Hilfsgüter für Syrien. Foto: Leif Piechowski

Säcke voller Kleider andere Hilfsgüter: Eine Initiative aus Weinstadt schickt eine Menge Material in die vom KRieg gebeutelten Regionen in Syrien.

Wenn von Stuttgart in Zusammenhang mit Syrien die Rede ist, dann meistens von Flüchtlingen, die sich hier um Asyl bewerben. Doch der Bürgerkrieg wirkt auch andersherum: Das Organisationskomitee Syrische Revolution Stuttgart transportiert Hilfsgüter von hier in den Krisenstaat.

Stuttgart - Es sind Wunden, die womöglich niemals heilen werden. Denn die Bilder, die Mahmoud Alsayyad den Schlaf rauben, sind nicht nur in seinem Kopf, sondern auch im Netz. 2011, kurz nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien, erschoss ein Scharfschütze seinen damals 23-jährigen Neffen Mohamad Ahmad Alsayyad vor dessen Haustür. Das Video ging auf You Tube um die Welt.

Seitdem fühlen er und seine Frau Alexandra Lulay-Alsayyad sich dazu berufen, in Syrien aktiv zu werden. Genau wie es die anderen acht aktiven Mitglieder des Organisationskomitees Syrische Revolution Stuttgart tun, das auf einen großen Unterstützerkreis zählen kann und sich den Sturz von Syriens Präsident Baschar al-Assad wünscht.

Aber statt zu den Waffen zu greifen, greifen die Stuttgarter zur Spendendose – und verschiffen Containerladungen mit Hilfsgütern über Holland und die Türkei nach Syrien. Hierzu haben sie 2013 den humanitären Verein Syrian Humanitary Forum gegründet. Teilweise riskieren sie bei den Hilfsaktionen ihr Leben.

Faruk Al-Sibai spricht geschliffenes Akademikerdeutsch. Das Vorstandsmitglied des Organisationskomitees Syrische Revolution Stuttgart betreibt bis heute eine kleine Gießerei in Kirchheim unter Teck. Er steht in einer Garage in Weinstadt-Endersbach. Zwischen Kleidung, Babynahrung, Verbandsmaterial, Medikamenten, Rollstühlen und einem Zahnarztstuhl. Dass er vielleicht bald wieder bis an die Zähne bewaffneten Rebellen in einem Land gegenübersteht, in dem er um sein Leben fürchten muss, sieht man dem 42-jährigen ruhigen Mann und Gründungsmitglied des Organisationskomitees nicht an. Seit März 2013 war der studierte Werkstofftechniker zweimal in Syrien, um sicherzugehen, dass die Hilfsgüter bei bedürftigen Bürgern landen – und keinen politisch motivierten Splittergruppen oder gar dem Assad-Regime in die Hände fallen.

Assads Regime ist im vergangenen Jahr besonders hart gegen professionelle Berichterstatter, aber auch sogenannte Bürgerreporter – die aus privaten Gründen recherchieren und ihre Arbeiten meist im Internet veröffentlichen – vorgegangen. Insgesamt 45 Medienschaffende wurden 2013 von Assads Regime oder dschihadistischen Gruppen im von Rebellentruppen kontrollierten Nordsyrien ermordet, 80 weitere sitzen in Gefängnissen oder gelten als entführt. Das geht aus dem Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen hervor.

Faruk Al-Sibai glaubt, mittlerweile auf Assads Liste der gesuchten Bürgerreporter zu stehen, da auch er im Internet regimekritische Beiträge verbreitet. Als 2011 zum ersten Mal eine Mahnwache auf dem Stuttgarter Schlossplatz stattfand, die auf die Zustände in Syrien aufmerksam machte, sollen Männer Fotos von den Aktivisten des Organisationsbündnisses Syrische Revolution Stuttgart geschossen haben. Die Aufnahmen könnten im Auftrag des syrischen Geheimdiensts entstanden sein, mutmaßt Al-Sibai. Sechs Syrer wurden seit Beginn des Bürgerkriegs wegen des Verdachts auf Spionage aus Deutschland ausgewiesen. Drohanrufe, die Al-Sibai in der Folge erhalten haben will, hätten Inhalte wie „du machst den Mund ganz schön weit auf“ oder „reduziert eure Aktivitäten“ enthalten. Aber Al-Sibai lässt sich nicht einschüchtern.

Rund 100 000 Euro haben er und seine Mitstreiter vergangenes Jahr für Hilfsbedürftige in Syrien durch kleinere Veranstaltungen und Privatspenden gesammelt – Sachspenden wie Kleidung oder medizinisches Gerät sind dabei nicht mitgerechnet.

Al-Sibai sieht sich in der Garage in Weinstadt-Endersbach um. Drei Containerladungen werden das, schätzt Alexandra Lulay-Asayyad, die neben ihm steht. Die gehen kommendes Wochenende auf die Reise. Ob sie fürchten, dass die Lieferung diesmal nicht beim Volk ankommen könnte? „Nein“, sagt Al-Sibai. Die meisten oppositionellen Syrer seien gemäßigt und würden Hilfen nicht behindern. „Ich schätze, dass darunter vielleicht 20 000 Extremisten sind“, sagt der Sohn eines Syrers und einer russisch-orthodoxen Christin, der in Deutschland geboren ist. Lulay-Alsayyad nickt zustimmend. Die deutsche Büroangestellte ärgert sich, dass sie manchmal in eine Ecke mit den religiös motivierten Hardlinern unter den Rebellenunterstützern gestellt wird. „Denen sind wir vom Organisationskomitee sowieso nicht radikal genug.“ Was man bei einem Aktionsbündnis aus schwäbisch-syrischen Familien durchaus glauben kann.

Dass es in dem vom Krieg geschundenen Land in naher Zukunft Frieden geben könnte, daran glauben Al-Sibai und Lulay-Alsayyad nicht. „Bis es so weit ist“, sagt Al-Sibai, „werden wir nicht damit aufhören, zu helfen, wo wir können.“