Derzeit werden in Oberndorf – neben Pistolen, Präzisionsgewehren, Maschinengewehren, anderen Waffen und Zubehör – auch Ersatzteile für das G36 hergestellt. Foto: Gern

Waffenhersteller öffnet seine Türen. Gesellschafter spricht über Reputation, militärischen Abschirmdienst und das G36.

Oberndorf/Berlin - Prinz Harry ist schon da. In der Stadt, die sich hübsch an die Berge schmiegt. In der Talstadt die Augustiner-Klosterkirche in spätbarockem Stil. In der Oberstadt das alte Rathaus und das Stammhaus des Schwarzwälder Boten, eine der großen Zeitungen in Baden-Württemberg im Jubiläumsjahr ihres 180-jährigen Bestehens. Hoch droben auf dem Lindenhof dann das ausgedehnte Areal des Waffenproduzenten Heckler & Koch (HK) im Stile eines modernen Industriekomplexes. Und ein herrlicher Blick übers Neckartal. Es hat schon was, dieses Oberndorf im Kreis Rottweil.

Das sieht auch Andreas Heeschen so. Der Manager arbeitet seit zehn Wochen am Hauptsitz der Rüstungsschmiede; eigentlich, um HK "vorwärtszuentwickeln", wie er sagt. Die Meldungen über das G36 kamen ihm dazwischen. Der Blick gleitet aus dem Besprechungsraum "Berlin" übers Firmengelände, hinüber zur Schwäbischen Alb. Gewehre sind aufgebaut, und an der Wand hängt eben dieses Foto von Prinz Harry, damals als Soldat in Afghanistan, in der Hand selbstverständlich ein Gewehr von HK.

"Geliefert wie bestellt", sagt Heeschen

Derzeit schauen viele Augenpaare aus Berlin gen Schwarzwald. In der Hauptstadt hat die Verteidigungsministerin im Bendlerblock einen Amtssitz und vermutlich stapelweise Unterlagen zum Oberndorfer Produkt G36 auf dem Tisch. Seit Wochen tobt ein hartnäckiger, politisch grundierter Streit um die Standardwaffe der Bundeswehr, hinter dem auch Rivalitäten im Ministerium stecken könnten. Ein halböffentliches Papier aus dem Haus von Ursula von der Leyen (CDU) formuliert Mängel an der Waffe bei Hitzeeinwirkung. Soldaten und Waffenexperten hingegen bescheinigen dem G36 volle Funktionsfähigkeit. Zuschriften von Unterstützern veröffentlicht HK auch auf seiner Homepage. "Als Reservist der Bundeswehr kann ich Ihnen mitteilen, dass ich mit dem Gewehr G36 nur positive Erfahrungen gesammelt habe", heißt es unter anderem. "Geliefert wie bestellt", sagt HK-Gesellschafter Heeschen dazu knapp und verweist auf die Lieferbedingungen.

Eine Untersuchung, die Ressortchefin von der Leyen in Auftrag gegeben hat, erkennt eine Treffungenauigkeit beim Schießen. Obwohl nur ein Szenario geprüft und die zweite Phase der Untersuchungen nicht abgewartet wurde, reichten ihr die Auszüge, um festzustellen: Das G36 habe "so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr". Warum nicht durchgreifen und das G36 fürs Erste ausmustern?

Heeschen fallen viele Gründe ein, anders zu entscheiden. "Physikalische Gesetze kann auch das G36 nicht überwinden", sagt er etwa. Für die G36-Prüfung sollten sich im Szenario "Hinterhalt" Soldaten "in einem Gefecht hoher Intensität" verteidigen, wie es im Vorwort des Abschlussberichts heißt. Ein Mitarbeiter Heeschens sagt dazu, für solch einen Einsatz stünden völlig andere Waffen zur Verfügung. Maschinengewehre zum Beispiel.

