Der neue Bildungsplan löst hitzige Debatten aus. Foto: www.7aktuell.de | Florian Gerlach

Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch hat sich empört gezeigt ob der Äußerungen von Bernd Saur, dem Chef des Philologenverbands, dass an den Schulen eine "Pornografisierung" droht.

Stuttgart - Nach seiner Kritik an einer angeblichen Pornografisierung des Schulunterrichts gerät der Landeschef des Philologenverbandes, Bernd Saur, unter Druck. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) warf Saur am Dienstag in einem offenen Brief unverantwortlichen und unfairen Umgang mit dem Thema Akzeptanz sexueller Vielfalt vor. „Mit ihrem Kommentar tragen Sie wesentlich zu einer Verschärfung des öffentlichen Diskurses bei“, schreibt Stoch, der auch oberster Dienstherr des Ulmer Gymnasiallehrers ist.

Saur hatte im „Focus“ unter der Überschrift „Schamlos im Klassenzimmer“ davor gewarnt, Kinder „nicht vertretbaren Übergriffen durch entfesselte, öffentlich komplett enttabuisierte Sexualpädagogen“ auszusetzen. Stoch schrieb, er sei empört über Art und Weise der Kritik. Im Südwesten wird gerade ein neuer Bildungsplan erarbeitet. Er soll Lehrer dafür sensibilisieren, Toleranz gegenüber Unterschiedlichkeit von Menschen zu vermitteln. In konservativen Kreisen sorgt ein Arbeitspapier aus dem Kultusministerium seit Monaten für Aufruhr und Demonstrationen.

Der Bundeschef des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, nahm Saur in Schutz. „Den inhaltlichen Grundansatz teile ich“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Über die Wortwahl kann man streiten.“

"Was Bernd Saur von sich gibt, ist ekelhaft"

Die SPD-Landtagsfraktion forderte den Vorstand des Philologenverbands in Baden-Württemberg auf, sich von Saur zu distanzieren und zu entschuldigen. Solange dies nicht geschehe, werde die Fraktion nicht mehr mit dem Verband reden, teilte Fraktionschef Claus Schmiedel mit. Es sei ein „beträchtlicher Schaden in der Öffentlichkeit“ entstanden. Die Bildungsexpertin der Grünen, Sandra Boser, sagte: „Was Bernd Saur von sich gibt, ist ekelhaft.“

Saur, der als scharfer Kritiker von Grün-Rot gilt, hatte im „Focus“ kräftig zugelangt: „Themen wie Spermaschlucken, Dirty Talking, Oral- und Analverkehr und sonstige Sexualpraktiken inklusive Gruppensex-Konstellationen, Lieblingsstellung oder die wichtige Frage „Wie betreibt man einen Puff“ sollen in den Klassenzimmern diskutiert werden.“

Stoch meinte dazu: „Ich möchte Ihnen sagen, dass ich derartige Diktionen in einem öffentlichen Diskurs, in einem fachlichen schon gar nicht, bislang nicht erlebt habe.“ Saur habe drastische Formulierungen gefunden, um seine Behauptungen zu untermauern und verschärfe damit die öffentliche Debatte. Saur ist Mitglied im Beirat der Bildungsplankommissionen und hat in diesem Gremium laut Ministerium bislang keine Kritik geübt. Stoch betonte, Saur müsse durch dieses Amt wissen, dass die Frage der Toleranz im Konsens mit vielen anderen gesellschaftlichen Akteuren gefördert werde. „Es geht um die Frage, wie alle Menschen ohne Diskriminierungen leben können“, erläuterte Stoch.

Englischlehrer Saur hatte am Montag betont, seine Kritik beziehe sich nicht auf Baden-Württemberg, sondern auf Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Sprecherin des Schulministeriums in Düsseldorf betonte, die Richtlinien zu Sexualkunde stammten aus dem Jahr 1999 und es gebe keine Pläne, diese zu verändern.

Saurs nachträglicher Beteuerung kann Boser nicht glauben. „Er macht den Eltern in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Angst und hofft in Baden-Württemberg auf einen Kollateralschaden. Man kann nur hoffen, dass die Eltern im Land nicht auf diesen Bauernfänger-Trick hereinfallen.“ Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand sagte: „Ich bin immer wieder erstaunt darüber, welches Kopfkino die Diskussion um den neuen Bildungsplan bei manchen Menschen auslöst.“

Philologen-Bundeschef Meidinger erklärte, es gebe Sexualforscher und „interessierte Gruppen“, die ihre Handreichungen zu sexueller Toleranz in die Lehrpläne einspeisen wollten. Daraus gebe es „eindeutig“ auch Einflüsse in die erste, später überarbeitete Version der Lehrpläne im Südwesten. Zu Saurs Wortwahl sagte er: „Manchmal muss man zuspitzen, damit Diskussionen in Gang kommen.“