Denis Bonin macht seinen Job in der Konstruktion mit links, da der rechte Arm nach einem Unfall nicht mehr steuerbar ist. Foto: Schwarzwälder-Bote

Neuanfang: Denis Bonin nimmt Folge eines Motorradunfalls als Herausforderung an

Von Steffi Stocker

Neubulach-Oberhaugstett. Seine Leidenschaft für das Motorradfahren wurde ihm zum Verhängnis. Die Folgen eines Unfalls, bei dem er die Funktion seines rechten Arms verlor, nahm Denis Bonin aus Oberhaugstett aber nicht als Urteil, sondern als Herausforderung an.

Wer kennt nicht die Redensart, die linke Hand kommt von Herzen, wenn die rechte Hand gerade nicht frei ist. Der 35-jährige Konstrukteur indes kommt darum nicht herum. Vor 13 Jahren kam er mit dem Zweirad von der Straße ab, und seither ist alles anders.

Arm spielt nicht mehr mit

"Äußerlich hatte ich nicht viel Schrammen. Aber als ich den Helm abnehmen wollte, ging mein Arm nicht hoch", erzählte Bonin von dem Geschehen am Unfallort im Raum Schwäbisch Hall. Dorthin hatte es die Familie aus Kasachstan in seinen Jugendtagen verschlagen. Schon in der Heimat war Bonin als Neunjähriger mit dem Motorsport in Berührung gekommen. Und er war fasziniert davon, seine eigene Rennmaschine aus Einzelteilen zusammengebaut zu haben. "Ich war zu schnell und hatte keinen Führerschein", räumte er allerdings seine Fehler ein.

Im Krankenhaus konnten sich die Ärzte die fehlende Reaktion seines rechten Armes nach dem Unfall nicht erklären. Solange nutzte er den linken Arm für die täglichen Aufgaben. "Beim ersten Frühstück war es nicht einfach, Butter aufs Brot zu streichen, und beim Zähneputzen geriet die Zahnbürste schon mal ins Auge", erinnert sich der gelernte Schreiner. Noch ging er davon aus, dass vier Wochen später wieder alles in Ordnung sein würde. Es sollte ein Trugschluss sein.

Nervenwurzeln ausgerissen

"In einem anderen Krankenhaus wurde festgestellt, dass bei dem Unfall drei Nervenwurzeln aus dem Rückenmark herausgerissen worden sind, die unter anderem die Muskeln im rechten Arm ansteuern", so Bonin zur schockierenden Erkenntnis. "Ich habe nach jedem Grashalm gegriffen und selbst recherchiert, welche Möglichkeiten es gibt", erzählt er.

Schließlich traf er auf einen Chirurgen, der Nerven verpflanzt, um die Muskeln im Arm wieder anzusteuern. Es begann ein langwieriger Marathon: "Zwischen den einzelnen Operationen mussten zwei Jahre Pause eingelegt werden." Er erzählte, wie nach und nach Nerven aus dem Fuß, der Lunge und dem kleinen Finger entnommen wurden, um mit ihnen die Muskeln wieder zu aktivieren.

"Ich fragte mich, was ich gewinne, wenn ich die Operationen weiter zulasse, zumal ich bereits das Gefühl in den Beinen verloren hatte und vor der Entscheidung stand, dass als nächstes die Nerven der inneren Organe dran gewesen wären", so Bonin zur Entwicklung, die ihn veranlasst hatte, das Operationsprogramm vor fünf Jahren abzubrechen.

Parallel dazu hat er seine Fertigkeit mit dem linken Arm und der Hand trainiert und sich in Bad Wildbad zum technischen Zeichner und Teilekonstrukteur umschulen lassen: "Außerdem hatte ich in dieser Zeit schon einiges erreicht und meine Frau Natalie kennengelernt." Das untermauerte seine von Anfang an bestehende Motivation, diese Situation zu bewältigen. Vor allem wollte er alle sich ihm stellenden Aufgaben ohne Hilfsmittel realisieren, beispielsweise das Schreiben oder das Kartoffelschälen. "Das Binden der Schnürsenkel zu lernen dauerte vier lange Jahre", schmunzelt er.

Zwei Jahre arbeitslos

Viel schlimmer, und damit die depressivste Phase nach dem Unfall, war die beinahe zweijährige Arbeitslosigkeit nach der Umschulung. Zwar sei er zu Vorstellungsgesprächen eingeladen gewesen, doch sofort nach der Begrüßung seien Berührungsängste deutlich geworden: "Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit solchen Personen umgehen sollen. Dabei können wir das Gleiche leisten, wenn auch in einer anderen Umsetzung." Er bot an, seine Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Unangenehm sei Mitleid in Worten und Handlung, ganz zu schweigen vom permanenten Abnehmen selbst kleinster Tätigkeitsabläufe.

Hausarbeit ist der Viertälteste von zehn Geschwistern gewohnt. "Selbst einen großen viertürigen Schrank habe ich alleine zusammengebaut", erzählte er. Dabei kam ihm nicht nur sein ursprünglicher Schreinerberuf zugute, sondern auch seine Fähigkeit, technische Abläufe gedanklich vorzubereiten, ehe sie umgesetzt werden. Schließlich hatte er auch diese Aufgabe alleine realisiert.

Trübsal ist keine Lösung

"Der wichtigste Rat ist, nicht in Trübsal zu verfallen, sondern bei Rückschlägen dran zu bleiben, dann öffnen sich auch Türen", so die Erfahrung von Bonin. Eine weitere Ausbildung zur Industriefachkraft für CAD-Technik in Schömberg sowie das einhergehende Praktikum in diesem Bereich bescherten ihm die erste Anstellung in der Konstruktion. Dank einer Mitfahrgelegenheit schaffte er auch den täglichen Weg ins Enztal. Seit drei Jahren arbeitet er bei der Firma Vapic in Oberhaugstett.

Hartes Training lohnt sich

Darüber hinaus ist er Mitglied des im Mai 2015 gegründeten Neubulacher Kochclubs. Bonin geht mit seiner Beeinträchtigung offensiv um. So lernen auch seine beiden Kinder, dass der Papa manches anders macht als beispielsweise die Mama: "Wenn Verwandte und Freunde vergessen, dass ich nur einen funktionsfähigen Arm habe, dann ist das der beste Beweis für mich, dass sich das Training gelohnt hat."

Was Denis Bonin auf keinen Fall möchte, ist eine Sonderbehandlung.