Gewalttaten gegen Polizisten nehmen zu und die Beamten sehen sich von der Regierung alleine gelassen, meint der baden-württembergische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft J. Lautensack. (Symbolfoto) Foto: dpa

Sie werden angespuckt, getreten und beschimpft: Polizisten müssten im Dienst viel zu viel ertragen, mahnen die Gewerkschaften. Während Grün-Rot darin vor allem ein gesellschaftliches Problem sieht, gibt die CDU der Landesregierung eine Mitschuld.

Sie werden angespuckt, getreten und beschimpft: Polizisten müssten im Dienst viel zu viel ertragen, mahnen die Gewerkschaften. Während Grün-Rot darin vor allem ein gesellschaftliches Problem sieht, gibt die CDU der Landesregierung eine Mitschuld.

Stuttgart - Die Landesregierung nimmt Gewalttaten gegen Polizisten aus Sicht der Gewerkschaften nicht ernst genug. „Die Polizisten sind verunsichert: Sie glauben einfach nicht daran, dass das Land im Ernstfall wirklich hinter ihnen steht“, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lautensack, der Nachrichtenagentur dpa. Statt eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten auf die Agenda zu setzen, solle Grün-Rot lieber härter gegen Angriffe auf Polizeibeamte durchgreifen. „Es ist ein Generalverdacht gegen die ganze Polizei, der da aufgebaut wird.“ Priorität sollte die massive Gewalt gegen Polizisten haben.

Das Innenministerium verweist indes auf gesunkene Fallzahlen. „Natürlich nehmen wir das ernst“, sagte ein Ministeriumssprecher. „Jeder verletzte Polizeibeamte, jeder Widerstand, ist natürlich schwerwiegend.“

Die Angriffe reichen laut Gewerkschaften vom Bespucken bis zu Tritten und Faustschlägen. Besonders unangenehm sei es für Polizisten, bespuckt zu werden - neben dem Ekelfaktor bleibe die Frage zurück: Hat mich mein Gegenüber mit einer ansteckenden Krankheit infiziert?

Gefährdet seien vor allem Streifenpolizisten. „Die Mehrzahl kommt nicht von Demonstrationen und Sondereinsätzen, sondern aus dem täglichen Dienst“, sagte Lautensack. Vielen jungen Männern, zunehmend aber auch Frauen, fehle der Respekt vor staatlichen Organen. „Wir haben ein Stück weit einen Werteverfall: Es ist schick, gegen Polizisten ausfallend zu werden.“ Die Dunkelziffer sei hoch, denn nicht alle Fälle würden angezeigt. Der Ministeriumssprecher sagte hingegen: „Ich glaube eher, dass heute wesentlich mehr angezeigt wird als früher.“

Innenminister Reinhold Gall (SPD) erklärte auf dpa-Anfrage bezogen auf das Jahr 2013: „Gegenüber dem Vorjahr ist die Gewalt gegen Polizeibeamte rückläufig, bewegt sich jedoch noch immer auf hohem Niveau.“ Laut Ministerium wurden 2012 im Südwesten 1828 Polizisten verletzt, 24 davon schwer. Für das vergangene Jahr wird bislang nur bekanntgegeben, dass es einen Rückgang gab. Die endgültigen Zahlen sollen Ende März veröffentlicht werden.

Polizei: Untätigkeit in Sachen Alkoholverbote an Brennpunkten

Die CDU sieht in den Zahlen einen Beleg für das Unvermögen der Landesregierung. „Was die Polizei beklagt, ist auch das Ergebnis der grün-roten Untätigkeit in Sachen zeitlich befristeter Alkoholverbote an Brennpunkten“, sagte Landeschef Thomas Strobl. Gewalt gegen Polizisten dürfe nicht schulterzuckend hingenommen werden. „Grün-Rot muss sich entschieden hinter die Polizei stellen und sie bei ihrer wichtigen Arbeit im Dienste unserer Gesellschaft unterstützen.“

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Uli Sckerl, hält die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten für ein neues Phänomen, dem sich gestellt werde. „Gewalttaten gegen Polizisten sind und bleiben für uns völlig inakzeptabel“, sagte er. Ein Patentrezept gegen Gewalt gebe es allerdings nicht. Gall habe aber schon einiges getan, um die Situation zu verbessern, etwa einen Maßnahmenkatalog aufgelegt.

Zunehmende Gewalt sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagte der Ministeriumssprecher. „Es ist auch eine Frage der Erziehung, aber die kann die Polizei nicht leisten und auch das Innenministerium nicht.“

Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Rüdiger Seidenspinner, spricht von einer gefährlichen Entwicklung. „Es vergeht kein Tag in Baden-Württemberg, an dem nicht mindestens ein, zwei Polizisten verletzt werden.“ Die Aggression gegen Polizisten sei ungeheuer groß. „Ich kann nicht erklären, woher es kommt. Ich kann nur feststellen: Es wird immer mehr.“

Gewalt gegen Polizisten werde einfach als Normalität hingenommen, kritisierte Seidenspinner. Das Land greift hier aus seiner Sicht nicht hart genug durch. „Wir erwarten von der Politik, dass es nicht nur Lippenbekenntnisse gibt, sondern ganz klare Maßnahmen.“

Das Land solle zum Beispiel in Brennpunkten Alkoholverbote einrichten. „Bei Gewalt gegen Polizisten ist der Täter meist ziemlich alkoholisiert, männlich und um die 30.“ Das Ministerium verwies darauf, dass Gall vergangenes Jahr mit einem entsprechenden Vorstoß eine Abstimmungsniederlage erlitten hatte.

Viele Polizisten befürchten laut Seidenspinner, an den Pranger gestellt zu werden, wenn sie eingreifen - auch, weil inzwischen alles mit dem Handy gefilmt werde. Gehe es so weiter wie bisher, sehe er die Gefahr, dass Polizisten immer öfter wegschauten. In Einzelfällen könnten vermehrte Angriffe auf Polizisten sogar dazu führen, dass auch bei ihnen die Hemmschwelle sinke. Das dürfe aber nicht passieren: „Ein Polizist darf nicht durchdrehen“, betonte Seidenspinner. Der Ministeriumssprecher warnte vor Panikmache. „Ängste zu schüren hilft uns nicht weiter bei der Problematik.“