Beate Zschäpe soll die gemeinsame Wohnung angezündet haben – das bezweifelt keiner der Prozessbeteiligten Foto: dpa

Mehr als drei Jahre lang wohnten die Terroristen des NSU in der Frühlingsstraße in Zwickau. Als das Trio aufflog, setzte Beate Zschäpe die Wohnung in Brand. Nun werden im Prozess die Trümmer besichtigt.

München - Ein sonniger Herbsttag mit Laub auf dem Gehweg, ein gepflegtes, gelbgetünchtes Wohnhaus in der Zwickauer Frühlingstraße/ Ecke Veilchenweg. Beim genauen Hinsehen erspäht man Flammen am Fenster im 1. Stockwerk. Das Foto, das im Münchner Schwurgerichtssaal an die Wand projiziert wird, wurde zufällig mit einem Handy von einem Passanten aufgenommen: am Nachmittag des 4. November 2011. Es zeigt das Domizil der rechten Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) kurz nach der Brandlegung. Hier wohnten seit April 2008 Beate Zschäpe und ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Die Hauptangeklagte Zschäpe ist neben zehnfachen Mordes auch wegen dreifachen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung angeklagt. Denn zum Zeitpunkt als sie mutmaßlich ihre Wohnung anzündete, um Spuren zu beseitigen, hielten sich Menschen in dem Mehrfamilienhaus auf, unter anderem eine alte Dame, was Zschäpe auch wusste. Doch sowohl die fast 90-Jährige als auch zwei Handwerker, die im Obergeschoss zu tun hatten, kamen nicht zu Schaden.

Dennoch, so die Anklage, musste die 38-jährige Zschäpe damals damit rechnen, dass diese Personen in akute Gefahr geraten können.

Themenschwerpunkt des 15. Verhandlungstages: der Wohnungsbrand

Der 15. Verhandlungstag im NSU-Prozess stand im Zeichen der Zwickauer Brandermittler. Ging es in der Verhandlung am Montag noch um den Mord an dem Nürnberger Änderungsschneider Abdurrahim Özüdogru, so verließ der Senat des Oberlandesgerichts unter Vorsitz von Manfred Götzl diesen Themenschwerpunkt, obwohl beim Tatkomplex Özüdogru die Beweisaufnahme noch gar nicht abgeschlossen ist. Stattdessen widmete sich das Gericht nun der zerstörten "Schaltzentrale" des NSU-Trios. Viele Prozessbeobachter erachten dieses "Springen" inmitten des komplexen Strafprozesses als unökonomisch und wenig nachvollziehbar. Man hatte eine chronologisch-systematische Aufarbeitung der Verbrechen erwartet. Doch offenbar richtet sich das Gericht nach der Verfügbarkeit von Zeugen.

So begann der gestrige Verhandlungstag mit der Vernehmung eines Hundeführers der Zwickauer Polizei. Anhand von Skizzen der geräumigen Altbauwohnung konnte der Beamte genau erläutern, wo Brandherde gelegt worden waren. Und davon gab es mehr als ein Dutzend. Mehrere Diensthunde, die speziell ausgebildet sind, hatten diese Stellen erschnuppert. Es wurden sogar Fotos von den Hunden gezeigt, wie sie anschlagen: Schwanz hoch und die Nase auf den Punkt der Brandlegung. "Einfrieren" nennt man das. Die Tiere konnten das an etlichen Stellen ausgeschüttete Brandlegungsmittel, also den Ottokraftstoff, exakt lokalisieren, so der Polizist.

Sodann hörten die Richter den Haupt- Brandursachenermittler an, der ein eindrucksvolles Bild von den Wohnverhältnissen des Nazi-Trios zeichnen konnte - anhand von vielen Skizzen, Lichtbildern und Funden am Brandort. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe lebten in einer rund 130 Quadratmeter großen Wohnung, die neben einem Wohn- und Schlafzimmer eine geräumige Küche, zwei Bäder, ein Sport- und ein "Katzenzimmer" besaß. In letzterem wurden Kratzbäume gefunden. In der Wohnung gab es vier Schlafstätten mit Fernsehgeräten, mehrere Computerarbeitsplätze, einen Wandtresor und Fitnessgeräte. Nach dem Brand wurden auch Reste von Überwachungskameras gefunden. In Blumentöpfen mit Plastikpflanzen waren verkabelte Mini-Objektive versteckt, die auf die Straße gerichtet waren. Die Haustür war mit einer doppelten Schließanlage gesichert und musste später mit Brachialgewalt aufgebrochen werden. Statt einem Spion, befand sich in der Tür ebenfalls eine Kamera. Im Keller gab es Bewegungsmelder mit Leitungen in die Wohnung.

Ganze Wände waren durch die Druckwellen hinausgesprengt worden

Die Beschreibungen des Zeugen ließen Assoziationen an eine streng bewachte Festung aufkommen. Offenbar hatte das Trio im ständigen Misstrauen gelebt und einen erheblichen Sicherheitsaufwand betrieben. Am Briefkasten und an der Klingel war der Name "Dienelt" zu lesen - ein Aliasname von Zschäpe. Insgesamt elf Waffen samt Munition wurden in der niedergebrannten Wohnung sowie im Schutt gefunden. Außerdem Bargeld in unbekannter Höhe. Daneben zeugen weitere Überbleibsel von einem eher normalen Leben: Auf der Küchenfensterbank wurden ein Aschenbecher mit Menthol-Zigaretten sichergestellt, im Schuhschrank befanden sich getigerte Pantoffeln, in der Zimmertür eine Katzenklappe. Der Brandermittler schilderte auch den aufwendigen Einsatz der Berufsfeuerwehr. Die Löscharbeiten dauerten viele Stunden. Bis zum späten Abend waren immer wieder kleine Brandherde unter Kontrolle zu bringen. Ganze Wände waren durch die Druckwellen hinausgesprengt worden. Wegen der Einsturzgefahr mussten Stützen angebracht werden. Das Dach musste abgedeckt werden, damit sich die Flammen nicht auf die andere Gebäudehälfte ausweiteten. Am Ende riss ein Riesenbagger weitere Außenwände ein, damit man das Gebäude überhaupt sicher betreten konnte. Es habe überall nach Benzin gerochen, so der Zeuge. Durch das Löschwasser und den Schaum wurden unzählige Dokumente in der Wohnung aufgeweicht, die später mühsam in Polizeigaragen getrocknet werden mussten.

Fast 400 Lichtbilder vom Brand und den Löscharbeiten erläuterte der Zeuge im Gerichtssaal. Im Juli muss er noch einmal wiederkommen. Es gibt wesentlich mehr Bildmaterial. Beate Zschäpe verfolgte die Diaschau teils gelassen, teils angespannt. In der Frühlingsstraße 26 hatte sie sich immerhin mehr als drei Jahre mit den beiden Freunden verschanzt, die später Selbstmord begingen. Ende November 2011, so berichtet der Brandermittler, wurde das Haus bis auf die Grundmauern abgerissen, um weitere Hohlräume und Verstecke zu finden. Sämtliche Beweisstücke wurden dem Bundeskriminalamt übergeben. Laut Bundesanwalt Herbert Diemer hatte der Brand zwar das Gros der Einrichtung zerstört. Wichtige Asservate konnten jedoch, wenn auch technisch kompliziert, "gerettet" werden, wie etwa eine PC- Festplatte mit dem Bekennervideo.

Am Mittwoch sollen Bewohner des Hauses zu Wort kommen - darunter zwei potenzielle Brandopfer.