Frau an Frau – ein bisschen wie im Zeltlager. Nur, werden hier nicht Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen. Stattdessen wird das Atmen während der Wehen geübt. Fotos: Mikulcic Foto: Schwarzwälder-Bote

Zu Besuch bei einem Geburtsvorbereitungskurs / Margarethe Henne hat schon manches Nagolderle begrüßt

Nagold (msm). Der Raum ist nicht groß. Sie sind nicht wenige. Mit etwas Fantasie könnte man sie stapeln. Schwangere über Schwangere. Es fehlt nicht viel. Und doch beschwert sich keine.

Die Frauen, die zu Margarethe Henne in den Geburtsvorbereitungskurs kommen, sind froh. Sie sind untergekommen. Sie werden die Wochen bis zur Entbindung nicht in der Ungewissheit zubringen, die einen Schiffspassagier befallen und plagen muss, wenn niemand ihm sagt, wohin die Fahrt geht. 14 Termine mit Henne haben sie. Darin muss alles Wichtige rüberkommen.

"So, meine Ladys: Einatmen, weit werden, ausatmen." Margarethe Hennes Stimme ist sicher. Den Diphthong in "weit" dehnt sie betont. Und gewichtet ihn besonders. Die Gruppe probt den Ernstfall: Wie atmen, wenn die Wehen kommen? Es ist erst das zweite Treffen der Gruppe. Egal. Atmen muss sein. Da ist die Geburtshelferin kategorisch. "Ich besteh’ drauf, dass man jedes Mal Atmen und Entspannen macht", sagt sie.

Wenn diejenigen Wehen kommen, die das Kind schließlich zur Welt bringen, kann die mentale Beherrschung schon mal abhanden kommen. Eine Extremsituation. An diesem Punkt ist es wichtig, dass die entscheidenden Automatismen sitzen: "Bauch weit, Brustkorb, Schultern hoch, Ausatmen und – Dehnen". Mindestens drei "e" hat "Dehnen" bei Margarethe Henne, so prononciert spricht sie das Wort aus.

Aus gutem Grund. Bis der Muttermund weit genug ist, damit das Kind die entscheidenden Zentimeter in Richtung Tageslicht antreten kann, muss die Mutter einiges an Durchhaltevermögen aufbringen. "Es gibt immer wieder Frauen, die sterben wollen. Alte Hebammenweisheit: Dann ist der Muttermund gerade erst sieben Zentimeter auf." Zehn müssen es aber sein, damit der kleine Passagier die große Reise antritt. Darunter macht er sich normalerweise gar nicht auf den Weg.

"Wenn’s Ihnen zum Schreien ist, bitte ruhig schreien. Deswegen sind ja die Kreißsäle alle hintenraus". Kreißsäle. Einer, wie es ihn einst auch in Nagold gab. Böblingen und Tübingen heißen die Anlaufstellen der Nagolderinnen jetzt. Oder Herrenberg. Für diesen Entbindungsort haben sich die meisten der Kursfrauen entschieden. Einige haben schon Geburtserfahrung. Die sollten den Aufbruch auch schon bei einem Wehen-Intervall von zehn Minuten in Betracht ziehen. Erstgebärende können hiervon noch drei Minuten abziehen. "Ihr müsst alle ein Stück fahren jetzt, das dürft ihr nicht vergessen", schärft die Kursleiterin den Frauen ein.

"Ich musste drei Mal her, bis das Erste da war", berichtet eine Mutter. Im damaligen Fall kein Problem. Die Frau ist Nagolderin. Ihren Wohnsitz hat sie in unmittelbarer Nähe zur Klinik.

Was die Versorgung mit Hebammen angeht, ist der Raum Nagold kein Ödland. Allein in Haiterbach sind drei Vertreterinnen dieses Berufsstandes ansässig. In der Stadt Nagold selbst ist Margarethe Henne die einzige. Ein Vierteljahrhundert übt sie ihren Beruf hier schon aus. So manches "Nagolderle" hat sie auf dem Weg ans Licht begleitet. Manchmal trifft sie Mütter von damals. Sätze wie: "Unser Junge heiratet jetzt" rühren sie.

Als Treffpunkt für die Geburtsvorbereitungskurse von Margarethe Henne dient seit jeher das Krankenhaus. Zunächst sei man im Haus gewesen, erinnert sich die Hebamme. Herrlich sei dieser Raum in der Abteilung für physikalische Therapie gewesen, den sie damals gehabt habe. Sie schwärmt. Auch danach, als die physikalische Therapie aus dem Haupthaus in die Schwesternschule verlagert worden war, habe man annehmliche räumliche Bedingungen vorgefunden. Ein Trend zeichnet sich bei den Umzügen aber ab: Die Ansehnlichkeit der Räume nimmt ab.

Wie es weiter geht? Hellsehen kann Margarethe Henne nicht. Viele Anfragen kommen. Wer schwanger ist, braucht Begleitung. Die Frauen haben Fragen. Expertise tut Not. Die Antworten der Hebamme, gespeist aus Jahren der Erfahrung, tun gut, nehmen den Frauen etwas von der Unsicherheit. Die meldet sich ab und an doch. Schließlich ist man nicht mehr nur für sich verantwortlich.

Wie sie denn erfahren hätten, dass sie ein Mädchen bekommen, fragt eine der Frauen vor Kursbeginn in die Runde ihrer bereits anwesenden Zustandsgenossinnen. Die Antworten kommen. Die Möglichkeit zum Austausch ist das Wichtige. Fast treten die Defizite besagter Räumlichkeit in den Hintergrund angesichts der Dringlichkeit solcher Angelegenheiten. Und doch.

Dass in einer Stadt, die im Begrüßen ihrer Neubürger einst Autonomie, nämlich eine eigene Geburtsklinik besaß, nicht mehr viel fehlt und man die Mütter stapeln könnte – weder bei Hebammen noch bei Müttern dürfte das den Enthusiasmus am Kinderkriegen steigern.