Das Umsteigen ist das große Ziel der Politik – doch oft sind die nötigen Parkplätze nicht vorhanden Foto: Michele Danze

OB Fritz Kuhn will den Autoverkehr in der Stuttgarter Innenstadt um 20 Prozent verringern. Den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel erschwert die chronische Überfüllung vieler Park-and-ride-Plätze. Der ADAC sieht 51 Anlagen am Anschlag.

Stuttgart - Die Botschaft, die aus Stuttgart in die Region hinausgeht, ist eindeutig: Lasst das Auto stehen und steigt auf öffentliche Verkehrsmittel um, wenn die Fahrt in die Landeshauptstadt gehen soll. Wenn gerade Feinstaubalarm herrscht sowieso. Aber auch sonst. Um 20 Prozent will Oberbürgermeister Fritz Kuhn den Autoverkehr in der Innenstadt reduzieren. Umgerechnet auf Menschen ist das eine gewaltige Zahl. Viele Stadt- und S-Bahn-Nutzer klagen dagegen schon heute, dass die Züge in den Hauptverkehrszeiten überfüllt sind. Dasselbe gilt auch für viele der 106 Park-and-ride-Anlagen mit 15 250 Plätzen in Stuttgart und der Region. Mehrere Organisationen schlagen jetzt Alarm und fordern mehr Stellplätze.

Die Kritik: Vom ADAC waren jüngst erstaunliche Töne zu hören. Gemeinsam mit dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) hat der Automobilclub zum Umstieg auf Bus und Bahn aufgefordert, um die Luft im Kessel zu verbessern. Doch es mischt sich auch Kritik darunter. Das P+R-Angebot müsse dringend ausgebaut werden, so Dieter Roßkopf, der Vorsitzende des ADAC Württemberg: „Mit neuen Kapazitäten schaffen wir noch mehr Anreize für die Fahrt mit alternativen Verkehrsmitteln ins Stadtgebiet.“ Noch deutlicher wird der Teamleiter für Verkehr und Verkehrssicherheitsprogramme Carsten Bamberg: „Viele Anlagen sind hoffnungslos überfüllt.“ Damit ist der ADAC nicht allein. „An Brennpunkten muss man sicher ausbauen. Da ist Druck im Kessel“, bestätigt VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger. Bei der Industrie- und Handelskammer heißt es: „Wir sehen Verbesserungspotenzial bei den vorhandenen Kapazitäten und den möglichen Umsteigeanreizen auf den öffentlichen Nahverkehr.“ Dazu gehöre auch der Ausbau der Stellplatzkapazitäten.

Die Zahlen: Der ADAC hat sich die 106 Park-and-ride-Anlagen im Verbundgebiet genauer angeschaut. Das Ergebnis: Fast die Hälfte davon, nämlich 51, sind im Schnitt zu mindestens 85 Prozent ausgelastet. „Das bedeutet, dass sie im Berufsverkehr in aller Regel voll belegt sind“, sagt Bamberg. Weitere 18 Anlagen sind nach der Analyse des Automobilclubs durchschnittlich zu mindestens 75 Prozent gefüllt. Der VVS geht in seinen Berechnungen sogar noch einen kleinen Schritt weiter: Er sieht 52 Anlagen zu mindestens 85 Prozent ausgelastet. 33 davon werden aktuell als „belegt“ oder „überbelegt“ eingestuft. Laut einer Erhebung des Verbands Region Stuttgart herrscht das größte Gedränge am Montagvormittag: Dann sind die 106 Anlagen im Schnitt zu 88 Prozent ausgelastet. Und dabei ist noch nicht einmal jeder Umsteiger eingerechnet: Jeder vierte stellt sein Auto gar nicht auf den P+R-Plätzen ab, sondern irgendwo in deren direktem Umfeld.

