Christdemokraten loben Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Bundestag verschärft Asylrecht: Abschottung ist Illusion.

Oberndorf/Berlin - Da steht sie nun, die Kanzlerin, nach einem vermutlich harten Tag mit Kabinettssitzung am Morgen in Berlin, Eröffnung des Bosch-Forschungszentrums am Mittag im baden-württembergischen Renningen und nun im nordsächsischen Schkeuditz bei einer CDU-Regionalkonferenz. Es soll am Mittwochabend um viele Themen gehen, die die Union an der Basis bewegen, nun dreht sich alles um eines: die Flüchtlingskrise.

Merkel wird attackiert. Ostdeutsche CDU-Landesverbände werfen ihr Versagen vor; sie warnen vor einer "nationalen Katastrophe", sollte der Flüchtlingszuzug nicht gestoppt werden. Weite Teile der Bevölkerung könnten Merkels "Wir schaffen das" nicht mehr hören, sagt eines der knapp 1000 anwesenden CDU-Mitglieder. Auf einem Plakat ist zu lesen: "Flüchtlingschaos stoppen – Deutsche Kultur + Werte erhalten – Merkel entthronen".

Damit hat sich auch CDU-Innenexperte Bosbach offenbar getäuscht. Noch im September hatte er in Sulz am Neckar gesagt, zwar werde manches mal Kritik laut, doch "Dann kommt die Kanzlerin, und die Welt sieht schon wieder ganz anders aus". Nun aber das Aufbegehren. Auch Bosbach äußert mittlerweile Zweifel an der Flüchtlingspolitik der CDU-Chefin. "Die Bundeskanzlerin genießt – nach wie vor – in der Bundestagsfraktion größtes Vertrauen. Allerdings fragen sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen, ob wir schnellere Asylverfahren, eine angemessene Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge sowie deren Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt erfolgreich schaffen, wenn der Zuwanderungsdruck im bisherigen Umfang anhält", so Bosbach diese Woche. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble? "Bild" berichtet, während die Fraktion heftig über die Flüchtlingspolitik diskutierte, sei Schäuble auffällig schweigsam geblieben.

Merkel lässt sich aber nicht aus der Fassung bringen. Schließlich gibt es auch andere Stimmen. So wie jene der 26 Oberbürgermeister und 10 Landräte aus dem Südwesten. Sie veröffentlichen gestern einen Unterstützerbrief. "Es ist unsere humanitäre Pflicht, Hilfe zu leisten", schreiben sie. Kritiker und Gegner aus den eigenen Reihen wollen sie übertönen. "Wir unterstützen Sie darin, mit den europäischen Staatschefs wieder stärker gemeinsam nach Lösungen zu ringen, denn eine auf viele Schultern verteilte Last ist einfacher zu tragen."

Hervorgehoben wird aber auch, dass schnelle Lösungen nötig sind – selbst wenn die Südwest-Christdemokraten es freundlich umschreiben: "Wir unterstützen Ihre Forderung, dass Asylverfahren schneller bearbeitet und abgelehnte Flüchtlinge möglichst schnell in ihre Heimat zurückgeführt beziehungsweise abgeschoben werden." Oder: "Wir sprechen uns ebenfalls dagegen aus, dass nationale Grenzen im vereinten Europa wieder hochgezogen und abgeschottet werden. Klar ist jedoch auch, dass Schengen nur möglich ist, wenn die geltenden europäischen Regelungen (Dublin,...) auch wieder Beachtung und Anwendung finden. Dies in Europa durchsetzungsstark einbringen, können nur Sie." Eine Aufforderung.

Die Kanzlerin fährt einen zweigleisigen Kurs: Asylrechtsverschärfungen für Menschen vom Balkan, Aufnahmebereitschaft für Migranten aus Kriegs- und Krisengebieten. Dabei bleibt sie. Und damit begründet auch Acherns Oberbürgermeister Klaus Muttach seine Unterstützung: "Wichtig ist mir, dass wir auch in Krisensituationen unsere Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit, die unser Land starkgemacht haben, nicht über Bord werfen", berichtet er unserer Zeitung. Die Geschichte habe gezeigt: "Wenn wir die Würde von Menschen ganz gleich welcher Gruppe außer Kraft zu setzen – dann ist ein Flächenbrand, wie wir ihn in der deutschen Geschichte leider schon erleben mussten, nicht mehr weit."

Freudenstadts OB Julian Osswald wiederum betont: "Mir ist es sehr wichtig, dass wir nicht alle in einen Topf werfen. Tatsächlich Verfolgte müssen aufgenommen werden." Andere, die nicht unterschrieben haben – wie der Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, Sven Hinterseh –, halten sich bedeckt. Der Calwer Landrat Helmut Riegger ist ebenfalls nicht vertreten. Aus der Pressestelle des Landratsamts heißt es knapp, dass man die Aktion unterstütze. Jedoch sei es aus terminlichen Gründen nicht zur Unterzeichnung gekommen.

Merkel geht ihren Weg. In ihrer Regierungserklärung mahnt sie ein "gemeinsames Handeln aller Ebenen" in Deutschland an. "Abschottung im 21. Jahrhundert des Internets ist auch eine Illusion", sagt sie. "Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu begreifen."

Info: Unterzeichner

26 Oberbürgermeister und zehn Landräte haben den Brief unterzeichnet. Darunter: Oberbürgermeister Stephan Neher (Rottenburg, Kreis Tübingen), Michael Beck (Tuttlingen), Matthias Braun (Oberkirch), Wolfgang Dietz (Weil am Rhein), Jürgen Großmann (Nagold), Klaus Muttach (Achern), Julian Osswald (Freudenstadt), Helmut Reitemann (Balingen), Peter Rosenberger (Horb), Stefan Schlatterer (Emmendingen), Edith Schreiner (Offenburg), Toni Vetrano (Kehl).

Landräte Joachim Walter (Tübingen), Wolf-Rüdiger Michel (Rottweil), Landrat Günther-Martin Pauli (Zollernalbkreis), Klaus Michael Rückert (Freudenstadt).