Läuft bei uns: Die Nusplinger Anhänger vom Fanclub "Bärastark" – das Foto zeigt einen kleinen Teil – fanden sich vor dem Spiel zu einem spontanen Gruppenbild zusammen. Foto: Weiger

Nusplinger zu Besuch beim VfB-Maskottchen. Nicht nur Krokodil lässt Fanherzen höher schlagen.

Nusplingen - Morgens, 5.30 Uhr. Paul steht an meinem Bett. Ungekämmte wilde Locken, die Augen blitzen unternehmungslustig. Er ist fix und fertig angezogen: VfB-Shirt, VfB-Jacke, Hose, Socken, in der Hand seine neuen Kickschuhe. "Wann fahren wir los?"

Heute ist der 21. Mai 2017, Pauls fünfter Geburtstag. Und ein Tag, an dem der VfB Stuttgart, der Verein unseres Herzens, Geschichte schreiben und in die Bundesliga zurückkehren will. Kribbelige Aufregung liegt in der Luft. Paul ist als Einlaufkind beim Fritzle-Club mit dabei – bei diesem historischen Spiel, dem letzten des VfB in Liga zwei wie sich herausstellen wird.

Fritzle, das Maskottchen des VfB, ein fröhliches Krokodil, lässt am Wasen Kinderherzen höher schlagen und heizt die Stimmung an – unnötigerweise, was unseren Nusplinger Fanclub "Bärastark" betrifft: Was haben wir gelitten in den vergangenen Jahren! Besiegelt hatte diese herbe Zeit der Abstieg. Mehr als einmal hatten wir auf der Heimfahrt zwei weinende Kinder im Auto. Doch wie es in einem unserer Stadionlied-Klassiker heißt: "Mir haltet zusammen, ganz egal, was au’ kommt..." Wie wahr. Und wie traurig.

Unser Nusplinger ist ein so genannter "Offizieller Fanclub" des VfB, wenn auch ein kleinerer. Der OFC Bärastark lebt seit jeher von Familien: Mamas, Papas, ja sogar Omas und Opas aus der Region, die mit dem Nachwuchs ins Stadion fahren. Eine schöne Sache – doch was tun, wenn ständig Montagsspiele auf dem Plan stehen? Pustekuchen! "Ach, Euch gibt’s noch? Montags, was? Wie viele sind denn ausgetreten?!" Das haben wir mehr als einmal gehört. Doch die Brustringträger können "Fan". Das hat die zurückliegende Zweitligasaison bewiesen, wenn die Ränge rappelvoll waren, die Choreografien bunt und die Unterstützer laut: "Wenn Du mich fragst, wer Meister wird..."

Und heute – bei strahlendem Sonnenschein – soll das alles wieder gut werden. Paul ist in seinem Element, redet wie ein Wasserfall. Am Stadion angekommen, gibt es die obligate Wurst, bis es endlich Zeit ist für das Treffen mit dem knallgrünen Fritzle. Ich denke gut ein Jahr zurück, an den 7. Mai 2016. Das letzte Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, das 2:1 verloren ging. Der Abstieg war so gut wie besiegelt. Peter, Pauls großer Bruder, musste damals so bitterlich weinen – es zerriss mir fast das Herz.

Heute sind die Vorzeichen andere: Am Fritzle-Treffpunkt herrscht ordentliches Gewusel. Aufgeregte Kinder. Nervöse Eltern. Selige Opas. "Heute ist ein geschichtsträchtiger Tag", doziert ein älterer Herr im straffen Südmilch-Dress. Er ist mit seinem Enkel da, einem schüchternen Sechsjährigen. Und es stimmt schon: Im Fan-Dasein sind solche Tage das, was mein Mann Markus gern als "Lebenserinnerung" bezeichnet. Der 21. Mai, Pauls Geburtstag, ist für uns ohnehin ein hochemotionaler Tag. Paul war bei Geburt krank, ein Herzfehler, der anfangs nicht so recht einzuschätzen war und uns eine bange Zeit bescherte. Wir freuen uns, dass er heute, an seinem fünften Geburtstag, kerngesund als Fritzle-Kind dabei ist.

Paul dankt für die VfB-Einladung mit wirklichem Einsatz: Er singt sich hopsend und zur Freude der gelb gekleideten Sicherheits-Mitarbeiter bereits bei der Kartenkontrolle ein: "Jaaaaa, der VfB...." Und endlich ist es 15.15 Uhr. Noch eine Viertelstunde bis zum Anpfiff. Die Kinder werden über die breite Zufahrt rechts der Cannstatter Kurve ins voll besetzte Stadion geführt. Der Kessel bebt. Wie unfassbar laut ist es hier! Im weiten Rund des Stadions: ein Meer aus Weiß und Rot. Und da ist endlich das Fritzle: Es führt die wuselige Schar an, der kleine Tross setzt sich fröhlich in Bewegung, die Fähnchen flattern. Dazu singt live die "Fraktion", seit der Meistersaison 2007 die VfB-Band schlechthin: "Wir schreiben heut’ Geschichte, lassen unsere Fahnen weh’n..." Alle wartenden Begleitpersonen verdrücken zwei, drei Tränchen. Es ist ein so schöner Anblick.

Paul hingegen ist von den Socken. Abklatschen mit dem Fritzle und Stadionsprecher Holger Laser. Dass der VfB stattlich 4:1 gewinnt, die Meisterschale erhält, macht für alle den Tag perfekt. Stuttgart ist erstklassig – im schönsten Sinne des Wortes. Der ganze wilde Süden strahlt in Weiß und Rot. Und in der S-Bahn tröstet ein überglücklicher Paul schließlich noch zwei traurige Würzburg-Fans: "Wisst Ihr, wir sind auch schon einmal abgestiegen. Das wird alles wieder gut."