Schauspieler Rüdiger Hellmann will Gedanken, Gefühle, Herz und Verstand der Gymnasiasten ansprechen. Foto: Fahrland Foto: Schwarzwälder-Bote

Gymnasium: Literatur wird zum Theatererlebnis im Klassenzimmer

Oberndorf. Ein intensives Theatererlebnis gab es für rund 60 Schüler der zwölften Klassen des Gymnasiums am Rosenberg (GAR). Alle Requisiten passten in einen Kombi, die Aufführung fand im Doppelklassenzimmer statt und trotz vieler Protagonisten gab es nur einen einzigen Schauspieler, Rüdiger Hellmann, dem die Schüler unmittelbar gegenüber saßen.

Regisseur Thorsten Kreilos inszeniert

"Büchner. Die Welt. Ein Riss" lautete der Titel der Inszenierung von Regisseur Thorsten Kreilos, dem Gründer von "THEATERmobileSPIELE" aus Karlsruhe, der mit dem Stück von Schulen in ganz Baden-Württemberg gebucht werden kann.

Eine Textcollage in intimer Spielsituation hatte Kreilos eingangs angekündigt und dafür ausgesuchte Passagen aus verschiedenen Texten und Dramen von Georg Büchner zu einem Einmannstück verwoben. In nur 60 Minuten geht es um Revolution, Unterdrückung, Macht und Aufbegehren, um Menschenrechte, Gesellschaftskritik, Atheismus, Geburt und Tod. Eine zentrale Rolle spielt das Drama "Dantons Tod" von 1835, Sternchenthema für die Abiturienten – neben "Agnes" von Peter Stamm und "Homo Faber" von Max Frisch. Darin finden sich viele markante Sätze, die bis heute aktuell sind: "Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?". Und geradezu eine Herausforderung zur Diskussion: "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen."

Weitere Quellen sind Büchner-Briefe, der "Hessische Landbote", "Leonce und Lena", "Woyzeck" und "Lenz", deren Figuren allesamt von Hellmann genial verkörpert werden. Er stöhnt, flüstert, schweigt und brüllt, wechselt Stimme und Perspektive zuhauf, verändert mit wenigen Griffen die schichtweise aufgebauten Kulissen aus Sackleinen und Kunststofffolien über rohen Holzgestängen, zieht hier eine Schreibfeder, dort eine Perücke zwischen den einzelnen Schichten hervor, um in die unterschiedlichen Charaktere zu schlüpfen. Besonders eindrucksvoll gelingt dies beim Dialog zwischen Danton und Robespierre, da jede Körperhälfte einen Charakter darstellt.

So wird Danton im blutbespritzten Hemd durch eine 180-Grad-Drehung zum Herrscher im roten Mantel. Ebenso wandelbar ist der ausklappbare schwarze Holzwürfel, der von der Wiege zur Bahre, vom Thron zur Guillotine wird.

Studiendirektorin Xenia Werkmeister hatte mit ihren Schülern im Vorfeld nicht nur das Stück gelesen, sondern auch Begleitmaterial zu "Dantons Tod" durchgearbeitet. Diese Passagen genossen den höchsten Wiedererkennungseffekt, während die Zuordnung anderer Texte schwerfiel. Das wurde bei der Fragerunde im Nachgespräch deutlich.

Kreilos wollte das Stück aber nicht als "germanistische Schnitzeljagd" verstanden wissen, welche Textfragmente wohin gehören, sondern lud dazu ein, "den Kosmos Büchner und innere Welten zu entdecken". Es gebe keinen Leitsatz, keiner Weisheit letzter Schluss. Angesprochen seien Gedanken, Gefühle, Herz und Verstand. Die Reaktionen der Schüler reichten von "verwirrend" und "bisschen viel auf einmal" über "wenigstens flog kein Salat wie bei dem Stück in Berlin" bis zur Frage, ob "die Schizophrenie ins echte Leben abfärbt".

Viel Applaus für Schauspiel-Leistung

"Ihr spielt im Leben doch auch verschiedene Rollen und seid in der Schule anders als zuhause", entgegnete Hellmann, dessen schauspielerische Leistung und Wandlungsfähigkeit mit uneingeschränkter Anerkennung und viel Applaus belohnt wurde.

Der Abbau ging mit Hilfe der Schüler rasch vonstatten, und das Klassenzimmertheater zog mit dem vollgepackten Kombi weiter nach Villingen-Schwenningen. Rund 800 Vorstellungen werden es wohl werden.