Und dann wären da noch die Kosten für das Gewehr, das 1995/96 bei der Bundeswehr eingeführt wurde: 1500 Euro muss Berlin für ein G36 zahlen. Als Vergleichswaffe A, die ebenfalls getestet wurde und als einzige besser als das G36 abschnitt, wurde von Heckler & Koch das hauseigene HK416 BW ausgemacht. Kostenpunkt: 3000 bis 5500 Euro. Die Lieferung: Kein Problem, heißt es aus der 14.500-Einwohner-Stadt Oberndorf. Wenn denn Ersatz nötig werden sollte. Doch dafür fehlt von der Leyen vermutlich das Budget.

Der eigentlich medienscheue Manager Heeschen wird deutlich: "Das Unternehmen ist in seiner Reputation in solch ein Fahrwasser geraten, das es nicht verdient hat. Und am Ende liegt der Reputationsschaden auch bei mir." Heeschen hat Heckler & Koch im Jahr 2002 von British Aerospace Defence gekauft, für einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag, hat in den folgenden Jahren nach eigenen Angaben 95 Millionen Euro investiert. Flexibilisierung war ihm wichtig, ebenso auf Kundenwünsche schnell eingehen zu können.

Kein Interesse an Schlammschlacht

Er blickt lieber in die Zukunft. An einer Schlammschlacht gegen das Ministerium hat er überhaupt kein Interesse, wie er sagt, Heeschen will eine Lösung. In Deutschland verkaufe Heckler & Koch immerhin 80 Prozent seiner Produkte an Behörden – Militär, Polizei, Grenzschutz. Der Anteil, den die Bundeswehr davon ausmacht, liege bei unter zehn Prozent.

Geöffnet werden auch die Produktionshallen des Unternehmens, in dem sonst für Außenstehende meist an der Pforte Schluss ist. Dort erklärt Geschäftsführer Martin Lemperle nun, was an sieben Tagen die Woche, 24 Stunden am Tag hergestellt wird. Und vor allem wie. Lemperle, seit 1966 bei HK und an diesem Tag mit leuchtend roter Heckler & Koch-Krawatte unterwegs, kennt jeden Handgriff. Er demonstriert, wie aus einer Drei-Meter-Stange Nitrierstahl Verschlussköpfe entstehen. Wie die 8,5-Millionen-Euro-Maschine fräst. Mit einem Maschinengewehrgehäuse in der Hand zeigt er, wie die Waffe später montiert wird. Egal, welches Teil er sich greift, er kennt jedes Detail. Beim Mitarbeiter, der die Gewehrrohre mit geschultem Auge prüft, bleibt er stehen, erklärt, wie das Licht einfallen muss, um zu sehen, dass das Rohr tatsächlich gerade ist.

Das Schlagwort Qualität fällt immer wieder. Heeschen sagt: "Zehn Prozent der Belegschaft sind für die Qualitätssicherung zuständig." Geschäftsführer Lemperle erklärt: "Jedem Fertigungsbereich ist eine Qualitäts-sicherung zugeordnet." Im Unternehmensleitbild steht, dem Kunden sollen ein Höchstmaß an "Zuverlässigkeit" und "Schützensicherheit" garantiert werden.

Lemperles Herz, das sieht man ihm an, schlägt für die Produktion: "Das ist meine Welt." Das erklärt, warum er beinahe fassungslos ist über die Anschuldigungen zum G36. "Mir ist nicht eine Meldung bekannt, in der das Gewehr von Soldaten kritisiert wird, und zwar weltweit." In 40 Kernländer liefert HK das G36.

Man muss nicht lange nachrechnen, was der Imageschaden bedeuten könnte. Im Geschäftsbericht heißt es schon für 2013 schwarz auf weiß: Die Ausgaben für Verteidigung werden reduziert, das schlägt sich auf die Unternehmensbilanz durch. Rund 235 Millionen Euro Umsatz meldet HK laut Heeschen für 2013. Der Inlandsumsatz zog an, der Auslandsumsatz ging zurück. "Exportstopp", nennt der Gesellschafter als Grund. Für 2014 erwartet er einen Umsatz von 150 Millionen Euro, für 2015 deutlich mehr, weil das US-Geschäft ausgebaut werden soll.

