Michael Theurer. Foto: dpa

FDP-Landesvorsitzender und EU-Abgeordneter Michael Theurer macht sich Sorgen um die Demokratie.

Oberndorf - Die politische Karriere von Michael Theurer hat schon manch überraschende Wendung genommen. Mit 27 Jahren – noch vor Beendigung seines Studiums – wurde er in der Neckarstadt Horb zum Oberbürgermeister gewählt, mit 34 Lenzen saß er für die FDP im Landtag und mit 42 im Europa-Parlament. Und jetzt will er in den Bundestag. Er nennt das nicht mehr als "konsequent". Aber der Wahlkämpfer hat sich selbst eine Pause auferlegt. Zu wichtig ist, was morgen im Terminkalender des 49-jährigen Junggesellen steht: Hochzeit! Aber dazu kommen wir später.

Es ist eine Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. Bevor der Apothekersohn nämlich die Politik als Betätigungsfeld entdeckte, wandelte er auf journalistischen Spuren in Diensten des Schwarzwälder Boten. Ein gutes Vierteljahrhundert später ist er eloquenter Redaktionsgast unserer Zeitung, der nicht nur locker aus dem Nähkästchen der Brüsseler Politik plaudert, sondern sich ernsthaft Sorgen macht – um Europa und das demokratische System überhaupt.

Er ist begeisterter Europäer, natürlich. Aber er sieht auch die Fehlentwicklungen in der EU, wobei er weder das Parlament noch die Kommission in der Schuld sieht. "Die Krise der EU", sagt Theurer, "ist das Versagen der Nationalstaaten." Das zeige sich in der Flüchtlingspolitik, bei der Terrorismusabwehr wie auch bei Fragen der inneren Sicherheit.

Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste funktioniere nicht: "Nur vier, fünf Mitgliedsstaaten tauschen sich in Sicherheitsfragen untereinander aus. Das ist ein Skandal." Gerade in der Sicherheitspolitik brauche es mehr statt weniger Europa und eine Verlagerung der Kompetenzen auf EU-Ebenen. Dazu gehört für ihn eine europäische Grenzschutzpolizei genauso wie die Schaffung einer europäischen Armee. Theurer fordert zugleich auch weniger Europa, zum Beispiel in der Agrar- oder in der Regulierungspolitik – Stichwort Glühbirne.

Aber stattdessen sieht er – von dem zunehmenden Nationalismus in Europa befeuert – eine "Argumentationsspirale, die in einer Kernschmelze der EU enden könnte: Sie explodiert." Dabei sei das Bild des gezeichneten europäischen Molochs eine reine Schimäre, also ein Trugbild.

Was jetzt Not tue, sei ein Nachdenken über Europa: "Man darf sich nicht unter den Schwächen und Unzulänglichkeiten der EU wegducken." Dass er sich ausgerechnet in der größten Krise der EU von Europa abwenden und der Bundespolitik zuwenden will, ist in seinen Augen nicht mehr als konsequent. Seit der Wiedervereinigung sieht er in der Hauptstadtpolitik eine zu "starke Berlin-Zentrierung". Als designierter Spitzenkandidat der Liberalen im Land – die Kür findet am 19. November in Donaueschingen statt – will er dieser "Berliner Nabelschau" mehr europäische Gedanken einhauchen.

Den geplanten Wechsel nach Berlin interpretiert Theurer zudem als Dienst an seiner Partei. Für die FDP sei die Rückkehr in den Bundestag eine Existenzfrage. Darauf also hat sich die Schlagkraft des liberalen Spitzenpersonals zu konzentrieren.

Und es steht nicht schlecht um den Wiedereinzug der Liberalen in den Bundestag. Die Partei, auf die bis vor Kurzem Wahlforscher keinen Pfifferling mehr gaben, kommt in Umfragen an die Fünf-Prozent-Hürde heran. Natürlich freut sich Theurer, der vor zweieinhalb Jahren in einer Kampfabstimmung gegen den Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Rülke zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, immer noch über die sensationellen 8,3 Prozent, die seine Partei im März bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg holte, aber er sieht auch die Kehrseite.

Er nennt es die drohende "Österreichisierung" der Politik, sollten im Bund große Koalitionen zum Regierungsmuster werden. Dabei haben die beiden Volksparteien CDU und SPD allein bei der Landtagswahl 22 Prozent der Stimmen verloren.

Nach wie vor hält Theurer es für richtig, dass die FDP sich im Südwesten möglichen Regierungsbeteiligungen verweigerte: "Früher hat man uns vorgeworfen, Inhalte für Dienstwagen und Ministerposten zu opfern. Diesmal wirft man uns vor, Dienstwagen und Ministerposten für Inhalte zu opfern. Mit der Kritik kann ich gut leben."

Gefahr für das demokratische System sieht er vor allem von den neuen Nationalismen, die in ganz Europa fröhliche Urstände feiern würden. Von Le Pen in Frankreich über UKIP in England, "5 Stelle" (Fünf-Sterne-Bewegung) in Italien bis hin zur AfD hierzulande. Wobei Theurer klare Worte findet: "Die AfD ist eine neonationalistische Partei.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger." Überhaupt: Die neue Rechte dürfe auch in Deutschland nicht unterschätzt werden. Diese sei nicht allein Sammelbecken für Protest. Die Leitfiguren arbeiteten vielmehr auf einen Systemwechsel weg von Liberalität, Weltoffenheit und Rechtsstaatlichkeit hin. Es werde versucht, "Tabugrenzen zu verschieben".

Der FDP-Landeschef nennt die Diskussion um die aus seiner Sicht eindeutig antisemitischen Äußerungen eines Wolfgang Gedeon. Dies festzustellen, "bedarf es keiner Gutachten". Gibt aber nicht die AfD in der neuen Landtagsopposition den Ton an? "Krawalleffekte" nennt Theurer dies, "ein bizarres Schauspiel, in dem sich die AfD selbst zerlegt". Der ernsthafte Gegenspieler von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bleibe Hans-Ulrich Rülke: "Wie schon bei Grün-Rot".

Aber Theurer sieht in der tiergreifenden Vertrauenskrise der Politik auch eine Chance, mündend in einer Neuorientierung der Gesellschaft. Hoffnungsvolle Ansätze seien erkennbar: Viele besorgte Menschen hätten sich bei ihm gemeldet und seien bereit, sich politisch zu engagieren. Auf diese Mobilisierung der Bürger setzt er auch bei der Bundestagswahl, wobei er diesmal nicht im heimischen Nordschwarzwald, sondern in Karlsruhe antreten wird.

Als die Liberalen in der zweitgrößten Stadt des Landes ihn baten, dort zu kandidieren, wollte Theurer nicht Nein sagen. Immerhin tritt er damit auch in die Fußstapfen des früheren FDP-Außenministers Klaus Kinkel. Der gebürtige Hechinger zog einst ebenfalls eine Kandidatur in Karlsruhe der in seiner Heimat vor.

"Jetzt musst du nur noch badisch lernen", forderte Theurers Tante aus Bretten nach der gelungenen Kür des Neffen schmunzelnd.

Zum Schluss des Gesprächs rückt der 49-Jährige aber so ganz en passant mit der wichtigsten Nachricht heraus: Am morgigen Samstag heiratet er seine langjährige Lebensgefährtin Antje Giede-Jeppe, eine promovierte Medizinerin aus Nordhessen, mit der er schon seit Jahren in einer Fernbeziehung zusammenlebe. Geheiratet wird standesgemäß im Schloss zu Dettingen bei Horb. Theurers Vita ist damit um eine überraschende Wendung reicher.