Der Arzt und Stiftungsgründer Ulrich Brosius Foto: Brosius-Stiftung Foto: Schwarzwälder-Bote

Stiftung: Sprachförderung, Unterstützung von Diakonie und Tierschutz testamentarisch festgelegte Ziele

Nagold. Es war eine Fußnote der diesjährigen Abitur-Feierlichkeiten am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG): Jana Hufschmidt und Sophie Retsch wurde der "Dr. Brosius-Preis" als jahrgangsbeste Abiturienten im Fach Französisch verliehen. Doch wer oder was steckt eigentlich hinter diesem Preis?

Ulrich Brosius war ein in Nagold praktizierender Allgemeinarzt. Bis 1983 befand sich seine Praxis in unmittelbarer Nähe des OHGs, im Gebäude an der Burgstraße 14. Das Haus existiert heute nicht mehr, es ist vor einigen Jahren aus städtebaulichen Gründen abgerissen worden. Die Ehe von Ulrich Brosius selbst blieb kinderlos; etwas, worunter das Ehepaar Brosius, das ab Anfang 1960 in Nagold lebte, offenbar sehr litt. Das ergab eine Recherche, die die heutige "Dr.-Brosius-Stiftung" Anfang dieses Jahres über das Leben ihres Stifters in Auftrag gegeben hatte. Und deren Ergebnisse liegen jetzt vor.

Eigentlich wollte er Russisch fördern

Die Dr.-Brosius-Stiftung wurde 1999 nach dem Tod von Ulrich Brosius gemäß dessen testamentarischem Wunsch eingerichtet. Sie ist es, die seitdem am OHG den "Dr. Brosius-Preis" für besondere Leistungen im Fach Französisch auslobt. Eigentlich sollte – so die Verfügung des Stifters in seinem Testament – mit diesem Preis der Sprachunterricht in Russisch gefördert werden; doch da es ein solches Sprachangebot am OHG bis heute nicht gibt, legte bereits der Stifter noch zu Lebzeiten fest, das alternativ der Französisch-Unterricht unterstützt werden dürfte. Weitere Stiftungszwecke der Dr.-Brosius-Stiftung: Förderung der sachlichen Ausstattung der Nagolder Diakoniestation, "so dass die Pflege und Versorgung der Kranken für das Pflegepersonal erleichtert wird." Und die Unterstützung von Aufgaben des Tierschutzes.

Alle drei Stiftungszwecke lassen sich, so die Ergebnisse der Recherche, direkt auf Erfahrungen und Lebenssituationen des Stifters zurückführen. Für die Recherchen wurden verschiedene Interviews mit Zeitzeugen aus dem Leben von Ulrich Brosius zusammengetragen, auch konnte zum Beispiel das Original seiner Doktorarbeit ermittelt werden, die er 1953 an der Universität Tübingen ablegte. Und schließlich fanden sich auch Unterlagen von Zeitzeugen, wie etwa die handschriftlichen Aufzeichnungen vom Vater von Ulrich Brosius aus dem Jahr 1963, der seinerzeit mit seiner Ehefrau ebenfalls nach Nagold gezogen war, um hier mit Sohn und Schwiegertochter seinen Lebensabend zu verbringen.

Was durch die Recherche ein klein wenig gelang: einen Blick zu werfen auf den "Menschen" Ulrich Brosius, der bis dahin für die Stiftung komplett hinter seinem Stiftungszweck zurücktrat, wie der Stiftungsvorsitzende, Dekan Ralf Albrecht, berichtet. Bis zur Recherche waren mit Ausnahme seines Testaments von Ulrich Brosius keinerlei persönliche Aufzeichnungen oder etwa besondere Lebensdaten bekannt. Nun konnte in Rahmen eines "Dossiers" sogar ein ungefährer Lebenslauf zusammengestellt werden, der von der Schulzeit, über Studium bis zu seinen Einsätzen als Soldat im Zweiten Weltkrieg von den verschiedenen Lebensstation des Ulrich Brosius berichtet. Ergänzt sogar noch durch die Berichte von eben Zeitzeugen wie entfernten Verwandten oder ehemaligen Patienten, wodurch das Bild von Ulrich Brosius als Stifter noch einmal lebendiger wurde.

Übereinstimmende Einschätzung aller zusammengetragenen Berichte: Die Erlebnisse im Russlandfeldzug waren jene Erfahrungen, die den Menschen Ulrich Brosius wohl am meisten geprägt haben – so seine Verwundung gleich am ersten Tag der Großoffensive der Roten Armee auf Rschew, dem ersten Einsatz von Ulrich Brosius im Krieg. Und noch mehr, als er wahrscheinlich Anfang 1945 – bereits als Militär-Assistenzarzt – in russische Kriegsgefangenschaft geriet – gemäß den jetzt erhobenen Berichten, bei der sogenannten "Schlacht am großen Weichselbogen". Erst 1949 sollte Brosius von dort zurückkehren, mit Erinnerungen, die – so die Zeitzeugen – ihn nie mehr loslassen sollten. Brosius sei zum Beispiel immer sehr bewusst gewesen, was "die Deutschen in Russland angerichtet" hätten. Er hatte selbst hätte während seiner Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft Russisch gelernt. Und später davon erzählt, dass er seine russischen Bewacher und Aufseher oft ermahnt hätte: "Ihr seid doch ein Kulturvolk."

Ulrich Brosius selbst wurde 1924 in Berlin geboren. Was die Recherche ebenfalls zu Tage förderte: Am dortigen Fichte-Realgymnasium in Berlin-Wilmersdorf, wo Brosius sein Abitur ablegte, war der bekannte, heute ebenfalls verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sein Mitschüler. Noch zu Kriegszeiten konnte Brosius, bedingt durch seine Verletzung, in Berlin sein Medizin-Studium beginnen. Es folgte ein Auslandssemester in Prag. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in die damalige sowjetische Besatzungszone, wo seine Eltern zu der Zeit lebten, konnte Brosius sein Studium jedoch erst nach einer gemeinsamen Flucht von Thüringen aus nach West-Berlin fortsetzen. Brosius Eltern wurde dann nach Tuttlingen ausgeflogen, wohin ihnen der – einzige – Sohn später folgte. Um hier – in größter Armut, so die Berichte – sein Studium in Tübingen abzuschließen; wo er dann auch promovierte.

In größter Armut schloss er sein Studium ab

Es folgten Tätigkeiten am städtischen Krankenhaus in Schwenningen sowie mehrere Jahre als Assistenzarzt in der Praxis von Konrad Bihl in Rottweil. Letzte Station dann Nagold. Wo nach größter Not schließlich auch der wirtschaftliche Wiederaufschwung der Flüchtlings-Familie Brosius gelang. Die Zeitzeugen beschreiben den Arzt Brosius als "Mediziner von altem Schrot und Korn" und als zuweilen asketischen Menschen. Seine Frau Marta (geborene Heffner), die er in seiner Zeit in Rottweil kennenlernte, war auch seine Arzthelferin. Da ihre Ehe wie beschrieben kinderlos blieb, gehörte ihre ganze Aufmerksamkeit ihren zwei Hunden – womit auch die Tierliebe und der Tierschutz als Stiftungszweck der Dr.-Brosius-Stiftung erklärbar wird. Ulrich Brosius starb am 17. August 1999 in Nagold.