Präsidentschaftswahl in Polen: Sie fand im Mai statt. Im Oktober wird hingegen das Parlament gewählt – droht dann ein Rechtsruck? Foto: PAP

Parlamentswahl in Polen im Oktober: Droht ein Rechtsruck, falls der Rechtspopulist Jaroslaw Kaczynski als deutlich stärkste Kraft aus der Wahl hervorgeht?

Warschau - Wird das ökonomisch so erfolgreiche Polen bald vom EU-Wunderland zu einem zweiten, größeren Ungarn, regiert von einem nationalistischen, autoritären „Brüssel- und Berlin-Hasser“? Die Gefahr zumindest besteht, denn wenn die Polen im Oktober ein neues Parlament wählen, dürfte die Partei des Rechtspopulisten Jaroslaw Kaczynski als deutlich stärkste Kraft in den Sejm einziehen. Umfragen sehen die PIS seit Monaten um rund zehn Prozentpunkte vor der größten Regierungspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform PO von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz.

Viele Beobachter reiben sich verwundert die Augen. Haben die Polen vergessen, dass sie Kaczynski einst nach nur gut einem Jahr im Amt des Premierministers per Wahlentscheid vom Regierungshof in Warschau gejagt haben, weil er es sich innerhalb kürzester Zeit mit den Nachbarn Deutschland und Russland, mit der EU und vor allem den eigenen Bürgern verdorben hatte? Das war 2007. Kaczynski wollte den jungen EU-Staat Polen damals in eine autoritär regierte Republik umbauen.

Kaczynski orientiert sich an Ungarns Viktor Orban

Und er will es noch immer. Daran können kaum Zweifel bestehen, seit er nach seiner Wahlniederlage 2011 trotzig angekündigt hat: „Warschau wird ein zweites Budapest werden!“ Immer wieder hat Kaczynski seither auf die „Leistungen“ des ungarischen Premierministers Viktor Orban verwiesen, der sich mit einer Zweidrittelmehrheit eine demokratisch fragwürdige Verfassung auf den Leib schreiben ließ und in der EU als ewiger Provokateur gilt, aber im eigenen Land unangefochten regiert.

Das sind die Vorzeichen, unter denen der Wahlkampf in Polen am Sonntag in die heiße Phase eintritt. In einem Referendumstimmen die Bürger über die Einführung des Mehrheitswahlrechts nach britischemVorbild ab. Die PO hatte die Abstimmung lanciert, die vermutlich an der Mindestbeteiligung von 50 Prozent scheitern wird. Kopacz zöge in diesem Fall mit der Last zweier Niederlagen in die Schlacht. Im Mai hatte der damals nahezu unbekannte PIS-Politiker Andrzej Duda bei der Präsidentenwahl völlig überraschend den beliebtenPO-Amtsinhaber Bronislaw Komorowski besiegt.

Trotz Wirtschaftswunder: Unzufriedenheit in Polen

Dudas Sieg war ein Fingerzeig: Nein, die meisten Polen haben vermutlich nicht vergessen, was Kaczynski ihnen einst zugemutet hat. Aber ja, sie sind unzufrieden! Unzufrieden mit der PO, die seit acht Jahren regiert, lange unter Führung des heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, inzwischen mit Kopacz an der Spitze.

Beiden ist es nicht gelungen, die Bürger für sich zu gewinnen. Polen ist und bleibt zwar ein enorm erfolgreiches Wirtschaftswunderland. Aber viele glauben, für den Erfolg zu viel bezahlt zu haben. Also lieber die PIS wählen, die eine Rücknahme der Rente mit 67 verspricht?

Gegner: Kaczynski ist „Puppenspieler, der Marionetten tanzen lässt“

Der umstrittene Rechtspopulist Kaczynski greift im Wahlkampf 2015 zu einem Trick, der in Polen bestens bekannt ist – und doch ein zweites Mal verfangen könnte. Genau zehn Jahre ist es her, dass sich Kaczynski den Weg an die Macht in Warschau bahnte, indem er sich selbst aus dem Rennen nahm, vorübergehend, um die Politbühne wenig später umso kraftvoller durch die Hintertür wieder zu betreten. 2005 schickte die PIS den weithin unbekannten Kazimierz Marcinkiewicz ins Rennen und gewann. Marcinkiewicz wurde Premier, bis ihm Kaczynski 2006 das Vertrauen entzog und selbst das Ruder übernahm. Der Marcinkiewicz des Jahres 2015 ist eine Frau: Beata Szydlo, 52 Jahre, gelernte Kulturmanagerin und Sejm-Abgeordnete, verheiratet, Mutter von zwei Söhnen, kurz: eine Spitzenkandidatin, vor der niemand in Polen Angst haben müsste. Wäre da nicht Kaczynski, der im Hintergrund die Fäden zieht, wie Szydlos Kontrahentin Kopacz behauptet: „Kaczynski ist machtgierig. Er ist ein Puppenspieler, der seine Marionetten auf der Bühne tanzen lässt.“

Ob diese naheliegende Einschätzung die ganze Wahrheit ist, halten manche Beobachter allerdings für fraglich. Der liberale Soziologe Aleksander Smolar prophezeit: „Wenn die PIS an die Regierung kommt, würde sie kein radikales Programm umsetzen. Sie vertritt keine revolutionären Losungen mehr wie vor zehn Jahren.“ Kaczynski müsste draußen bleiben.