Die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken (Bildmitte) sucht das Gespräch mit den Bürgern. Foto: Fritsch

Sicherheit: SPD-Abgeordnete Saskia Esken trifft beim Abendspaziergang auf die Sorgen der Bürger. Mit Kommentar

Nagold - In der Frage: "Wie sicher ist der Stadtpark Kleb?" ist auch Nagolds Bürgerschaft geteilter Meinung. Die SPD-Bundestagabgeordnete machte bei einem Abendspaziergang die Probe aufs Exempel.

Es war nur eine Wortmeldung unter dem Punkt "Verschiedenes", die die Diskussion ins Rollen brachte. FWV-Stadtrat Helmut Blaich machte sich in der jüngsten Ratssitzung zum Sprachrohr von Frauen, die sich abends wegen der jungen Männer, die in den Sommermonaten in kleinen Grüppchen den Stadtpark belegen, nicht mehr trauen würden, den Fußweg entlang des Klebs zu ihrem Auto auf dem Teufel-Areal zu nehmen. Der Cityverein nahm dies zum Anlass, in einer Umfrage zu sondieren, wie die Mitarbeiterinnen im Nagolder Einzelhandel mit dieser Situation umgehen.

Unausgesprochen blieb in der Diskussion im Stadtrat, auf wen diese subjektiven Ängste gemünzt waren, aber es war offensichtlich: auf die jungen, vor allem männlichen Flüchtlinge, die den Kleb für sich entdeckt haben. Im Nachhinein rechtfertigt sich Stadtrat Blaich für seine Wortmeldung. Er hätte "keine bestimmte Personengruppe" gemeint.

Doch der Stein, den er ins Wasser geworfen hatte, zog Kreise: In den sozialen Medien entbrannte aufgrund unserer Berichterstattung eine kontroverse Diskussion über die empfundene Sicherheitslage in Nagold. Mittendrin: Saskia Esken, SPD-Abgeordnete. Sie hatte die Herausforderung eines Facebooknutzers angenommen, der Esken zu einer Stellungnahme herausgefordert hatte. Esken nahm den Handschuh auf – und erntete wenig Applaus und umso mehr Kritik.

Sie gipfelte in dem Beitrag eines ganz offensichtlich ortskundigen Users, der in Facebook der SPD-Abgeordneten eine Vergewaltigung wünschte: "Da hört bei mir der Spaß auf", sagt Esken. Auf ihrer privaten Facebookseite hat sie den geifernden Kritiker bereits gesperrt, weil er sie ständig mit Angriffen unter der Gürtellinie traktierte. Im öffentlichen Netz dagegen war sie gegen den neuerlichen Angriff schutzlos, gipfelnd in: "Die Quittung kommt am Sonntag!"

Aber Esken gibt nicht auf. Am Dienstagabend hat sie die Bürger zum Abendspaziergang durch den Kleb eingeladen, um zur Versachlichung der Diskussion beizutragen. Ein halbes Dutzend Bürger artikulieren ihre Sorgen und Ängste. Auch Eskens Erfahrung tags zuvor, als sie allein durch den Kleb gegangen ist, "um zu schauen, wie es sich anfühlt: Es war schön, kalt, aber einsam", kann einen Nagolder nicht beschwichtigen: "Wenn ich an einem Bahnübergang stehe und kein Zug kommt, heißt das noch lange nicht, dass die Strecke sillgelegt ist." Die Empfindungen, sagt der Nagolder, der einst selbst auf der Kandidatenliste der SPD für den Stadtrat stand, "sind real". Seine Frau würde sich abends nicht mehr durch den Kleb trauen.

Eine Frau steht daneben und nickt. Ihrer 15-jährigen Tochter hat man im Kleb schon zweimal Drogen zum Kauf angeboten, sagt sie.

"Das ist das, was der Bürger nicht versteht"

Esken versucht vergeblich, die beiden Themen – Sicherheit und Drogen – auseinanderzuhalten. Für einen Nagolder, der täglich zum Schimmbad läuft, sind diese Themen aber nicht zu trennen: "Das gehört auch dazu." Er würde regelmäßig beobachten, wie die Geschäfte laufen: "Um eins, um 3 und auch abends um sechs." Gerd Hufschmidt, Leiter des Nagolder Youz, bestätigt diese Darstellung just an jener Stelle, wo meistens die Geschäfte ablaufen – auf der steinernen Treppe Richtung Burg: "Das ist das, was der Bürger nicht versteht", sagt Hufschmidt achselzuckend.

