Zutritt verboten: In den vergangenen Wochen durfte niemand mehr das Wohnzimmer betreten. Leni hat zur Sicherheit ein Schild gemalt. Unser Foto ist jedoch im Esszimmer entstanden. Fotos: Weiger Foto: Schwarzwälder-Bote

Ihr stark beschädigtes Haus musste Familie Decker verlassen und ist in der neuen Wohnung angekommen

Von Katja Weiger

Nusplingen. Wer das Haus von Familie Decker betritt, spürt Behaglichkeit. An der Garderobe hängen bunte Häkelmützen und Wetterjacken. Kinderbilder zieren die Wände; es riecht nach frisch gewaschener Wäsche. Doch das Haus ist leer: evakuiert wegen des Nusplinger Hangrutsches.

Die Hartsteige. Ein idyllisches Fleckchen Erde, wo man Kinder unbekümmert vor dem Haus spielen lässt und Nachbars Gänse schnattern. Von dort oben genießt man einen herrlichen Blick über das gesamte Tal und die dichten Wälder rund um Nusplingen. Im Moment ziehen allerdings die Vermessungsteams die Aufmerksamkeit auf sich. Diese haben den Hang unter der Hartsteige im Auge.

Auch drinnen ist alles anders als sonst. Wer das liebevoll eingerichtete Heim der Deckers kennt, findet in den leeren Räumen nichts mehr von der fröhlichen Betriebsamkeit seiner Bewohner. Niemand blättert in einem Bilderbuch, keiner spielt Playmobil oder schaut sich auf dem Sofa eine Zeichentrickserie im Fernsehen an. Am Kühlschrank hängt der Ferienplan, und der große Familien-Esstisch ist noch da, aber ohne Stühle. Eine Leiter zeugt davon, dass dort vor kurzem noch gewerkelt wurde – am Auszugstag.

Denn der Wohnstock ist weitgehend leer geräumt. Deutlich sind tiefe, treppenartige Risse zu erkennen, die sich quer über die Wände des Wohnzimmers ziehen. Sockelleisten klaffen ab, der Boden neigt sich, Simse brechen heraus. Es sieht aus wie nach einem schweren Erdbeben. Neben dem Kamin liegt ein selbstgemaltes Schild: "Zutritt verboten. Baupolizeilich gesperrt! Vielen Dank!"

Für die Familie – Papa, Mama, Leni – neun Jahre alt – und Hannes – sechs Jahre – hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Seit ein paar Tagen wohnen die Vier in einer Übergangs-Wohnung, noch etwas fremd, aber sehr schön und vor allem groß genug für alle. Leni hat sogar eine glitzernde Discokugel bekommen. Und Hannes, der in der Hartsteige sein Zimmer nicht mehr nutzen durfte, hat wieder einen Raum für sich allein, mit schicken blau-grünen Streifen an der Wand.

Zuerst, so erzählen die Deckers, konnte sich niemand vorstellen, dass es tatsächlich einmal so weit kommen würde – obwohl sie schon einige Wochen ihr Wohnzimmer hatten nicht mehr betreten dürfen. Angefangen hatte alles mit einem kleinen Spalt in der Terrassentür, der sich nicht mehr richtig schließen ließ.

Auf einmal kullertendie Murmeln weg

Eines Tags kullerten Hannes’ Murmeln beim Spielen im Wohnzimmer von einer Zimmerseite zur anderen – auf einer vermeintlichen Ebene. Und plötzlich gab das Haus alarmierende Geräusche von sich. Es knackte und rumorte furchteinflößend, oft mitten in der Nacht. Keine leichte Situation, vor allem für die beiden Kinder: "Es ist schwierig, damit umzugehen, wenn der Kleine morgens sagt: ›Papa, hinter meinem Bettchen hat es wieder geknackst…‹ Vor allem eines hat die Deckers beunruhigt: Die Probleme kamen quasi von einem Tag auf den anderen.

Dass der Umzug notwendig war, bezweifelt bei Familie Decker niemand. Doch aus dem eigenen Haus auszuziehen, bedeutet für sie weit mehr als die Sorge, wie wohl alles werden wird: "So ein Auszug hat eine emotionale Komponente", das steht für die Nusplinger fest.

Ein Eigenheim ist viel kostbarer als das Geld, das man investiert hat. Auch wenn das allein schon genug wäre. Man bringe in ein Haus viel von sich selbst ein, sagt die Familie: Zeit fürs Bauen, Zeit fürs Aussuchen, Zeit fürs Einrichten – damit aus dem Gebäude ein Zuhause wird, in dem zum Beispiel der Nachwuchs aufwachsen kann. In einem Haus, beschreibt das Ehepaar Decker, stecke viel von einem selbst: "Herzblut, Idealismus, Kraft, die Freude daran, etwas selbst zu "schaffen". Die Hartsteige zu verlassen, ist allen dementsprechend nicht leicht gefallen. Jetzt will die Familie etwas zur Ruhe kommen.

Ein weiteres Haus musste ebenfalls evakuiert werden – das Schicksal der Deckers steht exemplarisch für alle Betroffenen.

Was alle jedoch überwältigt, ist die immense Solidarität, die sie in den vergangenen Wochen in Nusplingen und darüber hinaus erfahren haben: "Uns hat es sehr berührt zu sehen, wer alles an uns denkt." Beim Umzug haben Familie und Freunde geholfen. Ein dickes Sonderlob bekommt die Gemeinde Nusplingen: "Alle haben unbürokratisch und schnell reagiert – phänomenal!"

Gemeinde und Nachbarn helfen schnell

Beispielsweise bekamen die vier Deckers von der Verwaltung um Bürgermeister Alfons Kühlwein sofort eine Liste mit freien Wohnungen im Ort. Bauhofmitarbeiter und Feuerwehrleute kamen vorbei, fragten, was zu tun sei. Die Vermieterin brachte den fleißigen Umzugshelfern Käsekuchen und Hefeschneckle zur Stärkung: "Wir haben gespürt, dass wir in Nusplingen nicht nur wohnen, sondern wirklich zu Hause sind."