Terror in der Hauptstadt Abuja: Das Ziel sind Busse. Foto: dpa

Die radikalislamische Sekte Boko Haram gilt als Urheber der jüngsten Anschläge in dem westafrikanischen Land. Sie wird immer gewalttätiger.

Die radikalislamische Sekte Boko Haram gilt als Urheber der jüngsten Anschläge in dem westafrikanischen Land. Sie wird immer gewalttätiger.

Abuja - Nach jeder Bombe, nach jeder neuen Hiobsbotschaft macht der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan neue Versprechen. Seine Regierung werde die Terrortruppe Boko Haram besiegen, sagt er selbstbewusst. Dabei scheint der Politiker mit dem schwarzen Hut als Markenzeichen weder eine Idee noch ein Rezept zu haben, um der radikalen Islamisten Herr zu werden. Stattdessen wird der Abstand zwischen den Anschlägen immer kürzer – und die Durchführung immer brutaler.

„Die Gewalt nimmt ein immer größeres Ausmaß an, wir stellen eine Inflation des Terrors fest“: Mit dramatischen Worten hat auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) erst vor kurzem die Lage in Nigeria beschrieben – mit Blick auf die fortgesetzte Verfolgung der Christen durch die radikalislamische Sekte Boko Haram.

In dieser Woche wurde das mit 170 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land in Afrika von neuen Terrorakten erschüttert: Anfang der Woche starben mehr als 200 Menschen bei einem verheerenden Anschlag auf einen Busbahnhof in der Hauptstadt Abuja. Auch hierfür wird Boko Haram verantwortlich gemacht, genauso wie für die Entführung von mehr als 100 Schülerinnen im Nordosten des Landes.

Fahndung nach entführten Mädchen bislang vergeblich

Die Polizei fahndete bisher vergeblich nach den Mädchen. Sicherheitsbeamte sagten, es gebe Hinweise aus der Bevölkerung, wo die Täter hingefahren sein könnten. „Wir haben einige sehr nützliche Infos bekommen. Viele Leute sind besorgt, weil die Zahl solcher Verschleppungen zunimmt“, hieß es. Die Entführer waren am Montagabend im Dorf Chibok in eine Schule eingedrungen und hatten die Bevölkerung stundenlang terrorisiert. Später verschleppten sie zahlreiche Mädchen auf Lastwagen. Einigen von ihnen gelang es, abzuspringen und sich im Busch zu verstecken. „Sieben Kinder aus meiner Familie werden vermisst, darunter meine eigenen Töchter und die meines Bruders und meiner Schwester“, sagte ein Familienvater. „Ich weiß nicht, ob sie entführt wurden, oder ob sie unter denjenigen sind, die in den Busch fliehen konnten.“

Auf das Konto der Islamisten, die im Norden Nigerias einen Gottesstaat errichten wollen, sollen mehrere ähnliche Entführungen gehen. Manchmal wurden auch verheiratete Frauen gekidnappt. Normalerweise wird kein Lösegeld verlangt – vielmehr sehen die Extremisten die verschleppten Mädchen als „Kriegsbeute“, erklärte ein Experte in Nigeria. Häufig würden sie als Sexsklavinnen missbraucht. Manchmal würden die Frauen später hochschwanger zurückgebracht, damit sie ihre Kinder in ihren Dörfern bekommen könnten.

„Der nigerianische Staat ist desolat“

Nigerianische Parlamentarier verlangten, die Grenzen nach Kamerun und Niger zu schließen. Aus den beiden Nachbarstaaten werden die Extremisten offenbar mit Waffen versorgt. Nach Angaben von Bürgern in grenznahen Dörfern tauchen manchmal Helikopter in der Region auf. Sie würden über den Wäldern, in denen sich die Boko-Haram-Mitglieder verstecken, Proviant und Waffen abwerfen.

Die islamische Sekte verübt seit Jahren schwere Anschläge vor allem im Norden des Landes. Allein seit Jahresbeginn sollen 1500 Menschen gestorben sein. Oft sind Kirchen und Polizeieinrichtungen Ziel der Attacken. Der Name der Gruppe bedeutet übersetzt so viel wie „westliche Erziehung ist verboten“.

Für IGFM-Sprecher Martin Lessenthin sind die neuen Terrorakte ein deutlicher Beweis dafür, wie stark das Terroristennetz Boko Haram inzwischen geworden sei. „Es ist auch ein Hinweis für die Verflechtung mit anderen Machtzentren in Nigeria. Der nigerianische Staat ist desolat.“ Es gebe Kräfte im Land, die nicht das tun, was sich Präsident Jonathan wünscht. „Es gibt einen mangelnden kollektiven Willen der Führung, Boko Haram wirklich zu bekämpfen“, sagte Lessenthin unserer Zeitung.

Boko Haram sei auch eine Gefahr über Nigeria hinaus. Das Terroristennetz könne einen Zerfall des Staates bewirken und ein neues Flüchtlingsproblem auslösen, von dem Europa nicht unberührt bleibt.