Für einen ehemaligen Kripo-Beamten, der sich an dem Spaziergang beteiligt, ist dafür auch "unsere Kultur des Wegschauens schuld: Die Leute sollen sagen, das habe ich gesehen und sollen es auch melden". Für ihn macht nur eines Sinn: "Das muss Hand in Hand gehen. Wir brauchen einen Streetworker." So wie in den 90er Jahren, als junge Russlanddeutsche den Kleb bevölkerten und ähnliche Ängste wie heute auslösten. Ein Streetworker, selbst aus diesem Kulturkreis stammend, bekam damals die Sache in den Griff.

Für SPD-Stadtrat Daniel Steinrode liegt damit die Lösung auf der Hand: verstärkte Vernetzung von Polizei- und Sozialarbeit. Zustimmendes Nicken rundum. Nur Gerd Hufschmidt will sich trotz Steinrodes Insistieren nicht auf ein Statement einlassen, ob er die Anstellung eines Streetworkers sinnvoll fände. "Ich habe mit dem OB die Vereinbarung", sagt der Youz-Chef, "dass ich nichts fordern werde."

In einem Punkt ist er bei dem Stadtoberhaupt. Von einem generellen Alkoholverbot im Kleb, wie es der Ex-Kripomann fordert, hält er genauso wenig wie Großmann.

Manchmal löst aber einfach nur ein Gespräch Spannungen auf, wie der Wildberger erzählt, der selbst in der Flüchtlingsarbeit aktiv ist. In seiner Heimatstadt schlugen die Wogen hoch, weil Flüchtlinge auf einer Bank beim Friedhof jede Frau mit den Worten begrüßten: "Guten Tag, schöne Frau." Die Frauen fühlten sich angemacht. Bis einer mit den Flüchtlingen sprach und die antworteten, dass man ihnen im Deutschunterricht diesen Satz beigebracht hätte. Seither belassen sie’s bei einem "guten Tag."

"Ich bin noch nie blöd angemacht worden"

Mittlerweile nieselt es und treibt die Abendspaziergänger auseinander. Der Kleb ist nahezu menschenleer. Da nähert sich eine Joggerin. "Das ist Jammern auf hohem Niveau", sagt sie auf die Frage von Esken, ob sie sich im Kleb sicher fühle. "Ich bin hier noch nie blöd angemacht worden." Sagt’s und verschwindet im Nieselregen.

Derweil kauert sich eine Gruppe von vier jungen Flüchtlingen unentdeckt von Eskens Entourage schutzsuchend unterm Dach der Wachsenden Kirche. Sie haben ein paar Flaschen Bier dabei und laden den unerwarteten Zaungast gleich ein: "Enjoy!" Sie lächeln verlegen: "Germany good country. Good government". Deutschland sei ein gutes Land, mit einer guten Regierung. Das einzige, was man ihnen anderntags ankreiden könnte, ist, dass sie von ihrem kleinen Gelage einen Kronkorken in der grünen Kirche zurückgelassen haben.

Die SPD-Politikerin hat sich auch ihrer Facebookseite etwas zu dem Thema geäußert:

Kommentar: Bewunderswert

Von Roland Buckenmaier

"Noch bin ich Abgeordnete". Ein Satz, der der SPD-Bundestagsabgeordneten Saskia Esken dieser Tage im Kreistag über die Lippen kam. Zuversicht hört sich anders an. Aber sie kämpft um ihr Mandat – auch an schier aussichtslosen Fronten. Dass sie sich multimedial der Diskussion über das Sicherheitsgefühl von Nagolds Bürgern stellt und nicht müde ist, für Toleranz unter den Kulturen zu werben, ist bewundernswert, weil sie dafür viel Kritik einstecken muss.

Den Shitstorm im Netz nähme die Genossin noch gelassen hin, wären da nicht diese rassistischen Auswüchse. Ein anonymer User aus der Region geht so weit, Esken eine Vergewaltigung zu wünschen. Wie ekelhaft ist das denn! Wenn das Thema Sicherheit nun verstärkt aufs Tableau kommt und Polizei und Stadtverwaltung zu einer anderen Gangart bewegt werden, dann hat sich Eskens Einsatz mehr als gelohnt. Kommentar Von Roland Buckenmaier