Der neue Kultusminister Andreas Stoch setzt auf Teamgeist Foto: dpa

Andreas Stoch (SPD) spricht im Interview über die schwierige Aufgabe, das Vertrauen in die Bildungspolitik zurückzugewinnen.


Herr Stoch, bei der Bildungspolitik ist es wie beim Fußball – jeder kann mitreden. Wie sehen Sie das?
Erst einmal ist es ein Vorteil, dass sehr viele in der Gesellschaft an diesem Thema Anteil nehmen – wegen der Kinder oder Enkel oder aus eigener Betroffenheit. Man muss allerdings unterscheiden, ob sie nur eigene Interessen im Blick haben oder auch über den Tellerrand hinaussehen und erkennen, was für die Gesellschaft gut ist.

Auch Sie sind kein Bildungsexperte. Vorteil oder Nachteil?
Ich sehe es nicht als Nachteil. Es geht darum, strukturiert an die Arbeit zu gehen, sie verlässlich zu kommunizieren und Sicherheit zu schaffen. Ich werde jetzt auf die Menschen zugehen, die viel Erfahrung in diesem Bereich haben, und ihren Rat einholen.

Sie sind der vierte Kultusminister seit 2010. Wie wollen Sie Ruhe in die Bildungspolitik bringen?
Wir bekommen dann Ruhe, wenn wir klare Ziele formulieren, die Schritte dahin auch plausibel erklären können und dadurch Vertrauen erwecken. Der starke Schülerrückgang bestimmt unser Handeln. Wenn wir das System so weiterlaufen lassen wie bisher, dann muss eine Schule nach der anderen geschlossen werden. In vielen kleineren Gemeinden würde es dann kaum noch weiterführende Schulen geben. Deshalb brauchen wir neue Angebote, eines davon ist die Gemeinschaftsschule. Aber auch die anderen Schularten, Gymnasium, Realschule, Haupt- und Werkrealschulen sowie die beruflichen Schulen, dürfen nicht unter die Räder geraten. Sie werden nicht abgewickelt, sondern erhalten die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln.

Grün-Rot hat nach dem Regierungswechsel große Erwartungen geweckt. Inzwischen sind viele Bürger enttäuscht. Wie gewinnen Sie Vertrauen zurück?
Nach der Wahl gab es eine große Aufbruchsstimmung. Viele waren erleichtert, dass der jahrzehntelange Stillstand endete und eine Weiterentwicklung möglich wurde. Alle unsere bildungspolitischen Entscheidungen sind zunächst positiv aufgenommen worden – Gemeinschaftsschule, Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung, neunjähriges Gymnasium, neuer Weg bei den Werkrealschulen. Doch das ist umgeschlagen, weil es eine große Unsicherheit bezüglich der Umsetzung gab. Wir müssen jetzt mehr hinausgehen, vor allem mehr erklären und Ängste nehmen. Bei meinen Gesprächen im Kultusministerium habe ich große Hoffnung gespürt, dass der Teamgedanke wieder Platz greift. Das wünsche ich mir auch für die Schulverwaltung und die Schulen. Wir tragen gemeinsam eine große Verantwortung.

Der Bürgerentscheid gegen die Gemeinschaftsschule in Bad Saulgau ist am Sonntag zwar offiziell gescheitert, die Mehrheit der Wähler hat sich dort aber gegen die neue Schulart ausgesprochen.
Die Gemeinschaftsschule ist ein Angebot, niemand muss sie einführen. In Bad Saulgau wurden von den Gegnern aber gezielt Ängste geschürt. Ich bin froh, dass der Stadt, der Schule und den Eltern, die die Gemeinschaftsschule wollen, der Weg nicht verbaut ist. Und ich bin mir sicher, dass viele, die dagegen waren, feststellen werden, dass dieser Weg sinnvoll ist. Bei einer Rundfahrt mit der früheren Kultusministerin musste CDU-Fraktionschef Peter Hauk ja auch erkennen, dass Schüler, Eltern und Lehrer begeistert sind. Schade, dass er daraus nichts gelernt hat. Wenn demnächst die zweite Tranche der Gemeinschaftsschule ihre Arbeit zum nächsten Schuljahr aufnimmt, werden wir diese unsachlichen Diskussionen hoffentlich weniger führen.

Müssen Sie Ihre Vorhaben besser kommunizieren?
Eine unserer wesentlichen Aufgaben ist, offene Fragen zu beantworten. Wir wollen nicht, dass jeder in seinem Schützengraben liegt aus Angst, etwas zu verlieren. Deshalb wollen wir mit den weiterführenden Schulen diskutieren, wie man Schule gemeinsam entwickeln kann. Es gibt viele Beispiele.

44 Modellschulen sind ein Kompromiss



Steht das Konzept denn fest?
Die Gemeinschaftsschule ist ein durchgearbeitetes Konzept, aber es ist nicht abgeschlossen. Wir beobachten, was funktioniert und wo wir nachbessern müssen. Wir wollen ja auch im Prozess lernen und immer wieder besser werden – das muss das Ziel aller sein. Das werden wir mit sehr guten Lehrerfortbildungen begleiten.

