Geiger Aylen Pritchin machte gemeinsam mit Elena Nemtsova den Auftakt bei,m Eröffnungskonzert der Sommermusik in der Nagolder Stadtkirche Foto: Martin Bernklau Foto: Schwarzwälder-Bote

Mit dem Dozentenkonzert in der Nagolder Stadtkirche eröffnet die Sommermusik im Oberen Nagoldtal

Von Martin Bernklau

Nagold. Kammermusik vom Feinsten: Mit dem traditionellen Dozentenkonzert in der Nagolder Stadtkirche begann am Sonntagabend die 28. Sommermusik im Oberen Nagoldtal. Mit teils hochvirtuosen Stücken, wie sie sonst kaum je zu hören sind, wurden die Besucher verwöhnt.

Die gut besuchte Stadtkirche mit ihrem Ehrfurcht gebietenden Nachhall ist auch für internationale Spitzeninterpreten von Kammermusik Problem oder Herausforderung.

Dem stellten sich zunächst der in Moskau lebende Geiger Aylen Pritchin und die ebenfalls aus St. Petersburg stammende, in Linz an der Donau lehrende Pianistin Elena Nemtsova mit einem höchst originellen Stück von Igor Strawinsky, nämlich seiner ernst und ein bisschen ironisch barockisierenden (Pulcinella-) "Suite Italienne" von 1932. Aylen Pritchins ganz leichter, nur zum Intensivieren mit Vibrato versehener Ton gefiel besonders. Seine Partnerin am Bösendorfer-Flügel hätte auf etwas Pedal vielleicht verzichten können. Diesen beabsichtigten Part eines romantischen Weichzeichners hätte die Akustik eigentlich allein übernehmen können.

Pointierter Anschlag hilft gegen den Hall

Die hinreißenden Variationen für Violoncello und Klavier unter dem Titel "Une larme" (Eine Träne) gehören zu dem, was der aller Erfolge müde gewordene und depressive Opernkomponist Gioachino Rossini seine "Alterssünden" nannte.

Der in Lugano geborene und in Barcelona als Professor wirkende Cristoforo Pestalozzi weiß genau, dass ein zeitgemäßer Cello-Ton eher schlank ist. Aber er gab diesen wunderbaren Stücken doch noch so viel Belcanto-Schmelz aus dieser späten Rossini-Zeit um 1860 mit, wie ihnen gebührt. Chifuyu Yada, aus Japan stammende Pianistin mit Lehrauftrag in München, gibt in Nagold Kurse in Korrepetion, also Begleitung, und zeigte beeindruckend, wie viel sie davon versteht.

Dann durfte Lisa Smirnova, in Moskau ausgebildete Salzburger Mozarteum-Dozentin, solistisch glänzen mit dem Petrarca-Sonett Nr. 103 aus den Reisebildern "Années de Pèlerinage" von Franz Liszt, ebenso zauberhaften wie halsbrecherisch virtuosen Klangbildern, deren Poesie oft an den kaum älteren Chopin erinnert. Ein besonders pointierter Anschlag half auch in leisen Passagen sehr gut gegen den Hall.

Ein erstes Paradestück der Virtuosen-Literatur präsentierte dann die russisch-koreanische Geigerin Irina Pak in der spät einsetzenden Klavierbegleitung von Elena Nemtsova: Maurice Ravels "Tzigane" im wilden Stil von Zigeunermusik und mit allen Unmöglichkeiten selbst für sehr gute Geiger. Zupfen mit der Griffhand, der Linken gehört dazu, atemberaubende Bogenakrobatik, irrwitzige Mehrfachgriffe und Arpeggien, rasend beschleunigtes Tempo. Da gab es Bravo-Rufe.

Solchen Jubel für ähnlich Spektakuläres heimste nach der Pause auch Aylen Pritchin ein, der die verzauberte Morgendämmerung und den rustikalen Tanz aus der Solosonate Nr. 5 von Eugène Isaye auf seiner auffallend kleinen Violine zelebrierte. Der 1931 gestorbene Belgier gilt als einer der besten Geiger aller Zeiten. Weit weniger Zirzensisches, dafür feinste Klangzeichnung des nuancierten Spätromantikers Richard Strauss bot danach der Münchener Solocellist Jakob Spahn mit der von Chifuyu Yada so subtil begleiteten "Romanze" an. Allein Spahns Schlusston wäre eine kleine Eloge wert.

Den fulminanten Abschluss machte ein Trio aus Aylen Pritchin (Violine), dem Cellisten Cristoforo Pestalozzi und der rhythmisch treibenden Kraft Elena Nemtsova am Flügel. Winter und Frühling, zwei der Tangos über die Jahreszeiten von Buenos Aires von Astor Piazzolla, dürfen – ja müssen! – auch ein wenig schmachten in sentimentalem Streicherton.

All das Gefühl und Temperament lebt selbst dann magisch auf, wenn die Kirchenakustik die Details ein wenig umnebelt. Große Begeisterung im Schiff und auf den Emporen.