Die Strukturreform des Innenministers soll bis 2014 umgesetzt sein. Foto: dpa/Symbolbild

Strukturreform des Innenministers soll bis 2014 umgesetzt sein. Künftig mehr Polizeipräsenz.

Stuttgart - Irgendwo in diesem Land mitten in der Nacht. Ein besorgter Bürger greift zum Telefon und wählt die 110. Denn ein paar Häuser weiter dringen Schreie aus einem Wohnhaus nach draußen, kurz zuvor ist ein Schuss gefallen, nun ist Stille. Wenig später ist die Polizeistreife vor Ort, übernimmt die ersten Ermittlungen. Aber eigentlich sind jetzt die Experten der Kriminalpolizei gefordert. Doch bis die am Ort des Geschehens sind, vergeht wegen des langen Anfahrtswegs einige Zeit. Also müssen die Beamten des Streifenwagens warten – und fehlen damit andernorts. Ein Szenario, das keineswegs nur aus dem Schulungshandbuch, sondern aus dem Polizeialltag stammt.

Und genau das will Innenminister Reinhold Gall (SPD) gerne ändern. »Unser Ziel ist es, mehr Polizeipräsenz in die Fläche zu bekommen«, hat er in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig betont, wenn er landauf, landab seine geplante Strukturreform in Regionalkonferenzen der Polizei erklären wollte und verteidigen musste. Details, wie er sich die neue Struktur der Polizei im Land vorstellt, mochte er nicht verraten. Wo immer sich Bürgermeister mit Brandbriefen und Kreistagsparlamente mit kraftvollen Resolutionen zu Wort meldeten und um Standortsicherung ihrer Polizei baten, wo immer die Landtagsopposition von CDU und FDP vor Mammutbehörden warnte, zuckte Gall meist nur mit den Schultern. Die Botschaft: Abwarten und ruhig bleiben.

Gestern nun hat der Innenminister das Versteckspiel beendet. Bis zuletzt hatten er und die Arbeitsgruppe seines Ministeriums die Pläne streng geheim gehalten. Niemand sollte die Reform zerreden, bevor sie überhaupt öffentlich ist. Der beste Beleg: Nicht mal seinen eigenen Kabinettskollegen der grün-roten Koalition traute Gall über den Weg. Wo sonst in der Woche vor einer Kabinettssitzung die Beratungsunterlagen verschickt werden, ließ Gall diesmal nur das Thema »Polizeireform« auf die Tagesordnung setzen – und teilte die detaillierten Informationen erst am Dienstag in der Sitzung im Staatsministerium aus.

Rückendeckung von Ministerpräsident Kretschmann

Dabei hatte er offenbar die volle Rückendeckung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). »Wir legen eine grundlegende Reform vor«, sagt er vor der Landespresse. Soll heißen: Was hier gemacht wird, geschehe nicht aus Lust und Laune, sondern aus purer Notwendigkeit. Denn, so der Ministerpräsident, die Polizei müsse darauf reagieren, dass sich die Aufgaben verändert haben. Gall umschreibt das wenig später an zwei Beispielen: »Viele Banküberfälle haben sich ins Internet verlagert«, sagt er über die ausufernde organisierte Kriminalität. »Was sich bei der Kinderpornografie im Internet abspielt, macht einen sprachlos«, nennt er einen anderen Schwerpunkt der Verbrechensbekämpfung. Aber, so der Innenminister, nicht jede Polizeidirektion könne sich um alle Themenbereiche gleichermaßen kümmern: »Unsere Polizei befindet sich am Rande der Belastungsfähigkeit.« Zudem seien die finanziellen Nöte gravierend, allein bei der technischen Ausstattung gebe es einen Investitionsbedarf von 470 Millionen Euro. Die Botschaft: Grün-Rot will die Polizeistruktur den Rahmenbedingungen anpassen, die Führung verschlanken, mehr Polizisten auf Streife bringen.