Die Gymnasien und Realschulen kritisieren, Sie wollten diese Schulen abschaffen.
Ministerpräsident Kretschmann hat vom Zweisäulenmodell gesprochen. Zwei Säulen heißt, neben dem Gymnasium wird es weitere Schulen geben. Wenn ich die Gemeinschaftsschule verordnen würde, wären aber Ängste und Abwehrreflexe die Folge. Alle Kommunen und Regionen müssen überlegen, wie sich die Schülerzahl in den nächsten zehn Jahren entwickelt, und daran die regionale Schulentwicklung ausrichten. Dazu brauchen wir einen intensiven Austausch aller Beteiligten – der Schulen, der Kommunen, der Schulverwaltung. Wir setzen auf Konsens, nur in Streitfällen entscheidet das Ministerium. Bei einem dreigliedrigen System müssten wir weit mehr Schulen schließen.

An diesem Donnerstag geben Sie bekannt, welche 22 Gymnasien wieder G-9-Züge einrichten können. Sind Sie bereit, weitere Modellprojekte zuzulassen?
Viele Eltern haben ihre Kinder trotz Gymnasialempfehlung nicht ins G 8 geschickt, weil sie mit der Umsetzung nicht einverstanden waren. Die SPD will, dass die Eltern überall Wahlfreiheit haben, die Grünen sind dagegen. 44 Modellschulen sind ein Kompromiss. Leider war nicht mehr möglich.

Die Gymnasiallehrer halten diese für nötig. Sie kritisieren, dass sie nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschule viele Schüler haben, die überfordert sind.
Dass manche Eltern die Empfehlungen der Lehrer nicht beherzigen, hängt auch mit der bisherigen Praxis zusammen. Grundschuleltern hatten oft Angst, dass ihre Kinder eine Chance verpassen, wenn sie nicht die richtige Empfehlung bekamen. Diese Angst wollen wir herausnehmen. Zum einen brauchen wir eine intensivere Frühförderung – dabei spielt die Ganztagsschule eine wichtige Rolle, damit benachteiligte Kinder vom ersten Schultag an gut unterstützt werden. Zum anderen nimmt die Gemeinschaftsschule Eltern die Angst vor der Selektion.

Ministerpräsident Kretschmann hat angekündigt, sich stärker um die Bildungspolitik kümmern zu wollen. Wie finden Sie das?
Die Schnittmenge zwischen SPD und Grünen in der Bildungspolitik ist sehr groß. Weil Bildung eine zentrale Aufgabe der Länder ist, ist es selbstverständlich, dass der Ministerpräsident den Anspruch hat, bei diesen Entscheidungen einbezogen zu sein. Und es ist klar, dass in Zeiten zurückgehender Schülerzahlen auch die Bildung bei den Einsparungen einbezogen werden muss, so schwer uns das auch fällt. Deshalb stehe ich immer in einem gewissen Spannungsverhältnis mit dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister Nils Schmid. Ich sehe uns aber nicht in der Konkurrenz, sondern bin von einem guten Zusammenwirken überzeugt. Alle Beteiligten wissen schließlich, dass die Bildung das Fundament unserer Gesellschaft ist.

Die Landesregierung will bis 2020 insgesamt 11600 Stellen streichen, die ersten 2200 in diesem und im nächsten Jahr. Bleibt es dabei?
Ich werde mit den Fachleuten aus meinem Haus Wege suchen, wie die Einsparungen im Doppelhaushalt 2013/14 umgesetzt werden können, ohne dass wir das Bildungssystem beschädigen. Dann werden wir der Haushaltsstrukturkommission und der Regierung einen Vorschlag unterbreiten. Natürlich werden wir verhindern, dass die Unterrichtsversorgung darunter leidet. Unter den vielen Brettern, die vor mir liegen (und die es zu bohren gilt), ist das eines der dicksten, und ich werde als Erstes damit beginnen.

Die CDU hat Ihnen einen Pakt für Ganztagsschulen angeboten. Werden Sie das Angebot annehmen?
Ich freue mich, dass bei der CDU ein Umdenken stattfindet und sie erkannt hat, dass Ganztagsschulen ein wichtiges Element im Bildungssystem sind. Vor wenigen Jahren galt das vielen noch als Teufelszeug, CDU-Abgeordnete im Landtag sprachen von Freiheitsberaubung. Wo Einigungen und Konsens möglich sind, greife ich das gerne auf. Ich würde mich freuen, wenn die CDU angesichts des Schülerrückgangs auch bei der weiteren Schulentwicklung ihre ideologischen Vorbehalte hinter sich lässt und zu pragmatischen Lösungen bereit ist.

Die Opposition kritisiert, dass Ihre vier Kinder die Waldorfschule besuchen. Müssen Sie daran etwas ändern, weil Sie jetzt Kultusminister sind?
Als die Kinder in den Kindergarten kamen, war nicht absehbar, dass ich Abgeordneter und Kultusminister werde. Das war auch so, als die beiden Ältesten in die Schule wechselten. Die Waldorfschule in Heidenheim ist eine der ältesten im Land und anerkannt für ihr pädagogisches Konzept, das nicht nur intellektuelle, sondern auch andere Fähigkeiten stärkt. Sie ist keine Reichenschule oder Schule für Bessergestellte. Meine Frau hat dort Abitur gemacht und unterrichtet jetzt an einer staatlichen Schule. Aber niemand kann im Ernst erwarten, dass ich meine Kinder aus ihrem sozialen Umfeld und von ihren Freunden trenne.

Die Waldorfschulen werden es jedenfalls als schönes Signal sehen.
Ja, aber auch die Waldorfschulen wie alle Privatschulen stehen in einem Wettbewerb, wie die Kinder am besten gefördert werden können.