Die Brennpunkte: „Besonders an den Ästen der S-Bahn-Linien gibt es häufig nicht genug P+R-Parkplätze zum Umsteigen. Da wir dort eine hohe Zahl an Pendlern haben, die täglich nach Stuttgart fahren, sind hier dringend Maßnahmen erforderlich“, so ADAC-Experte Bamberg. Besonders schwierig sei die Lage in Backnang, Herrenberg und Vaihingen/Enz. Dem stimmt VVS-Geschäftsführer Hachenberger zu: „Allein in Vaihingen/Enz sehen wir Potenzial für weitere 200 Stellplätze.“ Er kennt massive Probleme auch in Plochingen und am Rand des Verbundgebietes: „Bondorf ist überfüllt, Lorch total überbelegt.“ Vor allem überall dort, wo das VVS-Tarifgebiet an den Außenrändern der Region beginne, sei der Umstieg besonders attraktiv und das Angebot gefragt. Aber auch im Stadtgebiet sieht der ADAC überfüllte Plätze: An den Stationen Vaihingen, Rohr, Österfeld, Degerloch, Heumaden, Ruhbank, Sommerrain und Zuffenhausen.

Das Problem: 2014 hat der Verband Region Stuttgart im Rahmen des ÖPNV-Pakts zwischen Land, Region, Kreisen und Stadt Stuttgart die Aufgabe übernommen, die verschiedenen Verkehrsträger besser miteinander zu vernetzen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Der Verband hat einen bunten Flickenteppich vorgefunden. Die P+R-Anlagen haben unterschiedliche Eigentümer, Betreiber, Tarife und Finanzierungen. Mal sind die Kommunen Ansprechpartner, mal die Bahn, mal beide oder noch ganz andere Mitspieler. Es gibt kein einheitliches System. „Wir haben keine eigenen Grundstücke. Wir reden deshalb mit allen Beteiligten, die das wollen“, sagt Regionaldirektor Jürgen Wurmthaler. Dabei wäre in der Theorie klar, was passieren muss: „Die Strategie muss sein, die Leute möglichst weit draußen abzuholen“, sagt VVS-Geschäftsführer Hachenberger. Er hält es ebenso wie der Verband Region für sinnvoll, dafür unter anderem ein abgestuftes Tarifsystem anzubieten: Kostenlose Stellplätze am Rand der Region, mittelteure näher an der Stadt und teure in Stuttgart selbst. Doch das lässt sich derzeit kaum umsetzen. Erste Maßnahmen: Der Verband Region konzentriert sich derzeit auf drei Säulen. Die erste ist bereits abgeschlossen – eine Datenerhebung, um die Gewohnheiten der Pendler besser kennenzulernen. In einem zweiten Schritt soll – vermutlich vom neuen Jahr an – ein Pilotprojekt mit Bosch anlaufen. An elf P+R-Stationen entlang der S-Bahn-Linien 2 und 3 im Rems-Murr-Kreis können Fahrgäste per VVS-App auf dem Handy oder Internetseite die jeweils freie Zahl von Stellplätzen sehen und gezielt eine freie Anlage ansteuern. 2500 Sensoren sind dafür bereits montiert und getestet. Der Versuch soll zwei Jahre laufen. Schneller geht’s im Parkhaus Österfeld in Stuttgart-Vaihingen: Von Dezember an müssen Gelegenheitsnutzer dort einen Fahrschein lösen, der auch zum Parken berechtigt. Stammkunden mit VVS-Abo können die Nutzungsgebühr über ihre Polygo-Karte bezahlen.

Der langfristige Plan: Der Verband Region versucht, 23 bedeutende Anlagen in der gesamten Region mit einer einheitlichen Betreiberorganisation unter seine Regie zu bringen. Die Kommunen sollen sich daran beteiligen. „Da wollen wir bis zur zweiten Jahreshälfte 2017 klarer sehen“, sagt Wurmthaler. Dann liefen diverse Pachtverträge aus, es böte sich die Chance zur Neustrukturierung. Zudem überlegten einige Kommunen derzeit den Ausbau der P+R-Plätze: „Es wird keinen Stillstand geben.“ Und weil ohne Geld gar nichts geht, fordern sowohl der Verband Region als auch der VVS: Das Land muss seine Zuschüsse für P+R-Anlagen wieder erhöhen. „Da müsste das Land der Region entgegenkommen“, sagt Hachenberger. Ob all das schnell genug geht, steht freilich in den Sternen. Da könnten Fahrverbote in Stuttgart deutlich früher kommen.