Genau das soll die Reform nun bewirken. Wie erwartet werden die bisherigen 37 Polizeidirektionen – in jedem Landkreis eine – abgeschafft, stattdessen gibt es große Polizeipräsidien, die kreisübergreifend zuständig sind. Das größte kommt nach Karlsruhe mit rund 2700 Beamten und Angestellten, zuständig für den Stadt- und Landkreis Karlsruhe, für Pforzheim, den Enzkreis und den Landkreis Calw. Das kleinste wird mit 1400 in Offenburg angesiedelt, zuständig für den Ortenaukreis, den Kreis Rastatt und den Stadtkreis Baden-Baden. »Wir haben Einheiten geschaffen, die die Alltagsarbeit leisten, aber auch besondere Einsatzlagen selbstständig bewerkstelligen können«, erklärt Gall den Zuschnitt der Präsidien. Dabei seien Faktoren wie Kriminalitätsraten und Verkehrsunfallstatistik, aber auch Einwohnerzahlen und die Fläche berücksichtigt worden.

Mit der Polizei und nicht gegen sie entwickelt

Und welche Rolle spielten die Mitarbeiter? Gall hatte zuletzt mehrfach betont, die Reform sei mit der Polizei, nicht gegen die Polizei entwickelt worden. Man habe auch in diesem Bereich »die Politik des Gehörtwerdens« praktiziert, beteuern er und Regierungschef Kretschmann. »Da ist viel Post zu uns gekommen«, räumt der Ministerpräsident rückblickend ein. Dass es sich dabei keineswegs nur um Jubelbotschaften gehandelt haben dürfte, liegt auf der Hand. Gall aber betont, man habe »alles versucht«, den Kreis der Betroffenen so klein wie möglich zu halten. Dennoch muss nun mit rund 4000 Polizisten und Angestellten über andere Jobs an neuen Orten verhandelt werden – sogenannte Interessenbekundungsgespräche.

Diese Personalentscheidungen reihen sich ein in eine Fülle anderer Entscheidungen, die noch zu treffen sind. Denn vielerorts steht nun zwar fest, wohin das Präsidium mit seiner Kriminalpolizeidirektion kommt. Aber nicht überall steht fest, wo die jeweilige Direktion Straßenverkehr angesiedelt wird. »Da brauchen wir noch Zeit«, so der Innenminister, da stecke »noch viel Arbeit« drin.
Gleichzeitig drückt Gall aber aufs Tempo. In den nächsten Monaten soll die notwendige Änderung des Polizeigesetzes den Landtag passieren, mit der Umsetzung der Reform soll Ende dieses Jahres, spätestens im Frühjahr 2013 begonnen werden, bis Ende 2014 soll die neue Polizeistruktur fertig sein. Dann werden, so Galls Hoffnung und Rechnung, rund 900 Stellen quer übers Land verteilt sein, die er durch den Abbau von Hierarchien gewinnen will. Dass die Reform erst mal nichts bringt, dafür aber kostet, gibt der Innenminister freilich zu. Er rechne für die nächsten Jahre mit einem finanziellen Aufwand von 120 bis 170 Millionen Euro.

Aber das alles ändert aus Sicht von Grün-Rot nichts an der Notwendigkeit der Reform. Da an den rund 360 Polizeiposten im Land und den knapp 150 Revieren nicht gerüttelt werde, müsse kein Bürger fürchten, das Land spare auf Kosten der Sicherheit. »Von einer Reduzierung der Polizeipräsenz in der Fläche kann keine Rede sein«, sagt Gall mit energischer Stimme – so, als ob er alle Kritiker zwischen Mannheim und Meersburg nochmals ins Gebet nehmen will, das Projekt nun nicht mehr zu torpedieren, sondern aktiv mitzugestalten. Immer wieder habe er zuletzt Gespräche mit Bürgermeistern und Landräten geführt. »Ich habe dabei aber überwiegend nur gehört, dass jeder seinen Standort behalten will.« Das aber, so Gall, könne nicht das Ziel einer Strukturreform sein. Gerade im Bereich der Prävention – also in Feldern wie Sozialarbeiter, Suchtproblematik, Alkohol – würden Polizei und Kommunen sowie Kreise künftig weiterhin eng zusammenarbeiten. »Darauf setzen wir«, sagt der Innenminister. Das klingt nach Forderung. Und nach Aufforderung.