Der 37-jährige Steinewerfer bei der Urteilsverkündung: Das Gericht ahndet . . . Foto: dpa

Das Landgericht Ellwangen hat einen 37-Jährigen zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mann habe wohl aus „Verzweiflung und Hass auf die ganze Welt“ gehandelt“, betonte der Richter.

Ellwangen - Zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren benötigen bis heute psychologische Betreuung. Sie saßen auf der Rückbank eines Autos, das sich am 25. September vergangenen Jahres gegen 1.30 Uhr auf der Autobahn 7 bei Giengen an der Brenz im Kreis Heidenheim überschlug. Sie wurden durch zerbrochene Fenster auf eine Böschung geschleudert und überlebten wie durch ein Wunder. Ihr Vater, der mit 120 Kilometern pro Stunde auf einen Pflasterstein aufgefahren war, brach sich dabei das Becken. Am schlimmsten traf es die Mutter auf dem Beifahrersitz: Sie erlitt einen Schädelbasisbruch, eine Wirbelsäulenverletzung, ihr rechtes Bein musste unterhalb des Knies amputiert werden. Nie mehr wird sie in die alte Wohnung im oberschwäbischen Laupheim zurückkehren können. Das Leid der Familie sei „katastrophal“, sagte am Dienstag der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg. Er verurteilte den 37-jährigen Steinewerfer wegen versuchten vierfachen Mordes zu neuneinhalb Jahren Haft.

Urteil zum Schutz der Allgemeinheit

Der Mann wird seine Gefangenschaft in einem psychiatrischen Krankenhaus fortsetzen – „zum Schutz der Allgemeinheit“, wie der Richter hervorhob. Von Therapie und Besserung sprach im Sitzungssaal des Landgerichts Ellwangen niemand. Der 37-Jährige, zurzeit im Zentrum für Psychiatrie Bad Schussenried untergebracht, verweigert nach Angaben der Staatsanwaltschaft Ellwangen jedwede Therapiemaßnahme und auch jede Medikamentengabe.

Was den Mann trieb, in dieser Septembernacht einen zwölf Kilogramm schweren Pflasterstein, den er von einem Stapel beim Flugplatz Giengen geklaubt und mit dem Fahrrad zur Autobahnbrücke geschafft hatte, zu werfen – es hat sich im Prozess nicht restlos klären lassen. Am Stein sowie an einer Folie, die den Steinstapel abdeckte, fand sich die DNA des Angeklagten. Er selbst schwieg die ganze Verhandlung über zum Vorwurf des versuchten Mordes, drohte aber einmal lautstark in Richtung der verletzten Familienmitglieder mit Vergeltung. Von früheren Geständnissen bei der Polizei und beim Haftrichter wollte er nichts mehr wissen. Für am wahrscheinlichsten hält die Strafkammer den Erklärungsansatz des psychiatrischen Gutachters Peter Winckler. Ihm folgend gehe das Gericht davon aus, dass der Angeklagte „in einer Mischung aus Wut, Verzweiflung und Hass auf die ganze Umwelt“ handelte, so Richter Ilg. Den Stein habe er wohl „mehr oder weniger zufällig bei dem Gebäude am Flughafen gefunden und an sich genommen“.

Paranoide Grundhaltung des Angeklagten

Laut Winckler leidet der Mann an einer „schizotypen Störung“. Die Krankheit sei geprägt von einer paranoiden Grundhaltung, der Unfähigkeit für zwischenmenschliche Kontakte, autistischen Zügen und einem völligen Mangel an Empathie. All das habe in der Tatnacht aber nicht die Steuerungsfähigkeit vor dem Steinwurf ausgeschaltet. Der Richter schloss sich diesem Befund an. Es habe keine Stimmen im Kopf des 37-Jährigen gegeben, keinen „psychotischen Wahn“, so Gerhard Ilg.

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer wegen vierfachen versuchten Mordes und unerlaubten Waffenbesitzes eine Haftstrafe von zwölf Jahren und neun Monaten gefordert. Der Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier sagte: „Es handelt sich um einen klassischen Fall der Heimtücke.“ Zu einer ganz anderen Bewertung war hingegen der Verteidiger Stephan Bauer gekommen. „Der Angeklagte lebt in seiner eigenen Welt, und das schon seit sehr, sehr langer Zeit“, sagte er. Bauer erinnerte daran, dass der 37-Jährige erstmals mit elf Jahren in Kontakt mit Jugendpsychiatern gekommen sei, auch daran, dass er nach der Scheidung seiner Eltern in einem Jugendheim aufgewachsen sei. Er sah deshalb nur eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, außerdem wegen des illegalen Besitzes von Schusswaffen und Munition gegeben. Die Höhe einer solchen Strafe stellte Stephan Bauer ins Ermessen des Landgerichts.

Auch illegaler Waffenbesitz wird geahndet

Tatsächlich ahndet die vom Richter schlussendlich verhängte Haftstrafe in Höhe von neuneinhalb Jahren nicht nur den Steinwurf – sondern auch den illegalen Besitz von drei Schusswaffen und annähernd 100 teils selbst hergestellten Patronen. Die Polizei entdeckte das Waffendepot des Angeklagten am Rand eines Industriegeländes bei Heidenheim, dazu auch eine „Todesliste“. Darauf hatte der 37-Jährige Namen von Menschen vermerkt, die er angeblich umzubringen gedachte.

Der Angeklagte ist wegen illegalen Waffenbesitzes schon vorbestraft gewesen. Die kriminelle Vorgeschichte des 37-Jährigen veranlasste den Richter Ilg am Ende seiner Urteilsbegründung zur Selbstkritik. Im Jahr 2013 habe seine Kammer den Angeklagten wegen des Vorwurfs der Körperverletzung zum ersten Mal vor sich gehabt . Schon damals habe die Frage einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Raum gestanden – die Möglichkeit sei aber verworfen worden. Man habe die Gefahr für die Öffentlichkeit nicht als groß genug eingeschätzt, so der Richter. „Hätten wir ihn damals untergebracht, wäre diese Tat nicht geschehen.“ Mit diesem Vorwurf müsse das Gericht leben.