dieser Wahlkampf – auch – ein Auto-Wahlkampf wird. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der zugleich Mitglied im Aufsichtsrat von Volkswagen ist, ist am Wochenende damit aufgeflogen, im Umgang mit der Autoindustrie nicht das richtige Fingerspitzengefühl gehabt zu haben, weil er seine komplette Regierungserklärung VW zur kollegialen Durchsicht überreichte, bevor er sie hielt. Dabei ist ihm nicht vorzuwerfen, dass er die juristische Absicherung suchte und sich bemühte, dem wegen des Abgasbetrugs ins Zwielicht geratenen Konzern keine neue Schwierigkeiten zu machen. Das ist seine Aufgabe. Der Wohlstand Niedersachsens hängt stark von den Wolfsburger Autobauern ab, so wie der Wohlstand in ganz Deutschland zu einem wesentlichen Teil an der Autobranche hängt.

Wegen der Auto-Politik gehören viele Politiker auf die Anklagebank

Weil ist mitnichten der Einzige, dem die Gratwanderung zwischen politischer Unabhängigkeit und Standortinteressen nicht glückte. Beides verlangt Pflege. Nach allem, was seit dem Beginn des Abgasskandals öffentlich geworden ist, ist klar, dass alle Bundes- und Landesregierungen der vergangenen Jahre den Autobauern mit viel zu viel Konzilianz begegnet sind. In Brüssel zur strengen Luftreinhaltung Ja zu sagen und zugleich die scheunentorgroßen Schlupflöcher zu schaffen, die die Hersteller anschließend nutzten – dazu haben alle Parteien, die in den letzten Jahrzehnten mitregiert haben, ihren Beitrag geleistet. Die Anklagebank, auf der Weil jetzt sitzt, müsste ziemlich lang sein, damit alle Politiker von Union, SPD, FDP und Grünen, die im Abgasskandal „Haltet den Dieb“ rufen und selbst Mitverantwortung tragen, darauf Platz hätten.

Ob Stuttgart, München, Ingolstadt, Köln, Berlin – von Hannover sind die fürs Auto wichtigen Standorte alle nicht weit weg. Das müsste die Wahlkämpfer bremsen, in Sachen Diesel voller Abscheu und Empörung mit dem Finger auf die politische Konkurrenz zu zeigen – eigentlich.