Ärzte wissen: Der Zeitraum, in dem am Kleinkind Spuren von sexuellem Missbrauch gesichert werden können, ist kurz. Daher sind sie immer im Zwiespalt. Eine gynäkologische Untersuchung kann ein Kind erneut traumatisieren. Foto: Symbolfoto: Hildenbrand

Psychologische Arbeit und polizeiliche Ermittlungen können kollidieren. Experten tauschen sich beim Infotag aus.

Offenburg - Kleinkinder vor sexueller Gewalt schützen und Opfern adä-quat helfen: Mehr als 100 sozialpädagogische und psychologische Fachkräfte sowie Experten aus Polizei, Justiz und Medizin haben sich über die Möglichkeiten bei der interdisziplinären Veranstaltung "Zeichen setzen!" informiert.

In den großen Saal der Volkshochschule Offenburg hatten die Beratungsstelle "Aufschrei", das Jugendamt und das Amt für Soziale und Psychologische Dienste des Ortenaukreises, der Kreisverband der Parität, die Kinderschutzambulanz am Ortenau- Klinikum und die Volkshochschule Offenburg eingeladen.

"Missbrauch findet täglich und überall statt", betonte Sozialdezernent Georg Benz. "Deswegen müssen auch wir im Ortenaukreis gemeinsam für einen Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zusammenarbeiten." Im Amt für Soziale und Psychologische Dienste am Landratsamt wurde deshalb ein Fachgremium initiiert, in dem alle an der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit sexuellen Gewalterfahrungen beteiligten Institutionen aus dem Ortenaukreis einbezogen sind. "Ziel ist es, auf der Grundlage der Empfehlungen des runden Tisches gegen sexuelle Gewalt des Bundesministeriums eine bestmögliche regionale Versorgungslage im Ortenaukreis zu erreichen", erklärte Benz.

Nur etwa ein Drittel der Missbrauchs-Fälle werden im Verlauf der Kindheit aufgedeckt, informierte Dorothea Hüsson vom Institut für Frühpädagogik an der Hochschule Schwäbisch Gmünd. Die Diplom-Sozialpädagogin erläuterte die Entwicklungsphasen und Erlebniswelten von Kleinkindern in Bezug auf sexuelle Gewalt. In Fallbeispielen zeigte Hüsson auf, welche Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten beim Kind und in der Interaktion mit seinen Bezugspersonen auf sexuelle Übergriffe hinweisen können.

In Workshops erfuhren die Teilnehmer, was man bei Hinweisen auf sexuelle Gewalt befolgen und was man unbedingt unterlassen sollte. Kinderpsychotherapeuten veranschaulichten, wie traumatisierten Kleinkindern geholfen wird.

Psychologische Arbeit und polizeiliche Ermittlungen können kollidieren

Ana Bela Alvez-Kardel, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Kinderschutzambulanz und Babysprechzeit des Ortenau-Klinikums Offenburg-Gengenbach, vermittelte medizinische Aspekte zum Thema. Sie wies darauf hin, dass einer medizinischen Untersuchung eines Kleinkindes immer eine umfassende Notwendigkeitsprüfung vorausgehe.

Es müsse gut abgewogen werden, da mit einer gynäkologischen Untersuchung für ein Kleinkind immer Belastungen verbunden seien. Durch eine entsprechende Vorbereitung können diese so gering wie möglich gehalten werde, so Alvez-Kardel. Kein Kind werde gegen dessen Willen untersucht, betonte die Medizinerin. Aber: Der Zeitraum, in dem Verletzungsspuren durch sexuellen Missbrauch beim Kleinkind festgestellt werden können, sei sehr kurz. Genetische Spuren des mutmaßlichen Täters oder der Täterin, etwa an der Kleidung des Kindes, ließen sich dagegen lange nachweisen, wenn sie entsprechend gesichert würden.

Martin Seifert, Erster Staatsanwalt der Offenburger Staatsanwaltschaft und zuständig für das Schwerpunktdezernat für Sexualstrafsachen, beleuchtete mit Diplom-Psychologin Renate Fiedler von der Karlsruher Fachberatungsstelle "AllerleiRauh" aus juristischer und psychotherapeutischer Perspektive, worauf zu achten ist, damit sich therapeutische erste Hilfe für ein betroffenes Kind und ein Ermittlungsverfahren gegen den Täter mit kindlichem Opferzeugen nicht gegenseitig im Wege stehen.

Hinsichtlich Schutz und Hilfe bei sexueller Gewalt soll im Ortenaukreis in Zukunft weiter auf Aufklärung, Information und interdisziplinäre Zusammenarbeit gesetzt werden, so die Organisatoren. Die große Anzahl an Teilnehmern an der interdisziplinären Kooperationsveranstaltung unterstreiche, wie wichtig es sei, sich für den Schutz gegen sexuelle Gewalt an Kleinkindern einzusetzen. Weitere themenspezifische Fachveranstaltungen sollen im Zweijahres-Rhythmus stattfinden.