Mit Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl geht Wahlkämpfer Hans-Joachim Fuchtel auf eine eineinhalbstündige Wanderung durch den Nordschwarzwald, die Strobl ins Schwitzen bringt, Fuchtel kein Stück. Was man dem 65-jährigen Fuchtel nicht ansieht: Er ist topfit, durchtrainiert. "Ich versuche eh jeden Tag fünf Kilometer zu laufen" – mindestens. Foto: Kunert

Bundestagswahl: Ohne seinen Wahlkreis mag der 65-Jährige nicht sein.

Kreis Calw/Kreis Freudenstadt - Hans-Joachim Fuchtel sitzt seit 30 Jahren für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt und die CDU im Deutschen Bundestag. Es ist aktuell sein neunter Wahlkampf. 65 Jahre ist er alt. Einst der jüngste, heute nach Wolfgang Schäuble der dienstälteste Abgeordnete. Und er will es noch einmal wissen.

Nur noch einmal – und dann endlich Pension? Wahlkämpfer Fuchtel hat an diesem Tag schon zwei Minister im Wahlkampf begrüßt – erst Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, dann Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Jetzt rast er gerade im Dienstmercedes, der ihm als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zusteht, zum dritten Termin – mit dem Staatsminister Helge Braun, dem Beauftragten der Bundeskanzlerin für Bürokratieabbau.

Nach längerem Nachdenken beantwortet Fuchtel die Frage: "Das sagt ein Abgeordneter nie, ob das die letzte Legislaturperiode ist." Und ergänzt, dass er noch das Gefühl habe, etwas bewegen zu können. Was wenige in seinem Wahlkreis wissen: Fuchtel ist Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, einer Tochtergesellschaft der KfW-Bank, die Projekte in Entwicklungsländern unterstützt. Außerdem sitzt er als so genannter "Gouverneur" der Bundesregierung in den Aufsichtsgremien diverser weiterer Entwicklungsbanken weltweit, etwa der asiatischen Entwicklungsbank. Und dreht in dieser Funktion "die ganz großen Räder" der Weltpolitik, entscheidet über Milliarden-Vergaben in aller Welt.

Aber das alles könnte er auch, wenn er sich zum verbeamteten Staatssekretär machen ließe – statt "parlamentarischer" – der sogar noch besser besoldet wäre. Warum "der Schmerz" alle vier Jahre eines Wahlkampfs? "Ich käme mir seltsam vor, wenn ich nicht auch Abgeordneter wäre", sagt Fuchtel. "Wenn ich nicht einfach ins Parlament gehen könnte, um mit den Kollegen zu reden." Außerdem habe er das Gefühl, auch in seinem Wahlkreis noch etwas bewegen zu können – zum Beispiel als Architekt des Generationswechsels der hiesigen Mittelstandvereinigung der CDU. Deren neuer, junger Vorstand Markus Schindele aus Baiersbronn wird gleich beim Termin mit dem Staatsminister Braun in Würzbach bei der Firma Pfrommer Gebäudetechnik mit dabei sein. Auch später am Abend, wenn sich Fuchtel für die Gründung einer Initiative zur Rettung der hiesigen Gasthöfe einsetzen wird, wird ihn Schindele unterstützen.

Am Morgen, vor dem ersten Termin mit Ministerin Wanka, hatten Teilnehmer einer internationalen Jugendbegegnung für deutsche, griechische und estnische Schüler den Abgeordneten Fuchtel gefragt, warum er Politiker geworden sei. Auch diese Jugendlichen begleiten Fuchtel an diesem Tag im Wahlkampf. "Ich bin da so reingerutscht", hatte der alte Haudegen den 14-, 15-Jährigen erklärt, die ihren Aufenthalt im Nordschwarzwald ebenfalls Fuchtel zu verdanken haben. Das "Erasmus+"-Programm der EU wird vom deutsch-griechischen Verein unterstützt. Fuchtel ist auch der Griechenland-Beauftragte der deutschen Bundesregierung.

