Lily Strach forscht über den Korkgeschmack im Wein. Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder-Bote

Neugierde: Naturwissenschaften statt Freibadvergnügen – Ein Besuch im Jugendforschungszentrum in Nagold

Wollen sie Nobelpreisträger werden? Halten sie sich für kleine Genies? Oder sehen sie sich als bizarre Sonderlinge? Wie ticken die Kids im Nagolder Jugendforschungszentrum eigentlich?

Nagold. Es ist ein heißer Tag, fast 30 Grad. Normalerweise treiben sich Jugendliche im Alter von 17 Jahren bei solchem Wetter im Freibad rum, die Jungen schielen nach den Mädchen, die Mädchen nach den Jungen. Lisa Weiß und Paul Hampp hantieren an diesem Nachmittag mit Reagenzgläsern herum, beide tragen eine Schutzbrille, im Reagenzglas befindet sich eine gelbe Flüssigkeit, die sie leicht schütteln. Die beiden jungen Leute befassen sich mit Lumineszenz-Stoffen – was immer sich der Laie darunter vorstellen mag.

Wir befinden uns im Jugendforschungszentrum Nagold. Es ist angenehm kühl, manche Räume muten an wie ein Chemielabor – nur dass keine Lehrer in Sicht sind. In den Bücherregalen stehen Bücher mit Titeln wie "Professionelle Schalttechnik" oder "Kern- und Elementarteilchenphysik". An den Wänden hängen Plakate, auf denen stehen Sätze wie "Neues kommt von Neugier" oder "Zukunft, ich gestalte dich".

Also, die Sache mit den Lumineszenz-Stoffen ist ganz einfach, erklärt Lisa Weiß, die das Nagolder Otto-Hahn-Gymnasium besucht. Alles fing mit der Zahnpasta an. "Ich habe einmal eine ausprobiert, die war richtig gut, die Zähne wurden viel weißer als sonst." Im übrigen gebe es Lumineszenzen etwa auch bei Gardinenreinigern, erklärt Lisa, und das Ganze funktioniere in etwa so: "Die Gardine sieht nicht weißer aus, weil sie weißer ist, sondern weil sie blau leuchtet." Auch beim Pfefferminztee gebe es ein solches Phänomen, nur dass der dann rot leuchte. Irgendwie habe sie das dann interessiert, meint sie.

"Jetzt sind wir dabei, die Lumineszenz-Stoffe prinzipiell im Alltag zu untersuchen", sagt Paul Hampp. Welche Stoffe haben die Eigenschaft zu lumineszieren? Wie genau wirken sie? Auf gut Deutsch könnte man sagen: Der Forscherdrang der jungen Leute ist erwacht. Mitte Januar ist wie üblich Einsendeschluss für "Jugend forscht" – Lisa und Paul wollen unbedingt dabei sein.

Dann ist da Lily Strach, man könnte sie "die Korkenfrau" nennen, ebenfalls 17, ebenfalls Otto-Hahn-Gymnasium. Auch sie hantiert mit dem Reagenzglas. "Die Sache mit dem Weinkorken ist die: Da gibt es eine Schweizer Firma, die bietet Filter an, die den Korkengeschmack aus dem Wein rausnehmen", erklärt sie. "Der Korkengeschmack wird durch Trichloranisol erzeugt, und der Filter soll diesen Stoff aus dem Wein herausziehen."

Doch warum berührt das die junge Frau aus Sulz am Eck, die nach eigenen Worten nicht einmal Wein trinkt? Der muffige Korkengschmack könnte ihr doch eigentlich völlig egal sein?

Bei Lily Strach war ganz offenbar der Zweifel die Mutter des Forschungsdrangs. Sie bezweifelt, dass die Filter tatsächlich nur und ausschließlich das Trichloranisol aus dem Wein zieht – und nicht zugleich auch andere Stoffe. "Ich will einfach untersuchen, ob der Filter tatsächlich so funktioniert wie versprochen." Ihr Verdacht: Der Filter beeinträchtigt auch weitere Stoffe – womöglich auch den Geschmack des Weines. Wie heißt es doch auf dem Plakat, das an der Wand hängt: "Neues kommt von Neugier."

Die Frage ist: Was treibt die Kids eigentlich zu solchen Fragestellungen, zu solchem Forscherdrang an? Und vor allem: Welchen Anteil hat das Jugendforschungszentrum daran?

"Wenn Sie so wollen ist das Geheimnis des Zentrums ganz einfach: Es ist eine Umgebung, die nicht so schulisch ist, wie Schule nun einmal ist", sagt Uwe Klein. Klein ist 69, gelernter Chemiker, war Physiker, war Hochschulprofessor in Stuttgart und hat 20 Jahre in Saudi-Arabien gearbeitet. Zudem spricht er ein angenehmes Schwäbisch. Was ganz wichtig sei, erklärt er, "bei uns können die jungen Leut die Sach auch einmal liegen lassen". Ein paar Tage Pause nehmen, Luft holen – um dann wieder neu denken zu können.