Heeschen hat eine eigene Erklärung für die Kritik, die seit Jahren über das Unternehmen hereinbricht. "Beschwerden kommen aus interessierten Kreisen", sagt er; genauer wird er nicht. Und das Instrument der Rufschädigung, so sagt er, "wird in den USA ständig eingesetzt". Um Preise für Unternehmen zu drücken beispielsweise. Also alles eine böse Kampagne?

Hier kommt der Militärische Abschirmdienst (MAD) ins Spiel. Ein Brief des damaligen Leiters der Abteilung Ausrüstung beim Verteidigungsministerium von Ende 2013 belegt: Es gab diesen umstrittenen Kontakt zwischen HK und dem Abteilungsleiter. Heeschen sagt freiheraus: "Wir wollten den MAD aufmerksam machen, dass wir uns als Unternehmen Sorgen machen, dass die Versorgungssicherheit der Truppe eingeschränkt wird." Dabei geht es nicht nur um das G36, auch um Gewehre für Libyen, zu denen die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen bereits einstellte, und auch um illegale Waffenlieferungen in Unruheprovinzen nach Mexiko, wegen derer HK-Mitarbeiter vor Gericht stehen.

Rufmord? Heeschen spricht wieder von "äußeren Kräften", die auf das Unternehmen einwirken, und betont: "Nicht die Medien." Das nämlich war der Vorwurf: dass HK versucht haben soll, Journalisten auszuspähen. Er wiegelt ab. "Wir wollten einfach wissen: Was passiert hier?" Das Ausspähen der Presse sei in dem Gespräch weder diskutiert noch angeregt worden.

Selbst der Abteilungsleiter Rüstung schrieb dem veröffentlichten Brief zufolge an den Präsidenten des Militärischen Abschirmdiensts, die Kampagnen könnten das Unternehmen so weit "diskreditieren, dass eine Geschäftsübernahme durchgeführt werden kann". Und: "Da das Unternehmen als Systemhaus für die Bundeswehr erhebliche Bedeutung im Bereich der Handwaffentechnologie hat, hätte dies den Abfluss von entsprechendem wehrtechnischem Know-how ins Ausland zur Folge." Heeschens Urteil: "Wie ein B-Krimi."

Er hofft auf Sachlichkeit in der Diskussionen

Der Streit um das G36, so hofft er, könnte bald geklärt werden. Am Mittwoch wurde das Vorwort des Abschlussberichts bekannt. Das G36, heißt es, sei "nach wie vor eine zuverlässig funktions- und betriebssichere Waffe". Eine Gefährdung für den Schützen sei nicht ableitbar. Heeschen reicht das: "Ich erwarte, dass Sachlichkeit in die Diskussionen eintritt." Selbst wenn das Verteidigungsministerium schnell nachschiebt: "Wenn es im Vorwort heißt, ›das G36 sei nach wie vor funktions- und betriebssicher‹, dann verbirgt sich für den Fachmann dahinter eine Banalität. ›Funktionssicher‹ ist ein Gewehr, wenn es die normale Funktion eines Gewehres erfüllt, nämlich dass zuverlässig (auch bei Staub und Regen) eine Kugel aus dem Lauf kommt, sobald man am Abzug zieht. ›Betriebssicher‹ heißt für den Fachmann, dass beim Verschießen einer Kugel mit dem G36 vom Gewehr selbst für den Schützen keine Gefahr ausgeht (zum Beispiel Handverletzung)." Wären diese Grundvoraussetzungen "nicht erfüllt, dürfte man die Soldaten keine Stunde länger mit dem G36 hantieren lassen". Täuschung will sich das Ministerium nicht nachsagen lassen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass man sich das aus dem Bericht herausgepickt hat, was ins eigene Kalkül passt.

Ein wenig Ruhe wünscht man sich auf dem Oberndorfer Lindenhof. Doch es ist eben nicht wie damals im Jahr 1949, als die Waffenschmiede gegründet wurde und wegen des Waffenherstellungsverbots Kochtöpfe, Nähmaschinen, Fahrräder oder Rechenmaschinen produzierte. Aber dann würde auch kein britischer Prinz ein HK-Produkt stolz in Händen halten.