Rechngen, nichts als Rechnungen: Immer mehr Jugendliche verlieren bei ihren Ausgaben den Überblick und verschulden sich Foto: dpa

Pilotprojekt in Stuttgart: Ehrenamtliche Finanzpaten bewahren Schüler vor der Schuldenfalle.

Stuttgart - Die Überschuldungssituation der privaten Haushalte in der Region Stuttgart hat sich gegenüber dem Vorjahr entgegen dem Bundestrend weiter verschlechtert. Das zeigen die Ergebnisse des Schuldner-Atlas 2011. So erhöhte sich die Schuldnerquote, also das Verhältnis von überschuldeten Personen zur Bevölkerungszahl über 18 Jahre auf 7,59 Prozent (Vorjahr: 7,20 Prozent). Damit gelten in der Region 172 700 Bürger über 18 Jahre als überschuldet. In Stuttgart sind es 51 300 Personen. Statistisch betrachtet leben damit 7700 Kinder und Jugendliche in überschuldeten Haushalten. Tendenz steigend.

So weit ,so schlecht. Denn diese Zahlen zeigen nur die Symptome. Sie sagen aber nichts über die Ursachen und den Start in eine unrühmliche Schuldnerkarriere aus.

All das beginnt bei Jugendlichen oft während einer Ausbildung oder im ersten Gesellenjahr. Das erscheint zunächst widersprüchlich. Denn Menschen unter 18 Jahren dürfen laut Gesetz noch gar keine Schuldnerverpflichtungen eingehen. Aber die Praxis der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart (ZSB) lehrt das Gegenteil.

Bisher einmalig in Deutschland

Wenn der Werbe-und Marketingdruck in der heutigen Konsumgesellschaft wächst, werden Jugendliche sehr kreativ, um beispielsweise an das neuste Handy zu kommen. In der Regel hilft ein volljähriger Freund oder Bekannter mit seiner Unterschrift aus. „Ich habe schon Fälle erlebt, da hatte ein Jugendlicher sieben Handyverträge unterschrieben, aber von den Handys und den Besitzern war weit und breit keine Spur mehr“, erzählt Andreas Hutter (67), der als ehrenamtlicher Finanzpate für die ZSB Jugendliche berät.

Hutter leistet seit einem halben Jahr Pionierarbeit. Denn das Projekt, Jugendliche in Schulen frühzeitig und durch Ehrenamtliche vor der Schuldenfalle zu bewahren, ist bisher einmalig in Deutschland.

In ergänzenden Unterrichtsstunden geht Andreas Hutter das Problem in den Klassenzimmern frontal an. Aktuell an der Gewerblichen Schule im Hoppenlau – also einer Schule, in der die Zahl der potenziellen Schuldner recht hoch ist. Erstens weil immer mehr Jugendliche im Elternhaus keine Finanzkompetenzen vermittelt bekommen. Zweitens weil die meisten der 3000 Schüler an der Hoppenlauschule zur sogenannten Niedriglohngruppe gehören. Zum Beispiel Bäcker, Bäckereifachverkäuferinnen oder Friseure. In diesen Berufen gibt es im ersten Gesellenjahr zwischen 1200 und 1600 Euro brutto im Monat.

Auch Lehrer profitieren vom Projekt

Für diese Jugendlichen sei es oft schwer einzusehen, so Hutter, dass der PS-starke Schlitten oder die eigenen vier Wände mit dem ersten Lohn nicht finanzierbar sind. Hutters Auftrag lautet daher: den Jugendlichen zeigen, was das Leben wirklich kostet. Dabei leistet der frühere sozialpolitische Referent der Diakonie mitunter Basisarbeit: „Viele kennen nicht einmal den Unterschied zwischen einem Giro- und einem Sparkonto.“ Doch statt die Schüler mit ihren Schwächen bloßzustellen, lockert der 67-Jährige die Atmosphäre meistens durch lehrreiche Sprichwörter auf: „Bürgen sollst du würgen“ oder „Borgen bringt Sorgen“. Wenn das Eis gebrochen ist, beginnt die eigentliche Lebensschule. Auch mit Rollenspielen. Hutter lässt planen, rechnen, kalkulieren. Was braucht man zum Leben? Was bleibt übrig? Was kann ich mir leisten? Eine einfache Budgetplanung, die doch für viele zu schwer ist. Zumindest am Anfang. Aber nach einer Doppelstunde mit Hutter lichtet sich der Nebel meist. Manchmal bekommt der Rentner auch nette Dankesbriefe, die mit Herzchen verziert sind.

Für Andreas Hutter ist das ein Lohn, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. „Eine sehr befriedigende Situation: „Finanzpate an einer Schule zu werden ist eine lohnende Sache“, sagt er, „man hat Kontakt zu jungen Menschen, kann gestalten und lernt neue Seiten von sich kennen.“

In der Hoppenlauschule kommt das Projekt der ZSB nicht nur bei den Schülern an. Auch die Lehrer profitieren davon. Denn der Finanzpate ist gleichzeitig auch für sie Ansprechpartner, Ideen- und Ratgeber. „Noch wichtiger ist jedoch“, erklärt Hoppenlau-Lehrerin Antje Adenau, „dass der Finanzpate auf die Schüler wie eine Figur aus einer anderen Welt wirkt.“ Will sagen: Anders als Lehrer oder Eltern nimmt Andreas Hutter bei den Schülern eine neutrale Position ein. „So schütten bei ihm viele Schüler ihr Herz aus“, verrät Antje Adenau. Diese Mischung aus Nähe und Distanz scheint das Erfolgsrezept von Hutter zu sein. Er zeigt anschaulich, wie man erst gar nicht in die Versuchung kommt, mehr auszugeben, als man einnimmt. Zur Not wird er auch drastisch. Wenn er mit dem Spruch kommt: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, wird dem letzten klar, wie diabolisch das Leben werden kann, wenn die Finanzen erst einmal in Schieflage geraten sind.

Wer sich für das ehrenamtliche Engagement als Finanzpate interessiert, kann sich unter finanzpaten@stuttgart.de per E-Mail bei der ZSB melden.