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Hanne Blust hilft Frauen, Kindern und Jugendlichen, denen Gewalt widerfahren ist

Sie kam zehnmal zur Beratung, weil ihr Mann sie körperlich und psychisch misshandelte. Dennoch kehrte sie immer wieder zu ihm zurück. Beim elften Mal zog sie die Trennung durch – und all das dank Hanne Blust von "Frauen helfen Frauen".

Oberndorf/Rottweil. Wenn Mama das Kopftuch anzieht und die Sonnenbrille aufsetzt, dann nicht, weil es kühl oder sonnig ist. Dann hat sie wieder Veilchen im Gesicht oder Würgemale am Hals. Irgendwann haben das auch die vier Kinder der Frau, die aus Angst anonym bleiben möchte, begriffen. Der "Herr des Hauses" misshandelt die Mutter aber nicht nur körperlich. Er hält sie klein, versagt ihr den Zugriff auf Geld und isoliert sie von Freunden und Familie. Dabei ist gerade das fünfte Kind unterwegs, sie könnte Rückhalt brauchen.

Und auch wenn der Druck stärker wird, ist die Angst vor der Trennung größer. Zu schwer scheint ein Neustart ohne Einkommen. Erst als sie in Reha muss, wagt sie den Absprung. Diesmal zieht sie es durch. Davor kehrte sie immer wieder zu dem zurück, der ihr all das Leid zugefügt hatte. "Die Frauen bleiben oft, weil sie die Situation – so schlimm sie auch ist – kennen und denken ›bisher hab ich es ja auch überlebt‹", kennt Hanne Blust die Denkmuster. Es ist die trügerische Sicherheit des Gewohnten.

Problem in Angriff nehmen

Hanne Blust hat psychologische Beratung studiert, arbeitete zwölf Jahre lang in einer Psychiatrie und berät nun kostenlos bei "Frauen helfen Frauen" zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Renate Weiler diejenigen, denen Gewalt widerfährt, an den Standorten Rottweil, Oberndorf, Sulz und Schramberg. Die 54-Jährige wuchs selbst behütet auf. "Das Thema Gewalt war mir fremd", gibt sie zu. Umso wichtiger wurde es ihr, für die da zu sein, die täglich mit Gewalt konfrontiert werden.

Dass ihr Rat bei der betroffenen Frau anfangs nicht zu fruchten schien, nahm ihr nicht den Mut. Oft handle es sich um Vermeidungstaktiken. "Wenn ich die Situation klar sehen kann, dann muss ich sie auch in Angriff nehmen. Und davor schrecken viele zurück", weiß Blust.

Mit ihrer Geduld begleitet Blust die Frauen so, wie diese es brauchen. "Ich werde erst aktiv, wenn mich jemand ausdrücklich darum bittet", sagt sie. "Man darf keinesfalls übergriffig werden, denn die meisten Frauen erleben ja ohnehin schon Übergriffe", meint Blust. Vielen falle schon der Schritt, zur Beratung zu gehen, enorm schwer. Das Eingeständnis, dass man ein Problem habe und mit diesem nicht selber fertig werde, koste viel Überwindung. "Dabei muss niemand Hemmungen haben oder fürchten, sein Problem sei nicht groß genug, um sich helfen zu lassen. Not ist für jeden etwas anderes", sagt Blust.

Anonymität hat Priorität

Umso wichtiger findet sie, dass ihr Büro gemütlich wie ein Wohnzimmer ist, damit die Frauen sich dort wohl fühlen. Zudem ist die Anonymität höchstes Gebot. Die Betroffenen begegnen einander nie. Von der Einmal- bis zur Mehrfachberatung, von sexueller über physische bis zur psychischen Gewalt bei älteren Frauen wie auch jungen Mädchen hilft Blust jedem mit einem offenen Ohr oder Begleitung bei Behördengängen.

405 Beratungen hat sie 2015 durchgeführt, die älteste Betroffene ist 80 Jahre alt. "Gewalt ist nicht immer nur Prügel. Psychische Gewalt äußert sich anders, in Demütigungen, Isolation, Machtstrukturen und dem Schaffen einer Abhängigkeit", erklärt die 54-Jährige.

Seit 2012 bieten Blust und Weiler zudem das "Auswege"-Programm für Kinder und Jugendliche an. Oft treten Kindergärten oder Schulen mit dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs bei ihren Schützlingen an die Frauen heran. Dann sprechen Blust und Weiler mit dem Kind und stellen gegebenenfalls den Kontakt zu Therapeuten oder Jugendamt her. Als neues Standbein gibt es zudem unter dem Motto "Standpunkte" Schulprojekte, deren Aufgabe es ist, Kinder selbstbewusster und weniger anfällig für die Opferrolle bei Gewalt zu machen.

Schämen sollte sich niemand, der zu Blust kommt. "Wenn eine Frau zehnmal kommt und es erst beim elften Mal schafft, sich zu trennen, dann hat sich der ganze Weg gelohnt", versichert sie.

Weitere Informationen: Wer einen Termin vereinbaren möchte, der kann sich unter Telefon 0741/4 13 14 melden. www.fhf-auswege.de