Ein freiwilliger Helfer des Deutschen Roten Kreuzes spielt in einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Rottenburg mit der kleinen Zena aus Syrien. Foto: Kastl

Flüchtlingssituation hält das Deutsche Rote Kreuz in Atem. Bei den Hilfsgütern gibt es Engpässe. Führt Belastung zum Kollaps?    

Oberndorf - Die Flüchtlingssituation hält das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Atem. "Dahinter muss derzeit vieles zurückstehen", sagt Lorenz Menz, Präsident des Landesverbands – und lobt seine 46 000 ehrenamtlichen Helfer in Baden-Württemberg: "Die Flüchtlingswelle ist zur größten humanitären Herausforderung seit dem Krieg geworden. Das Ehrenamt war noch nie so spontan, so flächendeckend und anhaltend wie derzeit."

Aber auch noch nie so überlastet und gefordert. Landessprecher Udo Bangerter erzählt dazu eine kleine Geschichte. "Mitte September hieß es, ein Zug mit 700 Asylbewerbern komme samstagmorgens in Stuttgart an." Also rückten ehrenamtliche DRK-Helfer aus, schmierten Brote und packten 1000 Verpflegungspakete, um die Leute am Hauptbahnhof in Empfang zu nehmen.

Doch der Zug kam nicht. Stattdessen hieß es irgendwann, Busse seien unterwegs. Doch auch die blieben aus. Schließlich verlautete, deren Fahrer hätten die Lenkzeiten überschritten und dürften nicht weiter. Die Helfer warteten bis nachts – und besorgten dann einen Lastwagen, mit dem sie die Hilfspakete um 3 Uhr morgens nach Ulm fuhren, wo die Busse gestrandet waren.

"Ich habe die Sorge, dass die Belastung zum Kollaps führt"

Nur ein Beispiel von vielen dafür, wie sehr es überall drunter und drüber geht. Die Kreisverbände haben gut zu tun – beispielsweise auf der Zollernalb: Dort bietet das DRK in der Landeserstaufnahmestelle Meßstetten ein Freizeitangebot an. Es reicht von der Hilfe beim Erlernen der deutschen Sprache bis zu Basteln und Spielen. Es gibt einen DRK-Arbeitskreis Asyl, ein Fahrservice für Flüchtlinge in einen Kleider- und Tafelladen wurde eingerichtet, in der Bedarfserstaufnahmestelle im ehemaligen Krankenhaus in Hechingen geben Ehrenamtliche Essen aus.

Die vielen freiwilligen Helfer lassen sich teilweise sogar von der Arbeit freistellen und packen oftmals bis zur Erschöpfung an. Menz findet deshalb deutliche Worte: "Die Grenze der Belastung unserer Frauen und Männer ist erreicht. Ich habe die Sorge, dass die Belastung zum Kollaps führt." Man könne "nicht zaubern" und immer noch mehr Ehrenamtliche aktivieren. Man helfe gern, aber viele Aufgaben müssten zügig von Hauptamtlichen übernommen werden. Es handle sich um einen enormen Kraftakt – und die größte Aufgabe stehe erst noch bevor, nämlich die Millionen neue Migranten in unsere Gesellschaft zu integrieren. "Das Ehrenamt kann nicht die zentrale Lösung sein", sagt Menz an die Adresse des Landes, mit dem die Zusammenarbeit bisher aber gut funktioniere.

Immer schwerer tun sich die Helfer damit, genügend Hilfsgüter zu bekommen. "Der Markt in Europa ist leer gefegt", sagt DRK-Landesgeschäftsführer Hans Heinz. Zuletzt hat die Hilfsorganisation deshalb von Rot-Kreuz-Kollegen aus den USA und Kanada 15 000 Feldbetten besorgen müssen. Für Schlafsäcke liegen die Lieferzeiten derzeit bei vier bis fünf Wochen.

Ein Kraftakt: Zelte, Decken, Hygienesets übers Land verteilt

"Wir fordern für die Zukunft deshalb eine deutlich ausgeweitete Vorhaltung von Hilfsgütern", sagt Menz. Bisher hat das Rote Kreuz selbst vorgesorgt und in einem Katastrophenschutzlager in Kirchheim/Teck ein eigenes Logistikzentrum eingerichtet. Von dort sind in den vergangenen Monaten 45 000 Schlafsäcke, Tausende Feldbetten, Hygienesets, Wolldecken, Handtücher und Zelte als Soforthilfe übers Land verteilt worden. Das Land hat sich mittlerweile angeschlossen, sodass das Lager inzwischen als zentrales Logistikzentrum für die Verteilung von Materialien an die Erstaufnahmestellen und Notunterkünfte gilt. Doch die Hilfsgüterbeschaffung müsse noch vorausschauender erfolgen, fordert Menz.

Die Lage ist also mehr als angespannt. Immerhin: Andere Hilfsorganisationen sehen zumindest noch ein bisschen Luft nach oben. Es wollten sich nach wie vor viele Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit engagieren, heißt es beim Caritasverband, der allerdings sehr viel weniger freiwillige Helfer koordiniert als das Rote Kreuz. Sowohl bei der Erzdiözese Freiburg als aich in Rottenburg will man nicht von Überlastung reden. Und auch Menz bekräftigt, die Stimmung sei trotz der Überlastung noch nicht gekippt.

Ein Ende der Herausforderung ist allerdings momentan nicht abzusehen. Politisch einmischen wolle man sich dennoch nicht, sagt Menz: "Für uns ist der Mensch in seiner Not das entscheidende Kriterium. Wir helfen, ohne zu fragen." Doch die Zukunft macht ihm Sorgen: "Wir müssen uns nach der Willkommenskultur auch um die künftige Alltagskultur bemühen. Das geht gerade völlig unter." Nicht nur die Helfer sind eben derzeit Getriebene – auch die Politiker.