Irgendwann habe er sich mal für die Kandidatur im Gemeinderat in seinem Heimatort Altensteig überreden lassen. "Da hab ich als junger Mann ordentlich Rabatz gemacht." Das habe manchen gefallen, weshalb nach und nach neue Ämter dazu kamen. "Was mir gefallen hat." Wie lange sein Tag sei, wollen die Jugendlichen auch wissen. Er stehe so spät wie möglich auf – "nicht vor sechs Uhr". Radfahren am Ergometer, dazu Fernsehen schauen – englische Nachrichtensender, um die in seinem Amt so wichtigen Fremdsprachenkenntnisse frisch zu halten. Arbeitsende sei selten vor 23 Uhr. Jeden Tag. Doppelschichten. "Aber das habe ich mir ja so rausgesucht." Er wolle es gar nicht anders.

Ob er nicht auch etwas anderes hätte werden wollen? "Ich war 20 Jahre lang Anwalt", erzählt Fuchtel den jungen Leuten. Und er möge Design, Tüfteln, etwas Erfinden. Mit einer echten eigenen Erfindung habe er zum Beispiel sein Studium finanziert: Als er eines Tages bei einem Koffer-Hersteller saß, habe er dem einen Entwurf für einen "Juristen-Koffer" gezeichnet – der unten breiter war als oben, um die dicken Gesetzesbücher besser hineinzubekommen. Unter Anwälten und Richtern wurde der Koffer zum Hit, mit dem Verkauf an Kommilitonen und Dozenten habe er tatsächlich damals seinen Lebensunterhalt bestritten.

Fuchtels Gesicht strahlt, als er diese Anekdote erzählt. Eine gute Erinnerung. Von einer schlimmen, zumindest einer "herausfordernden", wird er später am Abend bei der Gasthof-Initiative erzählen – als er und seine Lebensgefährtin als zufällig verfügbare internationale Diplomaten bei einem Besuch in Indonesien sich als Austausch-Geiseln zur Verfügung stellten, mit Säcken über den Kopf durch den indonesischen Busch irrten, um schließlich einer ganzen Rebellen-Armee gegenüber zu treten. Die nichts weiter wollte, als dass mal jemand "Wichtiges" sich ihre Forderungen anhört.

Wieder rast der Dienstmercedes von Hans-Joachim Fuchtel durch den Nordschwarzwald. Ein "wichtiges" Telefonat steht an. Kein Funkempfang. Nach dem Breitbandausbau landet deshalb nun prompt der Funknetzausbau auf Fuchtels Agenda. Der Fahrer hält, wo der Funkempfang zumindest zwei Balken im Display des sicheren Diensthandys zeigt. Jetzt ist Fuchtel der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft. Macht Politik. Mit gesunden Menschenverstand, wie er den heiklen Inhalt des Telefonats später erklärt. "Ja, wir schneiden alte Zöpfe ab. Jede Menge."

Was kaum einer draußen realisiere, sei der Kulturwechsel in der Politik unter Angela Merkel, "der Chefin". Fuchtel erzählt, wie er selbst einst bei Kanzler Helmut Kohl im Auto saß, als gegen diesen gerade der Umsturzversuch durch Lothar Späth lief – und klar, wurde, dass dieser scheitern würde, weil sich Norbert Blüm der parteiinternen Revolte nicht anschloss. Der kalte Taktiker Kohl hatte Tränen in den Augen. Vor Wut, wohl auch vor Erleichterung. Kohl war Netzwerker, der Ämter nach Loyalität vergab. Bei Merkel zählen nur Ergebnisse – was einer kann, was er (oder sie) im Amt zu erreichen, zu bewegen vermag. Dadurch sind auf einmal politische Karrieren in der Bundespolitik möglich, die es früher nie gab. Wie die vom NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann, der Fuchtel die Woche zuvor im Wahlkampf unterstützt hatte: Hauptschulabschluss, Schlosserlehre, Betriebsrat, Abgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär und Pflege-Beauftragter der Bundesregierung, jetzt Landesminister. Ein Ergebnis-Politiker, der sich Lobbyisten zu widersetzen weiß.

"Und die werden mehr", sagt Fuchtel. Womit wohl die Frage beantwortet ist, wie lange sich Hans-Joachim Fuchtel diese Ochsentour seines Lebens noch weiter wird antun wollen: So lange wie möglich; und so lange ihn der Wähler lässt. Solange er noch etwas bewegen kann.