Foto: Andrina Große

Mehr als 100 Bands spielen an drei Tagen vor etwa 60.000 Fans. "Stimmung hier ist der absolute Wahnsinn."

Neuhausen ob Eck - Es war das Jahr der Liebe beim Southside-Festival im Gewerbepark take-off auf der Hochfläche zwischen der 3800-Seelen-Gemeinde Neuhausen ob Eck und der großen Kreisstadt Tuttlingen. Nicht, weil Polizei und Feuerwehr von nur wenigen Einsätzen berichten konnten. Mehr als 100 Bands spielten dort an den vergangenen drei Tagen auf vier Bühnen vor insgesamt 60.000 Fans auf. Und nicht wenige davon sind Wiederholungstäter, treten zum x-ten Mal beim Festival von FKP Scorpio und KOKO auf.

"Madsen" ist so eine Band, die beim Southside und dem Schwesterfestival Hurricane im hohen Norden quasi schon zum Inventar gehören. In diesem Jahr sind sie kurzfristig als Ersatz für den erkrankten Ben Howard ins Programm gerutscht. Die Musiker um Frontman Sebastian Madsen genossen es trotzdem. Und so gestand er vor den Fans seine große Liebe: "Southside, willst Du meine Frau werden?"

Nun, das blieb nicht die einzige Liebeserklärung dieses Wochenendes. Es gab nicht nur andere Musiker, die ihre Begeisterung für das Erfolgsfestival ins Mikro sprachen oder es zumindest in der x-ten Rückkehr auf eine der Southside-Bühnen ausdrückten – es gab auch eine Hochzeitsgesellschaft. Das Paar hatte sich 2007 beim Southside kennengelernt, sich nun in diesem Jahr im benachbarten Freilichtmuseum das Ja-Wort gegeben und dann mit der Familie und den Freunden zum Feiern ins Festivalgetümmel gestürzt.

Viel Liebe gibt es auch unter den jungen Menschen auf den Zeltplätzen und vor der Bühne. "Die Stimmung hier ist der absolute Wahnsinn", ruft Elisabeth Pal aus Freiburg voller Begeisterung. Die 22-Jährige ist zum ersten Mal auf dem Southside-Festival dabei. Musikalisch angetan hat es ihr vor allem die englische Indie-Rock-Band "Florence and the Machine". "Das war mit Abstand das beste Konzert hier", erzählt die Studentin mit leuchtenden Augen. "Das hat mich so berührt und war einfach wunderschön."

Auch ihre Freundinnen Antonia Harkert und Lisa Wohlleb empfinden die Stimmung auf dem Zeltplatz als eine ganz besondere: "Wir haben niemanden hier gekannt", erzählen die 23- und 22-Jährigen. "Aber man lernt so viele tolle Leute kennen, da macht das gar nichts."

Das Southside mit seiner unsagbaren Stimmung ist inzwischen schon fast volljährig. Im nächsten Jahr feiert das erfolgreiche Festival seinen 18. Geburtstag. Da wird es offenbar Zeit für Liebesgeschichten. "LaBrassBanda" könnte da ein Kapitel beisteuern. Der Neuhausener Bürgermeister Hans-Jürgen Osswald gehört etwa zu den Verehrern dieser speziellen Blasmusik, sodass er sich auch am Samstagabend den Auftritt zumindest teilweise nicht nehmen lassen wollte. So sei er nach seinen Pflichten direkt zur Bühne geeilt, um die letzten 35 Minuten noch mitzuerleben. Die Blasmusiker aus der Gemeinde Übersee waren zum dritten Mal dabei – und bayerischer wird’s auf der Southside-Bühne nie werden.

Von Ex-Oasis Noel Gallagher würde sicher niemand eine Liebeserklärung für das Festival erwarten. Es gibt noch immer Southside-Gäste, die von Gallagher nicht einmal Bewegung auf der Bühne erwarten, sondern eher demonstrativ präsentierte Langeweile. Dabei war er mit seinen High Flying Birds schon 2012 einmal hier – und hat sich schon damals ganz anders gezeigt.

Absolute Headliner fehlen

Adam Duritz, Frontmann der "Counting Crows" ist da schon eher einer, dem man die Liebesbeichte zutrauen würde. Er zeigte am Samstagnachmittag was einen Storyteller ausmacht. Wenn er sich auf der Bühne hinsetzt und "Mr. Jones" anstimmt, ist es fast so ein Gefühl, als säße man gerade mit seinem Kumpel daheim auf dem Sofa.

Auch "Placebo" reisten zum wiederholten Mal als einer der Top-Acts an. Brian Molkos Stimme ist aus der Geräuschkulissen von mehreren tausend Festival-Besuchern immer herauszuhören – nicht nur wegen der Lautstärke, mit der "Placebo" Samstagnacht gegen die absinkenden Temperaturen anblies.

Etwas links von der Green Stage verlässt sich kurz vor Mitternacht eine Gruppe nicht allein auf die wärmende Begeisterung für die Musik der Londoner. Sie haben sich im Kreis auf die Landebahn des ehemaligen Heeresflugplatzes gesetzt und halten sich mit ein paar Runden "Der Fuchs geht um" warm. Andere hatten sich ins Weihnachtsmannkostüm geworfen und zogen in einer Polonaise durch die Menge.

So haben sie alle ihre Rezepte für die drei Tage: Überleben ist nicht das Motto, sondern Spaß zu haben, möglichst viele "ihrer" Band-Auftritte mitzuerleben und den (Arbeits)-Alltag für drei Tage auszublenden. Wäschewaschen, Prüfungsstress, Bewerbungsschreiben, Aktennotizen, Poststreik oder der Grexit-Schrecken – solche Themen blieben an diesem Wochenende außen vor.

Auch wenn in diesem Jahr mancher vielleicht das Fehlen von dem einen großen Headliner beklagte – das Southside bot in seinem 17. Jahr eines seiner besten Programme. Mit "Placebo", "Jan Delay", "Florence and the Machine", "Marteria", "Farin Urlaub Racing Team", "Paul Kalkbrenner", "Casper", "Cro", "The Gaslight Anthem" oder auch der "Parov Stelar Band" führten Namen das Line-up an, die ziehen. Und es zeigte sich, dass das Festival auch mit einem breiter angelegten Musikprogramm begeistern kann.

Das Southside wie das Hurricane meldeten sich schon vor Wochen als ausverkauft von den Ticketkassen ab. So könne es durchaus bleiben, waren sich die Veranstalter einig, die vor allem über eine "friedliche und schöne Stimmung" auf dem gesamten Gelände sprachen. So gab es laut Markus Walter, Leiter des Polizeireviers Tuttlingen, bis Sonntagnachmittag lediglich fünf Körperverletzungen. Auch die sonst so häufig gemeldeten Diebstähle blieben im Rahmen. "Wir haben bis jetzt 20 registriert", so Walter.

Entspannt und schön – so soll unddarf es bleiben, dieses Festival. Nur, dass immer weniger Festival-Besucher in die Gemeinde kommen würden, sei schade, meint Bürgermeister Osswald. "Das Festival ist inzwischen so autonom geworden, dass es viel weniger Begegnungen zwischen der Gemeinde und den Besuchern gibt", bedauert er. "Wir sind gerne Gastgeber", sagt er. Daher freue sich die Bevölkerung natürlich auch, wenn mal jemand komme, um ein paar Wollsocken zu kaufen oder eine Toilette brauche.

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