Man könnte das auch "Freiheit der Forschung" nennen – einschließlich des Privilegs, auch mal Fehler begehen zu dürfen, ohne abgestraft zu werden. "Fehlerkultur", nennt das Barbara Renz, die Geschäftsführerin des Zentrums. Die Kids brauchen hier keine Angst vor Fehlern zu haben. "Wenn was nicht klappt, probiert man es einfach nochmal – bis es funktioniert."

Klein geht den jungen Forschern im Zentrum zur Hand, gibt Tipps und Fingerzeige – so gut er eben kann. "Die Schüler entwickeln unglaubliche Fähigkeiten, wenn man sie nur lässt", sagt Klein. "Sie sind meilenweit über Schulniveau."

Dann erzählt Klein die Geschichte von einer Art Wunderkind, das vor ein paar Jahren im Zentrum war. Theo sei eines Tages auf folgende Idee gekommen: Da Plastiktüten- und Plastikflaschen doch aus Erdöl gemacht sind "müsste es doch auch möglich sein, den Plastikstoff Polyethylen wieder in Diesel zurückzuverwandeln".

Dann sei der Junge, der heute längst studiert, auf die weitere geniale Idee gekommen, Katzenstreu als Katalysator zu benutzen – weil Katzenstreu doch den Katzenurin so gut aufsauge und spalte. "Wir haben das dann im Reagenzglas versucht, Plastikschnitzel und Katzenstreu zerkleinert, das Ganze erhitzt....Und dann geschah das Wunderbare", berichtet Klein. Das Polyethylen sei immer dünnflüssiger geworden - und sei schließlich zu Diesel zurückverwandelt worden.

Warum Klein das erzählt? "Auf so eine Idee käme ein richtiger Wissenschaftler oder ein Student gar nicht." Wenn man erst mal auf der Uni sei, werde das Denken immer mehr kanalisiert, immer mehr an den "normalen Wissenschaftsbetrieb" angepasst. "Uns gefällt die Kreativität und die Fantasie der Kinder", sagt Renz dazu. Man könne auch vom "wilden Denken der Jugend" sprechen. Allerdings: Theo sei ein ganz besonderer Glücksfall gewesen. "Wir haben keine 100 Theos", sagt Barbara Renz.

Rund 250 Schüler besuchen im Durchschnitt das Jugendforschungszentrum pro Jahr, so Renz. Seit zehn Jahren gibt es das Zentrum, vor zwei Jahren ist es in das neue Zuhause in der Herrenberger Straße umgezogen. Preise bei "Jugend forscht" habe man schon massig gewonnen, einschließlich einige erste Preise.

Und was wollen die Kids später mit ihrer Forschung anfangen? Nobelpreis gewinnen, Top-Managerin der Industrie werden? Und: Sehen sie sich eigentlich als Außenseiter?

"Außenseiter, Sonderling? – überhaupt nicht", antwortet Lisa. Die Frage scheint ihr so abwegig, dass sie zunächst einmal überlegen muss, um die richtige Antwort zu finden. "Wir sind keine Genies. Wir sind von Physik und Chemie begeistert wie andere von Fußball." Und: "Das Ganze ist ein Hobby wie jedes andere – so wie Posaune spielen."

Und auch berühmt oder reich werden im Leben sei nicht ihr höchstes Ziel. "Ich will Forstwirtschaft studieren, einen Job haben, der mit Spaß macht, ein entspanntes Leben haben." Ziemlich fest steht für Paul und Lisa allerdings bereits, dass sie etwas Naturwissenschaftliches studieren wollen. Originalton Paul: "Ich bin mehr so ein Formelmensch."

Auch Lily, die "Korkenfrau", sieht das ganz ähnlich. "Ich bin kein Sonderling, ich mache auch ganz normale Sachen, zum Beispiel spiele ich daheim Gitarre." Was sie studieren wolle, wisse sie noch überhaupt nicht – "aber bestimmt keinen Bereich von Naturwissenschaften". Allerdings sei ihr auch nicht völlig unwichtig, wieviel sie später verdiene. "Es braucht nicht zu viel zu sein, aber auch nicht knapp an der Grenze."

Hohe Ziele fürs Leben, brennender Ehrgeiz für die Berufslaufbahn – eher Fehlanzeige? "Was die jungen Leute antreibt, ist eher die Möglichkeit, sich selbst zu beweisen", meint Klein. Alles andere komme dann schon später. Was steht auf den Plakaten an der Wand? "Neues kommt von Neugier."